Erndtebrück. 40 Jahre Kommunalpolitik sind genug finden der frühere Erndtebrücker Bürgermeister. ER spricht über Erinnerungen, Begegnungen und Zukunftspläne.

Heinz-Josef Linten freut sich über die neu gewonnene Freiheit. 40 Jahre Kommunalpolitik sind genug, findet der 68-Jährige. Jetzt setzt der ehemalige Erndtebrücker Bürgermeister und CDU-Fraktionsvorsitzende andere Prioritäten. Darüber und über seine positiven wie schmerzhaften Erinnerungen an vier Jahrzehnte politischer Arbeit sprechen wir mit dem Christdemokraten in seinem Garten bei einer Tasse Kaffee.

Sie haben Ihre politische Laufbahn nach der Kommunalwahl beendet. Welche Rolle spielt das Wahlergebnis? Oder haben andere Gedanke überwogen?

http://Erndtebrück-_Heinz-Josef_Linten_beendet_politische_Arbeit{esc#230435436}[news]Heinz Josef Linten Das sind mehrere Faktoren gewesen. Das schlechte Abschneiden insgesamt hat eine Rolle gespielt, es gab aber auch andere Dinge. Ich hatte schon Anfang des Jahres überlegt, ob ich noch einmal antrete. Ich bin im Ruhestand, hatte eine schwere Fußverletzung und werde mich operieren lassen. Das bedeutet aber auch, dass ich lange ‘raus sein werde. Dann spielt die Familie eine Rolle. Ich habe zwei Enkelkinder, drei und vier Jahre alt. Das ist für mich die allerschönste Beschäftigung. Meine Frau und ich sind 68. Wir verreisen gern und unternehmen viel.

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Welche Rolle spielt der Gedanke, dass jetzt jüngere Kräfte in der Politik übernehmen sollten?

Irgendwann kommt diese Erleuchtung: Lass mal die Jungen machen. Und dazu kommt die Erkenntnis: Drei Stunden mit dem Enkelkind etwas zu unternehmen ist schöner als drei Stunden in einer Ausschusssitzung zu sitzen – vor allem im Sommer, wenn von von draußen der Duft von Bratwürstchen und Steaks reinkommt.

Fällt Ihnen das Aufhören schwer?

Ich habe leidenschaftlich gerne Kommunalpolitik gemacht, aber wir haben viele junge Leute. Die sagen mir zwar, dass meine Erfahrung fehlen wird, aber die kann sich jeder aneignen. Und ich denke: Lass die mal machen. Hinzu kommt noch ein Punkt: Ich habe in der Kommunalpolitik ja auch alles erreicht.

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Wie sind Sie eigentlich zur Politik gekommen?

Durch die Westfalenpost, durch die Zeitung. Damals waren die Zeitungen froh, einen freien Mitarbeiter vor Ort zu haben. Ich bin gebeten worden, von den Ratssitzungen zu schreiben. Damals saßen noch die Honoratioren im Rat. Und spätestens als der Gemeindedirektor Wilkes per Losentscheid gewählt worden ist, habe ich mir gedacht: Wieso können die sich nicht vorher zusammensetzen und sich auf einen Kandidaten einigen? Das war für mich schrecklich, weil ich erlebt habe, dass der politische Kompromiss der richtige Weg ist. Das wird heute gerne so dargestellt, als sei der Kompromiss ein Ergebnis zweiter Wahl, das ist es aber nicht.

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Wann haben Sie die Pressebank mit dem Sitz im Gemeinderat getauscht?

Als die Kommunale Neugliederung kam, habe ich mich beworben und bin mit 22 Jahren am 4. Mai 1975 in den Rat der Gemeinde Erndtebrück gewählt worden. Mit einer Unterbrechung von fünf Jahren bis heute sind das genau 40 Jahre. Davon war ich zehn Jahre Bürgermeister und seit 2012 Fraktionsvorsitzender.

Sie waren aber auch im Kreistag aktiv, oder?

1984 kam der Kreistag dazu. Da saß ich als stellvertretender Fraktionsvorsitzender in der ersten Reihe. In diesen Jahren habe ich viel gelernt. Und ich war fünf Jahre stellvertretender Landrat. In meiner Zeit als stellvertretender Landrat kam auch mal ein Anruf: Morgen müssen Sie nach Berlin, da wird der Bürgermeister von Spandau 50. Dann kam der Fahrer und dann ging es nach Köln zum Flughafen...

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Weil Landrat Walter Nienhagen keine Zeit hatte?

Genau. Mit Walter Nienhagen habe ich mich übrigens unheimlich gut verstanden. Seine Vita ist unglaublich. Er hat ja in Bautzen gesessen und ist als Sozialdemokrat verfolgt gewesen. Nienhagen ist sehr ausgleichend gewesen, auf dem Teppich geblieben. Und an seiner Stelle fuhr ich dann nach Berlin, traf dort den Innensenator Lummer und war abends wieder zu Hause.

Als ehrenamtlicher Politiker häufen sich die Termine...

Wie ich das geschafft habe (schüttelt den Kopf). Ich war nebenamtlicher Bürgermeister, stellvertretender Landrat und Abteilungsleiter in Sparkasse. Ich hab es geschafft, aber manchmal fragt man sich: Wie ging das?

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Sie waren nicht nur ehrenamtlicher Bürgermeister?

