Geisweid. . Es sollte der schönste Tag im Leben von Katja Gieseler aus Siegen-Geisweid werden. Doch am Tag ihrer Hochzeit wird ihre Tochter von einem Auto überfahren. Jana wurde nur 13 Jahre alt. Mit unserer Redakteurin sprach die Mutter über das tragische Unglück und die große Lücke, die Jana hinterlassen hat.

Kichernd stehen Jana und ihre Mama in der Umkleide bei Peek&Cloppenburg. Katja Gieseler probiert ihr Hochzeitskleid an. Ein Hochzeitskleid, das sie zunächst überhaupt nicht anziehen wollte. Doch Jana kann sehr überzeugend sein. Im Spiegel fängt Katja Gieseler den Blick ihrer Tochter ein. Jana weint. „Mama, du bist wunderschön“, sagt die 13-Jährige. „Wenn ich mal heirate, möchte ich auch das Kleid anziehen.“

Aber Jana wird nie heiraten.

Verkehrsunfall mit tödlich verletztem Kind, meldet die Siegener Polizei am 31. August 2013. Das Kind sei im Stadtteil Geisweid auf der Straße von einem Auto erfasst worden; es habe am Rande einer Feier mit anderen Kindern in einer Einfahrt gespielt.

Es war die Hochzeit ihrer Mutter.

„Die Feier war eigentlich vorbei. Wir standen alle noch draußen und haben auf ein Taxi gewartet“, erzählt Katja Gieseler. Die Stimme stockt. „Plötzlich hörten wir diesen Knall. Und dann noch einen.“ Um 2.20 Uhr trifft das Auto Jana. Der zweite Knall ist der Aufprall des Körpers auf der Straße. 46 Meter weiter entfernt. „Direkt da vorn“, sagt Uwe Gieseler und blickt aus dem Fenster. Vom Wohnzimmer sind die Blumen zu sehen, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf dem Bordstein liegen. Kerzen erinnern. Kleine Botschaften mit ­dicken Herzen flattern, wenn Autos vorbeifahren. Janas Freunde klickten kleine Schlösser in den Zaun. Für immer. Du fehlst.

Endlich eine große Familie

Das letzte Foto, das Jana am Tag der Hochzeit bei Facebook hochlädt, hat sie selbst geknipst. Wange an Wange mit ihrer Mama. Beide strahlen glücklich in die Handykamera. „Mama, ich liebe dich“, steht darunter. Es war auch für Jana der schönste Tag ihres Lebens, da sind sich Katja und Uwe Gieseler sicher. Endlich eine große Familie haben mit Cousinen, Cousins, Tanten und Onkeln. Das liebenswerte Mädchen schlossen ­alle sofort ins Herz. Acht Jahre lebten Jana und ihre Mutter vorher ­allein. Bis sie Uwe kennenlernten. Die Hochzeit sollte der Anfang eines neuen Lebens sein. Weniger arbeiten, endlich verreisen, mehr Zeit zusammen. Verrückt bei lauter Musik auf dem Balkon ­tanzen und planschen im Pool...

Das Geräusch der Straße 

Jene Nacht zerstört alles. Uwe und Katja Gieseler laufen wie betäubt über die Flure im Siegener Kreisklinikum. Sie trägt noch das weiße Hochzeitskleid. „Es war wie in einem schlechten Horrorfilm“, sagt ihr Mann. Die Ärzte kämpfen zwei Stunden um Janas Leben. „So ein schönes Kind“, sagt der Anästhesist. Immer wieder. Auch in der Klinik hat keiner den Unfall vergessen.

„Wir waren ganz oben und sind ganz nach unten gefallen.“ Katja Gieseler schüttelt den Kopf, die ­Arme vor der Brust verschränkt, als müsse sie sich selbst zusammen­halten, als falle sonst der Körper auseinander. Sie sitzt in der Küche. Es ist still. Das einzige Geräusch ist die Straße. Die Straße, die Jana den Tod brachte. Die Gieselers werden das Haus verkaufen. Sie können hier nicht mehr leben. Auch für ihre Dachdeckerfirma suchen sie einen Käufer.

An der Küchentür klebt ein Bild von Spongebob, das Jana in der Grundschule gemalt hat. Daneben ein Zettel: „Gehe nach Siegen!“ Gleich kommt sie wieder. Das ist ­alles nur ein Alptraum. Gleich wachst du auf. Die Realität versetzt Stiche. Jeden Tag.

