Bad Berleburg. Die Kassenärztliche Vereinigung lobt Praxen, die ab 1. Februar zusätzliche Infektsprechstunden anbieten. Lokale Ärzte haben Argumente dagegen.

Sven Janson schüttelt mit dem Kopf. „Ich habe das Schreiben der Kassenärztlichen Vereinigung gelesen“, sagt der Arzt mit Praxis in Bad Berleburg. Von der Idee, ab Mittwoch, 2. Februar, zusätzliche Infekt-Sprechstunden ausschließlich für Covid-19-Patienten anzubieten, hält er gar nichts. Und auch sein Berufskollege Dr. Oliver Haas von der Gemeinschaftspraxis Haas und Röhl in Erndtebrück hat kein Verständnis für diesen Vorstoß, aber eine Erklärung: „Für jede angebotene Corona-Infekt-Sprechstunde an einem Samstag oder Mittwochnachmittag von mindestens vier Stunden zahlt die KVWL einen Strukturkostenzuschlag von 600 Euro je Praxis – zusätzlich zur Vergütung der abgegebenen Leistungen“, heißt es in einem Anschreiben der KVWL.

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Dr. med. Oliver Haas ist gegen zusätzliche Sprechstunden, weil sie ohnehin schon täglich viele Corona-Patienten betreuen.
Dr. med. Oliver Haas ist gegen zusätzliche Sprechstunden, weil sie ohnehin schon täglich viele Corona-Patienten betreuen. © WP | WP

„Ich habe mich darüber mächtig aufgeregt“, sagt Oliver Haas. „Immerhin machen wir das jeden Tag seit Beginn der Pandemie, ohne dafür einen zusätzlichen Euro zu bekommen. Aber es geht ja auch nicht ums Geld, sondern darum, dass wir durch die Pandemie kommen“, sagt Haas. 50 bis 60 Patienten mit Covid-19-Verdacht oder Corona-Erkrankung werden täglich in Erndtebrück behandelt.

Die Kassenärztliche Vereinigung indes betont: „Angesichts weiter steigender Corona-Zahlen haben viele Praxen in Westfalen-Lippe ergänzende Infekt-Sprechstunden eingerichtet. Sie finden im Februar jeweils an zwei Tagen pro Woche (samstags oder mittwochnachmittags) statt und dienen zur Behandlung bzw. Abklärung von Patienten mit COVID-19-Symptomen.“

KVWL wirbt für „pragmatische Lösungen“

Der Vorstandsvorsitzende der KVWL, Dr. Dirk Spelmeyer, lobt das Vorgehen: „Pragmatische Lösungen aus Westfalen-Lippe während der Corona-Pandemie haben inzwischen Tradition. Mein Dank geht an alle Ärztinnen und Ärzte, die einmal mehr zeigen, wie stark und flexibel unser System ist. Auch das Zusammenspiel mit den Krankenkassen hat an dieser Stelle hervorragend funktioniert“, konstatiert Spelmeyer. Bei den Infekt-Sprechstunden handele es sich um einen Baustein eines mehrstufigen Konzeptes, das die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe mit angestoßen habe und das vom NRW-Gesundheitsministerium unterstützt worden sei. Ziel dieser Erweiterung der ambulanten medizinischen Versorgung ist eine Entlastung und Unterstützung von Krankenhäusern und Notfallambulanzen. Mehr als 100 Praxen in Westfalen-Lippe hätten sich schon dazu bereit erklärt, zusätzliche Infekt-Sprechstunden anzubieten – Tendenz steigend, heißt es von der KVWL aus Dortmund.

Der in der Pressemitteilung mitgeschickte Internet-Link soll per Postleitzahlensuche helfen, Praxen in der Nähe zu finden. Der Test der Redaktion bleibt eindeutig. In Wittgenstein bietet nicht eine Praxis solche zusätzlichen Infekt-Sprechstunden an. Die nächstgelegene Praxis ist die der Mediziner Kötz und Schipper in Netphen.

Sven Janson: Mehraufwand spürbar

Auch der Bad Berleburger Hausarzt Sven Janson hält nichts von der Sonderregelung: „Wir bieten diese Infekt-Sprechstunden für Menschen mit Erkältungssymptomen mittags nach der normalen Sprechstunde an.“ Der Aufwand sei enorm, weil diese Covid-19-Patienten zusätzlich zu den im Winter verstärkt auftretenden üblichen Menschen mit Erkältungssymptomen betreut werden. „Mein Team hat bereits viel zu tun“, berichtet Janson darüber, dass die gesamte Praxis über die übliche Hygiene hinaus vor und nach den Infekt-Sprechstunden zusätzlich desinfiziert wird.

Generell sei der Versorgungsaufwand rund um Corona gestiegen. In den zusätzlichen Nachmittagsstunden werden Abstriche, Herz- und Lungenuntersuchungen standardisiert durchgeführt. Freitags bietet Janson außerdem Impfungen an – auch wenn deren Zahl zurück gehe. Gleichzeitig hätten viele Patienten großen Informationsbedarf rund um Krankheitsverläufe oder eben aktuell auch rund um die Impfung von Beschäftigten im Gesundheitswesen. „Und weil wir das bereits an fünf Tagen die Woche machen, halte ich nichts von zusätzlichen Infekt-Sprechstunden“, macht der Mediziner klar.

KVWL lobt Ärzte

Die KVWL sieht das anders: „Das ist ein großartiges Zeichen aus der Ärzteschaft. Wie schnell und entschlossen die Kolleginnen und Kollegen und die Medizinischen Fachangestellten einmal mehr agieren, macht uns stolz. Genau diesen Zusammenhalt werden wir im Kampf gegen die Pandemie weiter benötigen“, sagt Dr. Volker Schrage, stellv. Vorstandsvorsitzender der KVWL. Das Angebot der Infektsprechstunden können auch praxisfremde Patienten wahrnehmen. KVWL-Vorstandsmitglied Thomas Müller: „Der Kampf gegen Corona ist noch nicht vorbei. Mit ergänzenden Infektsprechstunden leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Entschärfung der derzeit angespannten Lage.“