Wittgenstein. Die Gewerkschaft NGG sieht berufliche Chance für Flüchtlinge im Gastgewerbe. Für lokale Gastronomen ist es eine Perspektive mit Herausforderungen

Viele Hotels und Gaststätten im Kreis Siegen-Wittgenstein sind derzeit dringend auf neues Personal angewiesen. Das Gastgewerbe zählt 113 offene Stellen. Die Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) Südwestfalen sieht eine Job-Perspektive für Menschen aus der Ukraine im heimischen Gastgewerbe. Doch was sagen die lokalen Gastronomen dazu? Können sie sich vorstellen, ukrainische Arbeitskräfte zu beschäftigen?

„Ich kann mir das ehrlich gesagt sehr gut vorstellen. Denn der Wunsch ist ja auf beiden Seiten da: Die hier ankommen, wollen arbeiten – und wir brauchen dringend Leute“, berichtet Michael Müller, Inhaber des Landgasthofs Laibach in Bad Berleburg. Er habe bereits jemanden aus der Ukraine zum Probearbeiten in seine Gaststätte. Und wenn das mit der Ausländerbehörde und Green-Card nun alles zügig klappt, will Müller seine ukrainische Arbeitskraft ab dem 1. Juni auf Minijob-Basis fest bei sich anstellen.

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Er geht jedoch davon aus, dass Arbeitsverhältnisse mit ukrainischen Mitarbeitenden nicht von Dauer sein werden. „Eine große Anzahl der Menschen, die hier hingekommen sind, werden wieder zurück in ihre Heimat gehen, wenn dieser schreckliche Krieg vorüber ist, um ihr Land wieder aufzubauen.“ Anders würde das bei Geflüchteten aus anderen Gebieten wie Afghanistan aussehen, so der Inhaber. Seiner Einschätzung nach werden diese Menschen mit hoher Wahrscheinlichkeit in Deutschland sesshaft. Auch hier sieht Müller großes Potenzial, diese als Arbeitskräfte im Gastgewerbe zu beschäftigen.

Herausforderung Sprache für Wittgensteiner Gastronomen

In das Team habe sich seine neue Arbeitskraft sofort gut eingefügt: „Das war alles top und hat auf Anhieb gepasst“, erklärt Müller. Gerade eine Tätigkeit im Gastgewerbe sei perfekt, um richtig anzukommen. „Bei uns im Service lernt man ja ganz schnell Leute kennen – und dann ist man auch ganz schnell Teil der lokalen Gemeinschaft.“ Eine der größten Herausforderungen, die geflüchteten Arbeitssuchenden in das Team zu integrieren, sei die Sprache, so der Gastronom: „Wir kommunizieren viel mit Händen und Füßen oder per Google-Übersetzer“, erklärt Müller. Seine neue Arbeitskraft sei aber vorher in einem großen Unternehmen in der Ukraine tätig gewesen, verfüge daher über gute Englisch-Kenntnisse.

Auch der Hotelier Edmund Dornhöfer vom „Relais & Châteaux Hotel Jagdhof Glashütte“ in Bad Laasphe hält die geringen Sprachkenntnisse der Geflüchteten für die größte Schwierigkeit bei der Anstellung und Integration von ukrainischen Arbeitnehmern. Er selbst könne sich aber vorstellen, ukrainische Arbeitskräfte in seinem Fünf-Sterne-Haus im Bereich der Zimmer oder der Wäscherei einzustellen. „Wenn Arbeitssuchende dabei sind, die gut Englisch sprechen können oder bereits über Deutsch-Kenntnisse verfügen, wäre auch eine Anstellung im Service oder in der Küche möglich“, erklärt der Hotelier.

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Er findet, dass der Einsatz von ukrainische Arbeitssuchende eine „großartige“ Möglichkeit sei, um das Personal, das überall weggefallen sei und aktuell fehle, wieder aufzustocken. „Der Mangel an Arbeitskräften kann so vielleicht wieder ein wenig ausgeglichen werden“, sagt Dornhöfer. Die Arbeit im heimische Gastgewerbe könne den Geflüchteten dabei helfen, anzukommen und in Wittgenstein Fuß zu fassen.

