Wittgenstein. Die Forscher haben Wittgenstein nicht im Fokus. Vielen Praxen droht das Aus, weil junge Ärzte fehlen. Jetzt müssen die Hochschulen handeln.
Was die medizinische Versorgung im ländlichen Raum betrifft, lassen Forschung und Lehre den Altkreis Wittgenstein ganz offensichtlich links liegen – obwohl die Perspektiven gerade hier nicht rosig sind, Stichwort „Zukunft der Hausarzt-Praxen“. Enttäuschung in heimischen Hausarzt-Praxen – aber nicht nur.
Die Gegenwehr
„Das müssen wir ändern“, gibt sich der Bad Berleburger Allgemeinmediziner Dr. Holger Finkernagel (78) kämpferisch. „Wir als Wittgensteiner Ärzte müssen deutlich machen: Bei uns ist es für Praktikanten auch schön.“ Aber auch für Studierende oder niederlassungswillige Ärzte-Kollegen. Leider würden Mediziner auf dem Land als eigentlich Betroffene bei Konzepten zur Verbesserung der Lage oft gar nicht gefragt.
Die Projekte
Beispiel Lebenswissenschaftliche Fakultät an der Uni Siegen: Hier liegt ein Fokus nach eigenen Angaben „auf den Herausforderungen für ländliche Regionen: Dort gibt es Versorgungslücken, und dort leben vor allem viele ältere Menschen, die selbstbestimmt und gesund bleiben wollen“. Doch konkrete Forschungsprojekte etwa in der „Digitalen Modellregion Gesundheit Dreiländereck“, wo etwa ein digitales Monitoring älterer Patientinnen und Patienten durch mobile Geräte wie Armbanduhren erprobt wird, spielen sich eher Richtung Siegerland oder im Kreis Olpe ab.
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Das räumt auch Dekan Prof. Dr. Christoph Strünck im Gespräch mit unserer Redaktion ein – und verspricht Besserung: „Die Studierenden in unseren neuen, medizinnahen Studiengängen sollen ihre Praktika in Zukunft auch im Wittgensteiner Land absolvieren können“, sagt er. Und: „Unsere neuen Professuren werden in den nächsten Jahren auch in Wittgenstein versorgungsnahe Projekte aufbauen.“ Außerdem: Gerade „in der allgemeinmedizinischen Ausbildung werden die Universitäten Bonn und Siegen in den nächsten Jahren intensiv kooperieren“, betont Strünck, „mit einem starken Fokus auf Siegen-Wittgenstein“.
Oder „Localhero“ (LOngitudinales Curriculum ALlgemeinmedizin zur Stärkung der Hausärztlichen VErsorgung in ländlichen RegiOnen), ein Verbundprojekt der Universitäten Duisburg-Essen, Düsseldorf, Bochum und Witten/Herdecke, das jungen Medizinstudenten ein Leben als Landarzt schmackhaft machen soll. Leider sind die Projekt-Praktika in vier von fünf Kreisen Südwestfalens – Olpe, Hochsauerland, Märkischer Kreis, Soest – gelaufen, aber nicht im Kreis Siegen-Wittgenstein.
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Und schließlich die „Stipendien für angehende Mediziner“ des Kreises Siegen-Wittgenstein: Wer so eine Förderung in Anspruch nimmt, verpflichtet sich nach Kreis-Angaben, sein Praktisches Jahr im Kreis Siegen-Wittgenstein zu absolvieren, sofern dazu die Möglichkeiten bestehen, und nach dem Studium die gleiche Zeit wie die Förderungsdauer im Kreis Siegen-Wittgenstein als Arzt am Krankenhaus, in einer Praxis und/oder im Gesundheitsamt zu arbeiten. Da das erste Stipendium erst vor einigen Jahren vergeben worden sei, so Kreis-Sprecher Torsten Manges, lasse sich die langfristige Wirkung für das Hausärzte-Angebot im Kreis noch nicht absehen.
Die Reaktion
„Schade, dass unsere Region nicht berücksichtigt worden ist“, bedauert Bertram Roessiger, kaufmännischer Leiter des Ärzte-Netzes für die Region Wittgenstein/Hinterland (ADR) mit rund 30 angeschlossenen Medizinern, mit Blick auf das Projekt „Localhero“. Auch von den Stipendien des Kreises „haben wir bislang nicht profitiert“. Und die beiden Hochschulen Siegen und Bonn hätten bislang leider eher Kliniken und Medizinische Versorgungszentren (MVZ) als Kooperationspartner im Blick.
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Allerdings räumt Roessiger ein, dass auch das ADR selbst nicht erfolgreich darin sei, medizinischen Nachwuchs nach Wittgenstein zu locken. So habe man vor drei Jahren immerhin rund 3000 Krankenhaus-Ärzte angeschrieben und ein eigenes Karriere-Portal im Internet geöffnet, doch: „Es ist fast gar nichts passiert“, so Roessiger – bis auf magere acht Rückmeldungen. Lediglich in Hessen hätten zwei Ärzte Partner für eine Gemeinschaftspraxis gefunden.
Kommentar: Sich wehren lohnt
Das Problem ist nicht neu: Hausärzte in Wittgenstein, zum Teil kurz vor der Rente, suchen händeringend nach medizinischem Nachwuchs, der ihre Praxis übernehmen kann. Doch der Nachwuchs, vor allem angehende Mediziner im Studium, bleibt aus.
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Umso schlimmer das Ganze, wenn sich Wissenschaftler und Studierende zwar mit der Landarzt-Problematik auseinandersetzen, nicht jedoch mit der Region, die es schmerzlich betrifft. Da muss man sich wehren, sagt der Bad Berleburger Hausarzt Dr. Holger Finkernagel – und hat völlig Recht: Wittgenstein muss mehr ins Blickfeld der Hochschulen. Ansätze für sinnvolle Studienprojekte samt Praktika gibt es genug.