Bad Berleburg/Siegen. Der Umweltausschuss des Kreises befasst sich jetzt mit dem stark kritisierten Artenschutzprojekt. Landrat Müller sieht aktuell nur eine Lösung.

Die Kreisverwaltung Siegen-Wittgenstein macht die Zukunft des Wisentprojektes zum Thema. Am 1. Dezember wird sich der Ausschuss für Umwelt- und Klimaschutz, Land- und Forstwirtschaft des Kreises Siegen-Wittgenstein mit den jüngsten Entwicklungen rund um das Artenschutzprojekt „Wisente im Rothaargebirge“ beschäftigen. Das meldet die Kreisverwaltung am Freitag. Und Landrat Andreas Müller skizziert dabei eine mögliche Lösung, die vor allem Fans der Wildrinder schockiert.

Es wird die erste politische Gremiensitzung „nach den überraschenden Entwicklungen der letzten Wochen“ sein. Jüngst hatte vor allem die CDU-Kreistagsfraktion dringend um Beratung des Themas in politischen Gremien gebeten. Deren Antrag wird nun bei der ersten Tagungsgelegenheit statt gegeben.

Auslöser war ein Schreiben des Trägervereins

Auslöser dieser Zuspitzung war der Trägerverein des Projektes. Der hatte mit einem Schreiben vom 19. Juli 2022 den öffentlich-rechtlichen Vertrag über das Auswilderungsprojekt einseitig aufgekündigt, die Tiere für herrenlos erklärt und damit ein Beben bei allen Beteiligten - Befürwortern wie Gegnern des Projekts ausgelöst.

Lesen Sie auch:

Landrat Andreas Müller möchte die Sitzung nutzen, um aus Sicht der Genehmigungsbehörden den aktuellen Sachstand zu erläutern und die möglichen Entwicklungen darzulegen. Im Vorfeld macht der Landrat deutlich, dass ihn die jüngsten Entwicklungen zutiefst bestürzen: „Vor zehn Jahren wurde bei uns ein Artenschutzprojekt gestartet, dass in Europa einzigartig war und ist und eine Strahlkraft weit über die Region hinaus entfaltet. Für viele gehören die Wisente heute einfach schon zu Siegen-Wittgenstein dazu. Leider ist es dem Trägerverein in den vergangenen zehn Jahren aber nicht gelungen, das Projekt auf so solide Füße zu stellen, dass die Tiere am Ende in die Herrenlosigkeit entlassen werden konnten“, bedauert Müller.

„Alarmglocken schrillten“

Der Landrat erinnert an das Schreiben des Trägervereins vom 19. Juli 2022, „das bei uns alle Alarmglocken schrillen ließ“, so Müller. In dem Schreiben teilt der Verein mit, dass er sich nicht in der Lage sehe, ein Urteil des Oberlandesgerichtes Hamm umzusetzen, in dem der Verein verpflichtet wird, die Wisente von Grundstücken im Hochsauerlandkreis fernzuhalten. Deren Besitzer hatten ein Betretungsverbot für die Tiere eingeklagt und am Ende Recht bekommen. „Gleichzeitig hatte der Verein uns mit einem Schreiben angekündigt, dass er die zuständigen Behörden vorsorglich um die Erlaubnis zur Tötung aller Wisente als ‚letzte Alternative‘ bitten wird – was ich in meinem Antwortschreiben natürlich strikt und mit deutlichen Worten abgelehnt habe“, betont Müller.

Gutachten der Tierärztlichen Hochschule Hannover

Und der Landrat geht mit dem Trägerverein weiter in die Kritik: „Aber spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde erneut deutlich, was das Gutachten der Tierärztlichen Hochschule Hannover bereits im August 2021 festgestellt hatte: Der Trägerverein ist den Anforderungen, die aus fachlicher Sicht an ein so komplexes Artenschutzprojekt zu stellen sind, nicht gewachsen und mit dem Management des Projektes überfordert.“ Das Experten-Gutachten der Tierärztlichen Hochschule Hannover habe deswegen verschiedene Rahmenbedingungen benannt, die zwingende Voraussetzungen darstellen, um überhaupt auf einer neuen Grundlage über eine Fortführung des Projektes diskutieren zu können. Von diesen konkrete Maßnahmen sei seither aber praktisch keine umgesetzt worden. Auch deswegen sei es nicht gelungen, den Konflikt mit den Waldbauern im Hochsauerland zu befrieden und einen Konsens in der Region herzustellen.