Gewerkschaft sieht Chance für Wittgenstein

Die Gewerkschaft NGG knüpft die Beschäftigung aber an einige Bedingungen: „Voraussetzung ist, dass die Bezahlung stimmt. Denn wer vor dem Krieg flieht und bei uns Schutz sucht, darf nicht ausgenutzt werden“, sagt Isabell Mura, Geschäftsführerin der NGG. Gastwirt Michael Müller stimmt zu: „Uns Gastronomen wurde ja schon vorgeworfen, dass wir uns aufgrund der hohen Personalknappheit auf die Geflüchteten stürzen würden und sie ausnutzen.“ Das sei aber Quatsch: „Die ukrainischen Arbeitnehmer werden bei uns genauso behandelt und vergütet wie jeder andere auch“, betont Müller. Und viele suchten bereits nach Arbeit, so Mura. Die Geschäftsführerin der NGG-Region Südwestfalen verweist auf aktuelle Zahlen der Arbeitsagentur. Danach zählte das Gastgewerbe im Kreis Siegen-Wittgenstein im April 113 offene Stellen. Das seien 55 mehr als noch im Vorjahr.

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Die Branche sei ideal für den Quereinstieg, erklärt Mura weiter: „Von der Küche bis zum Service – hier haben auch Beschäftigte ohne Berufsausbildung gute Chancen.“ Gerade das Gastgewerbe sei weltoffen: Dort arbeiteten schon immer Menschen unterschiedlichster Herkunft. Und das Potenzial der Geflüchteten sei enorm: Nach Angaben des Bundesinnenministeriums waren 92 Prozent der Geflüchteten aus der Ukraine in ihrer Heimat erwerbstätig oder befanden sich in der Ausbildung.

Nun ist die Politik am Zug

Jetzt sei die Politik in der Pflicht, rasch die Weichen zu stellen, um das Fußfassen auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu erleichtern. Denn angesichts des hohen Anteils an Frauen mit Kindern unter den Geflüchteten müsse sich der Staat zudem um genug Kita- und Schulplätze kümmern. „Ohne Betreuungsangebote kommt für die Eltern maximal ein Minijob mit wenigen Wochenstunden infrage. Damit wäre allerdings die Chance auf eine echte berufliche Integration vertan“, warnt Mura.

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Wichtig sei auch, dass die ukrainischen Bildungsabschlüsse unkompliziert anerkannt werden. „Und es muss einen vereinfachten Zugang zu Sprachkursen geben. Denn die Sprache ist der Schlüssel, um zurecht zu kommen“, sagt Mura. Sie macht deutlich: „Das Gastgewerbe steht für Gastfreundschaft und Willkommenskultur. Dazu gehört in dieser Situation, dass die Menschen, die arbeiten wollen, fair zu bezahlen und zu behandeln. Gleichzeitig sollte die Arbeitgeber Geduld haben – gerade wenn am Anfang Deutsch-Kenntnisse noch fehlen.“ Das Hotel- und Gaststättengewerbe habe das Zeug dazu, ein „Integrationsmotor“ zu werden. Diese Chance sollte die Branche nutzen, so Mura.

Höhere Löhne im Gastgewerbe

Gewerkschafterin Isabell Mura freut es, dass sich die Bezahlung im heimischen Gastgewerbe zuletzt deutlich verbessert habe. Nach dem aktuellen Tarifvertrag, den die Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) mit dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) ausgehandelt hat, liegt der Einstiegsverdienst in der Branche in NRW seit Mai bei 12,50 Euro pro Stunde – weit mehr als bislang. Fachkräfte kommen auf einen Stundenlohn von mindestens 13,95 Euro. „Diese Einkommen machen die Arbeit an Theke und Tresen deutlich attraktiver. Nicht nur Beschäftigte aus dem Kreis Siegen-Wittgenstein, sondern gerade auch Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, die einen Job suchen, sollten darauf bestehen, nach Tarif bezahlt zu werden“, rät Mura.

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Auch Michael Müller begrüßt es, dass die Löhne im Gastgewerbe gerade erst angestiegen sind. „Wir haben einen guten Anschub bekommen, was auch wirklich mal überfällig war. Vielleicht kam die Steigerung nach den vielen Krisen für unserer Branche nicht zum günstigen Zeitpunkt, aber das sieht jetzt doch schon besser aus für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“, erläutert Müller.

Tipps gibt es bei der NGG vor Ort. Infos rund um die Arbeitsrechte, die Nicht-EU-Bürger haben, bieten die Beratungsstellen des gewerkschaftsnahen Netzwerks „Faire Integration“ – auch in ukrainischer Sprache – unter www.faire-integration.de.