Ich war der letzte ehrenamtliche und der erste hauptamtliche. Ich gewann 1999 die Wahl. Zuvor war ich von FDP und CDU-Fraktion gewählt. Und in 1999 war mein Gegenkandidat Arno Wied (SPD, die Red.). Da gewann ich mit 65,9 Prozent. Aber ich muss eins sagen: Arno Wied war mein Beigeordneter und ich hatte immer ein gutes Verhältnis zu ihm. Das Wahlergebnis damals spiegelte nicht seine Leistung wider, das ist bei Wahlen so.

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Bürgermeister waren Sie bis 2004...

Genau, und dann habe ich Pause gemacht bis 2009. Und dann wurde ich gebeten: Komm doch wieder in den Rat. Und in 2012 habe ich dann den Fraktionsvorsitz von Carsten Dreisbach übernommen.

Was war Ihnen in all der Zeit besonders wichtig?

Mir war wichtig, Leute zu begeistern. Es ist ganz egal, in welche Partei du gehst. Es ist immer besser als rumzumotzen, die Füße hochzulegen und nichts zu tun. In der Bevölkerung kursieren da auch falsche Ansichten. 90 Prozent der Entscheidungen werden gemeinschaftlich getroffen. Und die zehn Prozent werden im Streit entschieden. Aber Streit ist positiv. Das hat nichts mit Nörgeln zu tun. Aus dem Streit erwächst ein Kompromiss, der erfahrungsgemäß lange hält.

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Gibt es rückblickend Dinge, auf die Sie stolz sind?

Ja. Aber ich weiß, dass dies immer im Team gelungen ist. Ich bin glücklich, dass wir hier ein Altersheim haben. Landrat Elmar Schneider und Paul Breuer haben auch gesagt: Nutzt die Chance, sonst bekommt ihr nichts.

Mir fällt der Zweckverband ein, der in dieser Zeit gegründet wurde...

Meine Aufgabe war es, die Grundstücke herbeizuholen. Ich war bei der Geburt des Zweckverbandes dabei. Und auch bei Abgabe des Krankenhauses an die WKA und der Gründung des Rothaarsteigs. Mir war auch der touristische Aspekt sehr wichtig. Wir haben viele Gäste, wie beispielsweise Marie-Luise Marjan, die begeistert waren von der Natur, was manche hier vor Ort gar nicht sehen.

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Sie sprechen das Thema touristische Vermarktung an. Ist das in Erndtebrück zu kurz gekommen?

Eindeutig. Wir haben den Rothaarsteig, den Ederauen-Radweg, die Premiumwege. Das ist für uns eine einmalige Chance. Wieso loben immer nur Auswärtige unsere Natur und wir sagen, wir hätten mit Tourismus nichts am Hut? Das halte ich für falsch.

Beim Zweckverband Region Wittgenstein ist ja die Wittgensteiner Wanderkarte angesiedelt. Wäre das nicht auch der Ort für eine gemeinsame touristische Vermarktung?

Eine Konzentration nur auf den Industriepark halte ich für falsch. Ich meine schon, dass das eine Plattform ist, wo man das ansiedeln kann. Ich habe auch den Vorschlag gemacht, mit BLB-Tourismus zusammenzuarbeiten. Andreas Bernshausen ist ja ein Erndtebrücker Junge. Aber es gibt da Vorbehalte.

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Gibt es auch Themen, in denen Sie als Kommunalpolitiker mehrer erreichen wollen?

Ja. Wir müssten als Wittgensteiner Kommunen viel enger zusammenarbeiten. Es ist nicht damit getan, gemeinsam das Toilettenpapier einzukaufen – überspitzt gesagt. Wenn ich den Materialbedarf auf dem Bauhof sehe, frage ich mich: Muss jede Kommune das vorhalten? Bad Berleburg kann das noch eher, aber ich sehe, wie schwer es Erndtebrück fällt. Und ganz ernsthaft gesprochen: Eigentlich können wir uns eine Drehleiter für 700.000 Euro nicht erlauben. Wir können uns auch nicht erlauben, beim Hallenbad so zu tun, als wenn nichts wäre. Das kostet uns zwischen 300.000 und 400.000 Euro jedes Jahr. Natürlich muss man etwas für die Volksgesundheit tun – und man kann so etwas nicht in die schwarze Null fahren.

Haushalt ist ein schwieriges Thema für eine kleiner werdende Gemeinde, zumal es steuerliche Ungerechtigkeiten gibt. Erndtebrück wird ja steuerstark gerechnet...

Das war ja der Ärger. Dass wir vom Land gezwungen wurden, eine Solidarumlage für defizitäre Kommunen im Ruhrgebiet abzugeben. Nennen wir mal Essen. Rot-Weiß Essen spielt in einer Liga mit dem TuS Erndtebrück – in der Regionalliga. Die Stadt Essen hat dem Verein in dieser Zeit ein neues Stadion gebaut, und hier ist es der TuS Erndtebrück, der diese vorbildliche Sportzentrum vorhält – ohne große Unterstützung durch die Gemeinde. Wir haben zu der Zeit was für den Schulsport und die Nutzung der Kampfbahn gegeben. Ich fand das ungerecht und bin froh, dass das vorbei ist.

Ich bin ja nun von Hause aus Banker, und die Haushaltssituation hat im Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt. Das verstehe ich nicht, weil auch bei uns die Gemeindeprüfungsanstalt war und wir müssen auch den Haushalt bis 2024 ausgeglichen haben. So groß ist der Abstand zu Bad Laasphe nicht. Deshalb kann ich als Bankmensch das nicht verstehen.

Mit Heinz-Josef Linten sprach Lars-Peter Dickel