Bad Berleburg. . Der Bad Berleburger SPD-Fraktionsvorsitzende im Gespräch über Windkraft, die Flüchtlingskrise und warum Demokratie ein Mitmachsystem ist.

Dieser Job ist nicht Vergnügungssteuerpflichtig. Kommunalpolitiker stehen in der Kritik, weil sie Entscheidungen treffen. Aber durch die oft unversöhnliche und von Gefühlen geprägte Diskussion um Flüchtlinge und Windkraft kommt ein neuer Zungenschlag in die Politik. Bernd Weide, Fraktionsvorsitzender der SPD im Bad Berleburger Stadtrat formuliert es zugespitzt: „Immer mehr Mitmenschen scheinen zu glauben, dass eine Demokratie so etwas wie ein kostenloser All-inklusiv-Urlaub ist, mit Flatrate-Garantie auf die gerade persönlich benötigten Leistungen.“

Warum sind Sie Kommunalpolitiker geworden?

Zur Person Bernd Weide

Bernd Weide ist Jahrgang 1961 und verheirateter Familienvater.

Von Beruf ist Weide Technischer Betriebswirt bei der Firma Steiner.

Wenn er nicht arbeitet oder als Kommunalpolitiker unterwegs ist, spielt Bernd Weide gerne Golf und fotografiert leidenschaftlich.

Bernd Weide: Vermutlich sollte ich jetzt irgendetwas sagen wie: weil ich schon als Kind den großen Drang verspürt habe, mich für meine Mitmenschen und die Gesellschaft einzusetzen. Die ehrliche und wenig ruhmreiche Antwort ist, dass ich in den 1980er Jahren aus einer Laune heraus in die SPD eingetreten bin, weil ich den Haufen und seine Grundsätze und Werte für mich am überzeugendsten empfand und immer noch empfinde. Vermutlich habe ich mich am Anfang dann nicht entschieden genug gegen angetragene Ämter und Kandidaturen gewehrt, die ich eigentlich für mich nicht wirklich in der Planung hatte. So beginnt das Unheil mit der Kommunalpolitik wahrscheinlich bei vielen. Und natürlich ist dann über die Jahre auch Spaß an diesem Ehrenamt hinzugekommen, sonst hätte ich das nicht so lange neben meinem eigentlichen Beruf nebenbei gemacht.

Die Bundes- und Landespolitik wirkt sich auch auf Ihre Arbeit in Bad Berleburg aus. Mir fallen spontan drei Felder ein: Nehmen wir die Flüchtlingsströme, die nach Europa und nach Deutschland kommen. Es gibt viele Menschen, die Angst vor fremden Menschen haben, die Angst davor haben, dass der Merkel-Satz „Wir schaffen das“ nicht funktioniert. Warum betrachten Sie die Integration dieser Menschen als Chance?

Als ich mit der Kommunalpolitik angefangen habe, hatte Bad Berleburg fast 22 000 Einwohner in der Kernstadt und den Ortschaften. Jetzt sind wir bei unter 20 000 Menschen, die zudem in den letzten 20 Jahren auch im Durchschnitt fast 20 Jahre älter geworden sind. Die Bezeichnung ‘Demographischer Wandel’ bedeutet also auch langsam sterbende Ortschaften, wenn man es nüchtern betrachtet.

Was bedeutet das für die Politik?

Wir mussten uns mehr als einmal über Schulschließungen unterhalten, wir haben Leerstände und Überalterung. Gleichzeitig gibt es einen immer größeren Mangel an Arbeitskräften, solchen mit akademischer Ausbildung aber auch guten Facharbeitern, Handwerkern, Pflegekräften, Verkaufspersonal, Mitarbeitern in der Gastronomie und so weiter. Und das ist erst der Anfang. Meine Jahrgänge ab 1960 gehen in den nächsten Jahren in Rente, bei vorher stetig zunehmendem altersbedingten Krankenstand. Manche Betriebe werden innerhalb von nicht viel mehr als fünf Jahren dabei bis zu 20 Prozent der Belegschaften verlieren.

Welche Bedeutung haben die Flüchtlinge in dieser Betrachtung?

Dieser sogenannte Flüchtlingsstrom wird bei uns in Bad Berleburg dauerhaft vermutlich nur ein Rinnsal von wenigen Dutzend Menschen sein. Denjenigen davon, die ernsthaft eine neue Heimat suchen, in Form von Sicherheit, Arbeit, Wohnung und Perspektiven für sich und ihre Kinder, denen sollten wir diese Chance bieten und sie beim Wurzeln schlagen aktiv unterstützen. Aber bitte ehrlich mit den Menschen umgehen. Man kann nicht parallel zur Integration fordern, den Flüchtlingen müsse gleichzeitig vermittelt werden, dass sie wieder in ihre Heimat zurückkehren müssten, sobald ihr Land befriedet sei.

Was sagen Sie den Kritikern, die das Leid der Flüchtlinge gegen die Kosten für den Geldbeutel des Steuerzahlers aufrechnen wollen?

Die Kosten sind in Bad Berleburg immer transparent von Rat und Verwaltung berichtet worden. Jeder kann das im Haushalt der Stadt Bad Berleburg für jedes einzelne Jahr nachlesen. Auch über die nicht kleinen Probleme wurde und wird offen gesprochen und berichtet. Um das mitzubekommen, genügt allerdings nicht der Blick in Facebook. Aber wie bewertet man Humanismus und Nächstenliebe in Euro? Wieviel Euro bringt es über die nächsten Jahre und Jahrzehnte, dass wir durch Flüchtlinge, aber auch Zuzüge aus dem EU-Ausland, wieder vollere Schulklassen haben, teilweise bis zur Obergrenze? Wer rechnet zum Beispiel dagegen, was die Tausenden von Flüchtlingen, die in den letzten beiden Jahren die Erstaufnahmeeinrichtung am Spielacker durchlaufen haben, in den Geschäften der Stadt eingekauft haben.

