Siegen. . Angela Werres verlor ihre Tochter Kathrin vor zehn Jahren. Christine und Maik Utsch hatten nur elf Wochen Zeit, ihre Tochter Emilia kennen zu lernen. Hilfe und Halt fanden sie in der Gruppe für verwaiste Eltern in Siegen.
Einen Tag nach ihrer Feier zum 18. Geburtstag legt sich Kathrin Werres schon früh ins Bett – früher als sonst. Ihre Eltern denken sich nichts dabei, schließlich hatte ihre Tochter die vergangene Nacht zum Tag gemacht. Kathrin Werres hatte ihren 18. Geburtstag mit Freunden gefeiert. Sie sei einfach nur müde, sagt sie. Am nächsten Morgen müsste sie eigentlich früh aufstehen. Sie trägt Zeitungen aus.
Der Tag, der das Leben veränderte
„Als ich in ihr Zimmer kam, um sie zu wecken, reagierte sie nicht. Als ich sie anfasste, war sie schon kalt und steif.“ Angela Werres erzählt von dem Tag, der ihr Leben änderte. Kleine Pausen verraten, dass es ihr schwer fällt. Zehn Jahre es jetzt her, dass ihre Tochter starb. Herzmuskelentzündung. Ihr Herz war schon so schwach wie bei einer alten Frau, sagten die Ärzte.
Wie verarbeiten Menschen so einen Verlust?
Angela Werres fand Hilfe im Gesprächskreis für verwaiste Eltern in Siegen. Dort konnte sie mit Menschen reden, die eine grobe Vorstellung davon hatten, wie es ihr ging. Ihr Mann Thomas fing an, Briefe an seine verstorbene Tochter zu schreiben. Irgendwann wurden Lieder daraus. Mittlerweile hat er zwei CDs veröffentlicht.
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Frühchen wog nur 560 Gramm
Christine und Maik Utsch leben in Eiserfeld. Sie haben zwei Kinder. Emilia und Simon. Simon ist fünf Jahre alt. Seine große Schwester Emilia wurde nur elf Wochen alt. Durch eine Schwangerschaftsvergiftung kam Emilia viel zu früh zur Welt. Bereits in der 25. Woche musste Christine Utsch ins Krankenhaus, um die Geburt der noch viel zu kleinen Tochter zumindest bis zur 30. Woche hinauszuzögern. Vergeblich.
Emilia erblickte am 8. Mai 2007 das Licht der Welt. Mit nur 560 Gramm war sie wohl eines der kleinste Frühchen, das je in Siegen lebend zur Welt kam. „Sie war wie ein Vögelchen, das aus dem Nest gefallen ist“, sagt Christine Utsch und erinnert sich an die Zeit, in der sie täglich ihr Kind auf der Intensivstation besuchte. „Ich habe das erlebt, als wäre es ein Film.“
Emilia war ausgesprochen zäh. Sie überstand eine schwere Operation, entwickelte sich. Die Eltern wurden optimistisch, richteten schon das Kinderzimmer ein. Doch Emilia ging es wieder schlechter, eine zweite Operation folgte, ein paar Tage später starb sie.
Erster Fußabdruck als Tätowierung
„Das schlimmste ist die Sehnsucht“, sagt Christine Utsch. Die Stimme vibriert. Auf ihrem linken Unterarm trägt sie eine Tätowierung. Ein winzig kleiner Fuß . Es ist der erste Fußabdruck ihrer Tochter. „So kann ich sie einfach immer sehen“, sagt Christine Utsch. Ihre Stimme stockt, Tränen schießen in ihre Augen. Sie wusste, dass sie über ihren Schmerz reden musste. Sie musste jemanden finden, der ihr zuhört und sie versteht.
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Deswegen suchte auch sie Rat im Gesprächskreis für verwaiste Eltern. Das Reden über den Verlust, es hilft ihr, den Schmerz zu lindern – auch heute noch. „Es gehört Mut dazu, um in die Gruppe zu gehen. Aber hier sind einfach Menschen, die mich verstehen“, sagt Christine Utsch.
Wie ein Kindergeburtstag für Emilia
Tatjana Ebener-Scharnberg leitet die Gruppe der verwaisten Eltern. Mittlerweile sogar zusammen mit Kathrins Mutter, Angela Werres. Tatjana Ebener Scharnberg verlor zwei Kinder. Eines durch eine Fehlgeburt, das andere war eine Totgeburt. Kaum jemand kann besser nachempfinden, was es heißt, ein Kind zu verlieren. „Nach einem Verlust wird das eigene Leben verrückt.“ – es gerät gewissermaßen aus den Fugen. „Es dauert lang, bis man sich selbst wiederfindet“, sagt sie.
Ihre Trauer animierte sie zum Handeln, deshalb die Gründung des Gesprächskreises.
Auch das Ehepaar Utsch bewegt heute etwas. Seit drei Jahren veranstalten sie ein Emilia-Fest. Mit vielen kleinen Kinderaktionen sowie Kaffee und Kuchen sammeln sie Spenden, unter anderem für die Gruppe der verwaisten Eltern. „Das ist wie ein riesengroßer Kindergeburtstag für Emilia“, sagt Christine Utsch. Ein trauriges Lächeln huscht über ihr Gesicht. Christine Utsch fand einen Weg, auch ohne Emilia zu leben. Sie sagt: „Man hat die Möglichkeit zu verzweifeln oder aufzustehen.“ Sie entschied sich für Letzteres, ohne ihre Tochter je zu vergessen.