Siegen/Aue-Wingeshausen. Mit der Angst vor Festnahme und Abschiebung ist der aserbaidschanische Flüchtling Elvin Muradi nach Siegen gefahren. Doch jetzt herrscht Freude.
Mit gemischten Gefühlen ist Elvin Muradi am Donnerstag nach Siegen gefahren. Bei dem Termin in der Ausländerbehörde des Kreises schwebte nach wie vor das Damoklesschwert der Abschiebung über der fünfköpfigen Familie aus Aserbaidschan. Doch damit ist jetzt Schluss. Der Druck von fast drei weiteren Monaten Duldung ist abgefallen. Aber selbstverständlich war das nicht.
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Aus Angst, ebenso wie seine Frau Sevine in Abschiebehaft genommen zu werden, war Elvin Muradi mit seinem Integrationshelfer Helmut Kessler und dem Bad Berleburger Pfarrer Peter Liedtke nach Siegen gefahren. Allerdings: „Die Sevine konnte wir gar nicht bewegen, mitzufahren“, berichtet Kessler. Zu schwer lastet das Erlebnis der Festnahme auf der Mutter dreier Kinder. Deswegen war auch Pfarrer Liedtke für Elvin Muradi zum Amt gegangen.
Härtefallkommission ebnet den Weg
Zurück kam er mit einer guten Nachricht für die gesamte fünfköpfige Familie, denn: Die Ausländerbehörde des Kreises Siegen-Wittgenstein ist erwartungsgemäß der Entscheidung der Härtefallkommission gefolgt und hat eine Aufenthaltsgenehmigung erreicht.
Wie das funktionieren kann, erläutert der für die Ausländerbehörde zuständige Dezernent der Kreisverwaltung, Thiemo Rosenthal. Zunächst einmal wurde für die gesamte Familie eine dreimonatige Duldung ausgesprochen. Anschließend kann sie einen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis stellen.
Dieses Papier ist so gut wie ein Pass
Konkret geht es um einen elektronischen Aufenthaltstitel (eAT). „Das ist so etwas wie ein Pass“, erläutert Rosenthal. Und genau diese Dokument fehlt Elvin Muradi. Die dreimonatige Duldung vorweg hat die Ausländerbehörde eingerichtet, damit die Muradis in der Zwischenzeit alle greifbaren Dokumente beibringen können, die für einen Pass oder Personalausweis notwendig wären. Hinzu kommt die Erfassung biometrische Daten, also Fotos und ein Fingerabdruck. All das brauche man für den Antrag auf einen eAT. Außerdem ist in der Duldung noch eine zusätzliche Gestattung enthalten. Damit können Sevine und Elvin Ausbildungen beginnen und arbeiten gehen. Elvin möchte eine Ausbildung zum Altenpfleger machen Sevine zunächst einmal einen Job suchen.
Bei einer normalen Duldung sei dies nicht der Fall, so Rosenthal. Die ist mit einem Arbeitsverbot gekoppelt.
Besondere Möglichkeiten
Auch an dem Dezernenten gehen diese Fälle nicht spurlos vorbei. Aber Rosenthal macht auch die rechtliche Situation klar, die kaum Spielraum lasse. „Erst die Entscheidung der Härtefallkommission eröffnet uns überhaupt diese Möglichkeit durch den Paragrafen 23a des Aufenthaltsgesetzes“, so Rosenthal. Dieser Passus macht es möglich, vom vorgegebenen gesetzlichen Rahmen abzuweichen. Mit diese echten Perspektive kehrte Pfarrer Liedtke zu Helmut Kessler und dem nervösen Elvin Muradi zurück. Ein Moment, auf den viele Unterstützer gewartet haben.
„Die Muradis sind natürlich unheimlich glücklich“, berichtet ein ebenso erleichterter Helmut Kessler. „Die Arbeit hat sich gelohnt“, sagt er und dankt zugleich auch den vielen Helfern, „die uns Geld für die Anwälte gegeben oder die uns moralisch unterstützt haben“. Namentlich nennt er auch das Bündnis „Recht zu bleiben“.
Zwei ähnliche Fälle stehen noch an
Genau beobachtet wird der Ausgang dieses Falles auch bei den Familien von Karen Agayan aus Netphen und Robert Muradyan aus Bad Berleburg. Die beiden letzteren sind aus Armenien nach Deutschland geflüchtet. Agayan kam noch als Kind hierher und Muradyan flüchtete mit seiner Lebensgefährtin und zwei Kindern via Russland nach Bad Berleburg. Agayan müsste im Falle seiner Abschiebung Lebensgefährin und Kind hier zurücklassen. Muradyan saß ebenso wie Sevine Muradi bereits nach einem Termin der Ausländerbehörde in Abschiebehaft, die aber wegen einer Corona-Infektion ausgesetzt wurde. Sie alle gelten in ihren neue deutschen Heimatorten als völlig integriert und werden bei ihrem Wunsch zu bleiben unterstützt.
Vielleicht haben auch diese beiden Familien bald einen Grund zu feiern – so wie die Muradis in Aue-Wingeshausen.