Aber es gibt ja auch die Vorwürfe von verstärkter Kriminalität und dass es ein Problem sei, Fremde zu Integrieren...

Ja, ich weiß, es hat auch Diebstähle gegeben. Aber komme mir da jetzt bitte keiner mit dem Argument der ach so fremden Kulturen und Sprachen, die Flüchtlinge und ihre Familien zu ewigen Sozialhilfeempfängern machen würden. Schon in den letzten 20 Jahren haben wir Menschen zum Beispiel aus dem Libanon und dem ehemaligen Jugoslawien aufgenommen, auch Muslime. Deren Kinder, teilweise hier geboren, sind nun selbst erwachsen, haben Berufe gelernt, sind Teil unserer Stadt, sind nun Wittgensteiner von halt etwas weiter zugelöfen. Man kann mich gerne einen Träumer oder unverbesserlichen Gutmenschen nennen, aber die erste Schützenkönigin mit syrischen Wurzeln würde ich gerne noch erleben. Und ich bin überzeugt, dass Integration gerade hier geht, denn besonders auf unseren Dörfern mit ihren Dorfgemeinschaften und der täglichen Nachbarschaft gibt es keine Fremden, jedenfalls nicht lange.

Und schon sind wir bei den Haushaltsproblemen der Kommunen. Die schränken Ihren Gestaltungsspielraum als Kommunalpolitiker massiv ein, zwingen zum Sparen. Das trifft die Dörfer und Vereine. Wie halten Sie als Politiker die Balance zwischen Fördern und Fordern?

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Mir ist der Begriff Haushalten lieber, also die Balance zwischen Einnahmen aus Steuern und Gebühren und den Ausgaben und Leistungen. Diese Balance versuchen die Vertreter der Bürger im Rat und auch die Verwaltung zu halten. Und dieser ständige Balanceakt heißt Ausgleich und Kompromiss. Das klingt nicht nur komplex und langwierig. Hier kommt dann für mich leider immer öfter der Punkt, wo mir die Lust an der Kommunalpolitik vergeht, wenn Populisten und Vereinfacher die angeblich schnelle Lösung versprechen.

Neben den Finanzen und den Flüchtlingen gibt es auch das Feld Energiepolitik. Hier sind die Gräben zwischen Windkraftgegnern und Befürwortern unüberwindlich. Ähnlich wie bei der Flüchtlingsdebatte wird hier sehr gefühlsbetont und weniger faktenlastig argumentiert. Was bedeutet das für die Politik?

Hinsichtlich Windkraft bedeutet das momentan leider ein grandioses rechtliches Durcheinander, das wir am unteren Ende der Politik den Bürgern schon lange nicht mehr erklären können. Jedes Ding im Leben hat aber leider seine Nebenwirkungen, und der Beipackzettel bei Windkraft, Integration von Flüchtlingen, Haushaltskonsolidierung und allen diesen Themen ist nun mal extra lang. Mit der Haltung: „Ich bin ja nicht gegen…., aber …“, wird jedoch nie eine Lösung möglich, wird es keine Veränderung geben. Wenn wir diese Erde nicht komplett für uns verbrauchen wollen, dann müssen wir wohl auch Windräder in Wittgenstein ertragen. Einfach weitermachen und darauf vertrauen, dass Wissenschaftler, Techniker und Ingenieure, hoffentlich irgendwann und irgendwie andere Energieversorgungssysteme entwickeln, ist für mich jedenfalls verantwortungslos und rücksichtslos unseren Nachkommen gegenüber.

Als Fraktionsvorsitzender sind Sie ein politischer Wortführer und stehen in der Kritik. Wie empfinden Sie persönlich die Diskussion mit Bürgern oder politischen Gegnern?

Zunehmend erschreckend. Ich hoffe, dass ich das nur subjektiv so sehe, aber immer mehr Mitmenschen scheinen zu glauben, dass eine Demokratie so etwas wie ein kostenloser All-inklusiv-Urlaub ist, mit Flatrate-Garantie auf die gerade persönlich benötigten Leistungen. Demokratie funktioniert aber nur als aktives Mitmachsystem.

Welche positiven Rückmeldungen bekommen sie?

Nicht gemeckert, ist genug gelobt – und dazu hier und da mal die Anrede: „Na, du Politiker“. Ich tröste mich damit, dass es ja auch den Aktiven bei der Feuerwehr und im Rettungsdienst nicht viel anders geht. Genau wie auch der Müllabfuhr oder jetzt aktuell den Fahrern der Räumfahrzeuge, die von Mitte der Nacht bis weit in den nächsten Tag ihre Runde drehen. Welche positive Rückmeldung bekommen die, wenn zwar die Straße frei, aber die Garageneinfahrt zugeschoben ist? Vielleicht ist das nun mal in Zeiten so, die einen US-Präsident Trump und AFD und Konsorten hervorbringen. Aber die Aussicht auf die Zukunft macht mir Sorgen, und ich frage mich, wer sich Kommunalpolitik – in welcher Partei auch immer – oder ähnliche Ehrenämter in den nächsten Jahren noch antun will.