Vertrag nicht einfach kündbar

Bilder- Wisentprozess vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe

file72shrofrjatycvtr8uh
file72shrobxp0n1lkd2t863
file72shro7sds31mmxnc9vt
file72shroc184wc401k8jo
file72shrocaqza6l8vk13w6
file72shrocktyfu1h9x9pd
file72shro5ix3q17stdjfcn
file72shrobwwxf1ar0nciwn
file72shrogjedt1go3jliyd
file72shroiwrz613glxzufp
file72shroqf66fzqk519vt
1/11

Für die Aufsichtsbehörden – Kreis, Bezirksregierung und Land – ist klar, dass die Kündigung der öffentlich-rechtlichen Vereinbarung durch den Trägerverein keinen Bestand haben kann und die Tiere nach wie vor Eigentum des Trägervereins sind: „Hier geht es um komplizierte juristische Fragen, die sich aber im Kern einfach erklären lassen“, erläutert der Landrat: „Die öffentlich-rechtliche Vereinbarung ist nichts anderes als eine Bündelung von Genehmigungen, die regelt, unter welchen Voraussetzungen der Trägerverein die Tiere ins Rothaargebirge holen und hier halten durfte. Dass man solch eine Genehmigung nicht einfach kündigen kann, erschließt sich eigentlich auch juristischen Laien“, so Müller: „Gleiches gilt für die vermeintliche Aufgabe am Eigentum der Tiere. Das ist, als ob sich jemand einen Hund kauft und ihn dann vor die Türe setzt uns sagt: ‘Der gehört mir nicht mehr, der ist jetzt frei und ich übernehme auch keine Verantwortung mehr für das, was der Hund macht.‘ Dass das so nicht funktioniert, ist leicht nachzuvollziehen.“

Hoffnung auf ein Einsehen

Der Landrat hofft immer noch auf ein Einsehen des Trägervereins und ein einvernehmliches Vorgehen auf Basis der Regelungen in der öffentlich-rechtlichen Vereinbarung: „Es ist ohne Zweifel für die Region am besten, wenn der Trägerverein die Kündigung der Vereinbarung zurücknimmt und wieder mit den Genehmigungsbehörden konstruktiv zusammenarbeitet. Die Türe dafür steht weit offen!“ Müller macht auch darauf aufmerksam, dass die mit dem öffentlich-rechtlichen Vertrag erteilten Genehmigungen nur für die Freisetzungsphase gelten, also für einen Zeitraum, der auch als Test- oder Versuchsphase zu verstehen sei. Für eine Fortführung des Projektes müssten umfangreiche neue Genehmigungsverfahren, z.B. nach natur- und artenschutzrechtlichen Bestimmungen und mit Beteiligung der Bevölkerung durchlaufen werden.

Landrat: Nur eine Perspektive

Angesichts der derzeitigen Verfassung des Projektes sei nicht erkennbar, wie die dafür notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden könnten. Mit Blick auf die Beratungen im Umweltausschuss des Kreises erinnert der Landrat noch einmal daran, dass es sich beim Projekt „Wisente im Rothaargebirge“ um ein privat initiiertes und getragenes Projekt handelt: „Es gab keine politischen Beschlüsse zum Start des Projektes und der Kreis war auch nie Mitglied im Trägerverein.“ Zuletzt hatte sich der Kreistag im Zusammenhang mit der Einrichtung eines Schadenfonds in 2016 mit den Wisenten beschäftigt. Dessen Einrichtung hatte Landrat Müller zur Befriedung des Konfliktes mit den Waldbauern im Hochsauerlandkreis vorgeschlagen. Letztlich konnte aber auch dieser finanzielle Ausgleich nicht verhindern, dass die Waldbauern weiter den Klageweg beschritten haben, um die Wisente von ihren Grundstücken fernzuhalten. „Der Kreis ist nicht Projektträger, sondern Teil der Aufsichts- und Genehmigungsbehörden, die die Einhaltung der Bestimmungen aus der öffentlich-rechtlichen Vereinbarung zu überwachen haben“, so Müller: „Und genau in dieser Rolle sind wir zurzeit gefordert.

Rechtskonforme Lösung

Aktuell muss es jetzt vor allem darum gehen, eine rechtskonforme Lösung zum besten Wohle der Tiere zu finden“, betont Andreas Müller: „Da die Voraussetzungen für eine Entlassung der Tiere in die Herrenlosigkeit nicht vorliegen und wohl auch nicht geschaffen werden können, scheint das Eingattern der Tiere und eine Übersiedlung in andere Regionen derzeit die realistischste Perspektive zu sein“, so der Landrat: „Für die Region ist das ein bedeutender Verlust, rechtlich zeichnet sich aktuell aber keine andere Lösung ab.“