Bad Berleburg. Uwe Lindner und Achim Wickel wollen das Projekt retten. Sie fordern neue Strukturen. Dafür würden sie sogar eine „heilige Kuh“ schlachten.

Die Zeit drängt: „Das Wisentprojekt steht kurz vor dem Aus“, sagt Uwe Lindner. Gemeinsam mit dem Feudinger Wisent-Züchter Achim Wickel kann er sich aber vorstellen, dass es noch zu retten ist. „Wenn wir den Wisent in der Region halten wollen, müssen wir nur kommunizieren“, formuliert Wickel es optimistischer, auch wenn nach inzwischen rechtsgültigen Urteil des Oberlandesgerichtes viele Fragen zur Zukunft der freilebenden Herde offenbleiben.

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Der Diplom-Biologe Lindner war der wissenschaftliche Kopf aus der Anfangszeit des europaweit beachteten Auswilderungsprojekts. 2010 trennten sich die Wege von Lindner und dem Trägerverein, weil Lindner – wie er selbst sagt – „ein kritischer Geist“ ist. Doch der Berliner will nicht nachtragend sein. „Mir liegen die Tiere am Herzen“, wiederholt im er Gespräch in der Redaktion mehrmals. Und deshalb fordert er ein Umdenken: „Wenn man das Projekt retten will, müssen die Strukturen verändert werden.“ Lindner meint den Trägerverein des Wisentprojektes.

Klare Forderungen in Gutachten

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Lars-Peter Dickel.
Von Lars-Peter Dickel

Seine Aussage stützt Lindner auch mit Verweis auf ein Gutachten. Die Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover machte das Spannungsfeld deutlich: Auf der einen Seite steht der „große Modell- und Vorbildcharakter“ des Projektes einerseits und auf der anderen ein kleiner, ehrenamtlich geführter Verein, der den Aufgaben des Herdenmanagements und auch den daraus entstehende Konflikten nicht gewachsen sei.

Am 27. Juli, präsentierte der Verein zwei neue professionelle Partner: Der Zoologische Garten Köln und die Deutsche Wildtier Stiftung wollen mit dem Verein in einer „Wisent­-Allianz“ eng zusammenarbeiten. Für Lindner und Wickel kommt dies aber fast zu spät. Denn viel entscheidender als die neuen Partner wäre es, den Konflikt mit den Waldbauern beizulegen. „Der Verein hat es nicht geschafft, die Waldbauern mitzunehmen und das Vertrauen restlos zerstört“, kommentiert Lindner die Ausgangslage für einen Neuanfang. Deswegen fordert er auch einen Neuanfang mit neuem Personal und neuen Strukturen. Das es fünf vor zwölf ist, macht auch die zurückgezogenen Revision vor dem Bundesgerichtshof klar. Dadurch, dass das Urteil des OLG Hamm rechtsgültig ist, müsse der Verein alle geeigneten Maßnahmen treffen, die Wisente davon abzuhalten, die Grundstücke der Kläger zu betreten. Auf die Frage, wie man das machen könne, hat Lindner als Experte eine klare Antwort: „Das geht nicht!“ Schälschäden seien nicht zu vermeiden: „Der Wisent wird schälen, solange er auf der Welt ist“, sagt der Diplom-Biologe.

Teure Konsequenzen

Deutliche Kritik am Herdenmanagement

Es gibt verschiedene Kritikpunkte am Herdenmanagement – Inzucht war einer: In der freilebenden Herde deckte Leitbulle Egnar auch seine eigenen Töchterkühe. Das ist bei einem Artschutzprojekt, dass aufgrund kleinen Population in einem „genetischen Flaschenhals“ steckt, zu vermeiden.

Tötung von jungen Bullen: In Rangkämpfen hat der Leitbulle der freilebenden Herde immer wieder junge Bullen getötet oder so verletzt, dass sie anschließend getötet werden mussten. Dies sei nicht immer der Fall bei Rangkämpfen, sagt Diplom-Biologe Uwe Lindner. Im Fall des durchaus als aggressiv einzustufenden Bullen Egnar hätte über eine Entnahme aus der Herde nachgedacht werden können. Immer wieder sind Jungbullen aus der Herde ausgebüxt. Mit einer konsequenten Besenderungund dem Austausch der Batterien der Sender hätte dies kontrolliert werden können, so Lindner. Im Übrigen hätte dies auch bei der Feststellung oder Vermeidung von Schälschäden genutzt werden können, so Lindner. Das es zu zwei Zwischenfällen mit Spaziergängern und Hunden in Latrop und am Albrechtsplatz gekommen sei, führt der Biologe darauf zurück, dass die Tiere noch zu zahm in die Freiheit entlassen worden seien. Eine gezielte Vergrämung – durch Bejagung einzelner Tiere oder den Beschuss mit Gummigeschossen – hätte diesen Effekt gehabt. Dann wäre es auch nicht zu „Fütterungsszenen“ wie in Alme gekommen. Als Beispiel nennt Lindner freie Wisente in Polen, die auch gezielt bejagt werden. Selbst aus Artenschutzgesichtspunkten spräche nichts dagegen, einzelne Tiere durch Abschuss aus der Herde zu nehmen – so wäre Inzucht oder die Vererbung von aggressivem Wesen durch Egnar verhinderbar.

Die Konsequenz wird sein, dass die Wisentgegner Anzeige erstatten. Das hatten sie im Gespräch mit der Redaktion bereist angekündigt. Die Folgen wären hohe Geldbußen oder die Waldbauern könnten sich auf Kosten des Trägervereins Zäune um die gefährdeten Buchenbestände bauen lassen. „Ich glaube, dass kann sich der Verein finanziell nicht leisten“, kommentiert Lindner. In der Folge sei es nur noch ein Frage von wenigen Monaten, vielleicht auch nur Wochen, bis es zum Showdown am Rothaarsteig kommt.

Bereitschaft das Projekt zu retten

In diese Konfliktlage stößt Achim Wickel. Der gebürtige Finnentroper betreibt ein vier Hektar großes Wisent-Zuchtgehege in Feudingen, das mit Artenschutzprojekten in Russland und Rumänien zusammenarbeitet. Wickel stand lange im Schatten des großen Auswilderungsprojektes in Bad Berleburg. Als Sauerländer, Wisentzüchter und nicht direkt mit dem Berleburger Projekt verbandelter Mann, will er zwischen den Parteien über den Rothaarkamm hinweg vermitteln. Mit im Boot ist auch Uwe Lindner, der mit Wickel befreundet ist und ihn seit Jahren ehrenamtlich unterstützt. Beide sind auf der Suche nach einem Kompromiss, der aus Lindners Sicht immer noch möglich wäre: „Wir haben die Bereitschaft das Wisentprojekt zu retten und ein Konzept für neue Strukturen zu erarbeiten.“ Es könne in niemandes Interesse sein, dass der Streit um die Wisente die Nachbarregionen dauerhaft trenne.“

Eine Lösung könnte sein, dass die bisherigen Gegner finanziell stärker anders für Schaden oder auch die Duldung der Wisenten entschädigt werden müssten. Naturschutzgelder von Bund, Land oder EU könnten ein Ausweg sein. Dann aber müsste ein neuer Träger statt des Vereines her, mutmaßen beide. Das Projekt direkt bei Bund und Land anzusiedeln, wäre eine Lösung.