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Es schneit, aber in Katja Gieselers Gedanken scheint die Sonne. 30 Grad wie im August. Es war so warm, dass Jana nachts noch in den Pool gehüpft ist. „Jana, trockne dir die Haare ab, du holst dir den Tod“ – „Ach, Mama! Es ist doch warm!“, ruft Jana zurück. Die letzten Worte zwischen Mutter und Tochter.

Warum?

Warum habe ich sie nicht ins Haus geschickt? Warum?

Kein Vorwurf, den sich die beiden nicht gemacht haben. „Ich hatte ­immer Angst um das Kind. Nur an diesem Abend nicht, weil sie ja bei uns war“, sagt die Mutter. Die Gedanken kreisen. Wie viel Schmerz müssen Menschen ertragen, können sie ertragen? Eine Psychologin hilft der 44-Jährigen, ­Gedanken und Gefühle zu sortieren, die guten von den schlechten zu trennen. „Mama, das schaffen wir schon“, hat Jana immer gesagt, wenn es mal nicht so lief. Und schloss die Mama in die ­Arme. „Da wusste ich auch, dass wir es schaffen.“ Heute stupst Uwe Gieseler seine Frau an, wenn sie zu ­lange auf einem Fleck sitzt, sich in Gedanken verliert. „Ohne ihn wäre ich jetzt nicht mehr.“

Shine bright like a Diamond 

Shine bright like a Diamond! Jana, lange dunkelblonde Haare, pinkes Top, sitzt mit Gitarre auf ihrem Bett und singt. Das Video hat Uwe Gieseler auf seiner Facebook-Seite gepostet. Er spricht weniger als seine Frau über den Verlust, in seinen dunklen Stunden setzt er sich vor den Rechner und schreibt seiner Jana kleine Nachrichten: „Ich bin bei dir.“ Es ist seine Art, an den kleinen Sonnenschein zu erinnern. Shine bright like a Diamond. We’re like Diamonds in the Sky.

Auf Speicherkarten entdeckten die Gieselers Videos und Fotos. Jana tanzt durch das Zimmer, Jana macht Blödsinn auf dem Weg zum Fußballtraining. Wenn Jana still war, dann war sie krank. Ein Wirbelwind mit großem Appetit („Sie verdrückte Schnitzelberge.“) und blauen Kulleraugen. „Mit ihr konnte man so herrlich bekloppt sein.“ Ein Lächeln huscht über Uwe Gieselers Gesicht. Die 13-Jährige konnte kaum still sitzen. Nach der Schule pfefferte sie ihre Tasche in die Ecke und sagte: „Mama, mir ist langweilig.“ Sie war ständig unterwegs, ­immer für alle da. Und konnte sich so schön freuen. Wie genau vor einem Jahr, als sie mit glühenden Wangen vom Cro-Konzert heim kam. Mama, das war so schön!

Zwei Tage nach der Hochzeit sitzt das Ehepaar bei der Floristin in Geisweid und sucht Blumen für die Trauerfeier aus. Sonnenblumen, ­rote Gerbera, gelbe Dahlien. Knallbunt soll die ­Beerdigung sein. Auch die Gäste dürfen nicht Schwarz tragen. Bunt – so wie Jana. Wenige Tage zuvor hatten sie hier die Sträuße für die Trauung abgeholt. „Jana bekam einen eigenen“, sagt die Mutter. Weil sie als Tochter mitheiratet, hatte die Blumenfrau gesagt.

Kinder trauern anders 

Nach dem Unglück konnte Uwe Gieseler nicht im Supermarkt in Geisweid einkaufen gehen. Den Dachdeckermeister kennt jeder. „Wir sind dann weit weg gefahren.“ Die Blicke der anderen. Die gut gemeinten Worte. Das beklemmende Schweigen. Irgendwann ist es zu viel geworden. Obwohl beide es schätzen, wie alle zu ihnen halten. Janas Tod bewegt die ganze Stadt. Die Fußballerinnen der Sportfreunde Siegen spielten mit Trauerflor.

Ihre besten Freundinnen kommen heute noch vorbei. Kinder trauern anders, da ist sich Katja Gieseler sicher. „Sie schweigen, wenn sie zu traurig sind zum Reden.“ Ein Siebenjähriger sagte am Tag nach dem Unfall, den er mit ansehen musste, zu seiner Mama: „Jana hat es gut, sie bleibt jetzt für immer 13. Sie muss nie erwachsen werden.“

Jana wird es niemals tragen, das Hochzeitskleid ihrer Mutter.