Erndtebrück. In Erndtebrück wird über Ausstattung diskutiert. Das verändert etwas bei den Ehrenamtlichen. Aber es gibt eine Alternative - die keiner will.
„Warum ausgerechnet ich? Was habe ich mit dieser blöden Feuerwehr zu tun?“ So wurde im Jahr 2008 eine Frau in List auf Sylt in einem Spiegel-Artikel zitiert, die aufgrund fehlender Aktiver in der Freiwilligen Feuerwehr zum Feuerwehrdienst verpflichtet wurde. Wie viel der Dienst einer Freiwilligen Feuerwehr wie der in Erndtebrück wirklich wert ist, sieht man auch an dieser Alternative: Eine Pflichtfeuerwehr. Im Zuge des Eklats im Feuerwehr-Ausschuss steht auch die Frage nach der Wertschätzung der Freiwilligen Feuerwehr im Raum – und was passieren kann, wenn aufgrund fehlender Wertschätzung die Bereitschaft für dieses Ehrenamt nicht mehr ausreicht.
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52 ehrenamtlich Tätige pro 100 Einwohner im Kreis Siegen-Wittgenstein, 147,6 Stunden pro ehrenamtlich tätiger Person pro Jahr: 212 Millionen Euro ist die Arbeit aller für alle ehrenamtlich Engagierten ab 18 Jahren – pro Jahr – im Kreis wert. Westlotto hat auf Basis einer aktuellen Forsa-Umfrage einen Ehrenamtsatlas für NRW erstellt. Die Feuerwehr und DRK machen davon sieben Prozent aus: Umgerechnet würde das einen Wert 14,84 Millionen Euro bedeuten, die der Kreis dank des Einsatzes dieser Menschen im Ehrenamt spart.
Kameraden können Diskussion nicht ertragen
Ein Blick zurück zu besagtem Ausschuss: „Die Kameraden sehen den Streit und die Diskussionen hier und können das nicht ertragen“, sagte Erndtebrücks Feuerwehr-Chef Karl-Friedrich Müller damals. In einem Gespräch bestätigt er, dass es unter Bedingungen, in denen die Feuerwehrleute die Wertschätzung nicht nur nicht spüren sondern auch Hürden wahrnehmen, nicht nur schwierig ist, Nachwuchs in die Reihen der Aktiven zu gewinnen, sondern auch Kandidaten für die Leitung der Feuerwehr zu finden. „Das ist etwas, auf das wir zulaufen“, so Müller. Wenn niemand die Nachfolge von Müller antreten wolle, müsse beispielsweise ein externer, hauptberuflicher Wehrführer eingestellt – und auch entlohnt – werden. Eine solche Stelle komme einem Abteilungsleiter gleich und werde auch so bezahlt. Und auch zwei Stellvertreter müssten eingestellt werden, so Müller.
Doch auch was die Besetzung der Aktiven in Erndtebrücks Freiwilligen Feuerwehr betrifft, liegt die Gemeinde hinter dem Soll: Laut aktuellem Brandschutzbedarfsplan würden 189 Feuerwehrleute benötigt, um ausreichenden Brandschutz zu gewährleisten. Zuletzt gab es 149. Derzeit kann diese Differenz aufgefangen werden: „Dies wird kompensiert, indem bei Personalmangel Feuerwehrleute aus weiteren Einheiten alarmiert werden können. Die Feuerwehr unterstützt sich durch gegenseitige Löschhilfe an den jeweiligen Beschäftigungsorten. [...] In den nächsten Jahren werden weitere Kameraden aus Altersgründen in die Ehrenabteilung wechseln. Hinzu kommt, dass durch die Abschaffung der Wehrpflicht keine Freistellungen für den Feuerwehrdienst mehr erfolgen. Dies führt zu einem weiteren Ausfall, da diese Kameraden in der Regel nach der Entpflichtung im Feuerwehrdienst verblieben sind“, wird die Situation im Brandschutzbedarfsplan beschrieben.
Jeder kann verpflichtet werden
Was passiert, wenn auch das Personal in benachbarten Einheiten nicht mehr ausreicht? Hierfür liefert das Gesetz über den Brandschutz, die Hilfeleistung und den Katastrophenschutz (BHKG) eine eindeutige Antwort: „Die Gemeinde hat eine Pflichtfeuerwehr einzurichten, wenn eine Freiwillige Feuerwehr nicht zustande kommt oder die bestehende öffentliche Feuerwehr einen ausreichenden Brandschutz nicht gewährleisten kann.“ Karl-Friedrich Müller erklärt, was dahinter steckt: „Dann können alle Bürger zwischen 18 und 60 Jahren zum Feuerwehrdienst verpflichtet werden. Das bedeutet, dass Menschen, die nicht so motiviert und leidenschaftlich bei der Sache sind, in kurzer Zeit die Ausbildungen durchlaufen müssen. Was wir Freiwilligen uns in vielen Jahren an Wissen angeeignet haben, müssten diese Leute innerhalb kürzester Zeit lernen.“ Nur, wer einen triftigen Grund wie Krankheit vorweisen kann, kann nicht verpflichtet werden. Außen vor sind laut BHKG auch Polizeivollzugsbeamte, Einsatzkräfte der anerkannten Hilfsorganisationen, feuerwehrtechnische Beamtinnen und Beamte, Angehörige der Werkfeuerwehren sowie die Angehörigen der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk.
Pflichtfeuerwehren gibt es in Deutschland aktuell fünf – eine davon ist die in der Gemeinde List auf Sylt. Unter Androhung eines Zwangsgeldes wurden einzelne Bürger aufgefordert, sofort zum ersten Ausbildungsdienst zu erscheinen und sich beim zuständigen Wehrführer zu melden.
Intention im Bedarfsplan
„Man muss sich die Frage stellen, ob man eine motivierte Freiwillige Feuerwehr haben möchte oder ob man riskiert, dass Menschen ohne Leidenschaft für diese Arbeit für die Sicherheit der Bürger zuständig sind“, so Müller. Um den Nachwuchs zu sichern, hat die Gemeinde eine Intention im Brandschutzbedarfsplan festgeschrieben: „Es muss weiterhin konsequent versucht werden, neue Aktive für die Feuerwehr zu gewinnen. Insbesondere im Bereich der Kinder- und Jugendfeuerwehr sind geeignete Maßnahmen durchzuführen, um einen Bestand an Nachwuchs auf Dauer zu sichern. Neben der erforderlichen technischen Ausrüstung sind eine qualifizierte Ausbildung und eine qualitativ gute persönliche Schutzausstattung der Feuerwehrkameradinnen und -kameraden wichtige Bestandteile, um den Bestand der Aktiven zu sichern.“