Siegen. Kann eine Patientin das Klinikum verantwortlich machen für zehn Jahre Schizophrenie-Behandlung, 731 Tage Psychiatrie und die Diagnose Borderline-Persönlichkeitsstörung? Darüber verhandelt jetzt das Siegener Landgericht. Fest steht heute eins: Eine Psychose hat es nie gegeben.

Richterin Wiebke Ogbamichael will am 19. April ihre Entscheidung verkünden. Wenn nichts dazwischenkommt, wird damit einer der längsten Zivilprozesse in der Geschichte des Siegener Landgerichtes sein Ende finden. Allerdings wohl auch erst wieder vorläufig. Rechtsanwältin Katharina Batz ist sicher, dass eine der Parteien in Berufung gehen wird. Entweder ihre Mandantin Tanja Afflerbach oder das Siegener Kreisklinikum.

Seit 2004 wird gestritten, ob die Klinik verantwortlich gemacht werden kann für zehn Jahre Schizophrenie-Behandlung, 731 Tage Psychiatrie und die Diagnose Borderline-Persönlichkeitsstörung. Fest steht heute eins: Eine Psychose hat es nie gegeben.

Autounfall wurde der angehenden Lehrerin zum Verhängnis

Ein Autounfall wurde der angehenden Lehrerin 1991 zum Verhängnis. Nach Meinung von Dr. Piet Westdijk, der von Tanja Afflerbach als Gutachter herangezogen wurde, sind die danach aufgetretenen Symptome die Folge einer nicht erkannten Posttraumatischen Belastungsstörung. Die gesamte Behandlung verlief demnach unter falschen Voraussetzungen, die früher hätten erkannt werden müssen.

Die Klägerin setzte 2001 alle Medikamente ab, leidet seither allerdings unter ständigen Schmerzen. Sie hat das Krankenhaus verklagt und möchte erreichen, dass die Fehlbehandlung eingeräumt wird, die sie auch für ihren heutigen Zustand verantwortlich macht. Sollte die Richterin der gleichen Ansicht sein, könnte der jungen Frau ein Schmerzensgeld von rund 150 000 Euro zugesprochen werden.

Neuroleptika-Verabreichung in hohen Dosen nicht überprüft

In einem weiteren Gutachten war vor einigen Jahren bescheinigt worden, dass die Behandlung mit Neuroleptika in hohen Dosen zwischendurch immer einmal wieder hätte überprüft werden müssen. Das sei nicht geschehen, kritisiert Rechtsanwältin Batz.

Der 2010 vom Richter Cornelius Vowinckel bestellte Gutachter Professor Ulrich Trenckmann fand am Donnerstag vor Gericht allerdings keine Anhaltspunkte für eine falsche Behandlung der Klägerin. In den ersten fünf Jahren der Behandlung seien nur selten Neuroleptika verordnet worden, dennoch habe Afflerbach immer wieder Suizidversuche unternommen, unter heftigen Angstattacken gelitten und sich selbst verletzt.

Er habe in den Akten auch von 1996 bis 2001 genug derartige Vorfälle gefunden, um die anhaltende Medikation zu rechtfertigen. Alle beteiligten Kliniken hätten unterschiedliche Diagnosen gestellt, bis ab 1999 die Persönlichkeitsstörung langsam beherrschender Faktor in der Behandlung geworden sei und sich 2001 endgültig durchgesetzt habe.

Experten auf der Suche nach Unstimmigkeiten

Das schriftliche Gutachten liegt schon seit mehr als einem Jahr vor. Anwältin Batz, Piet Westdijk und Matthias Seibt, Psychopharmaka-Berater des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener, der ebenfalls für die Klägerin eintritt, versuchten in einer langen Befragung, diverse Unstimmigkeiten herauszuarbeiten. Dr. Trenckmann behaupte verschiedene Dinge, die sich nicht aus den Akten belegen ließen.