Siegen-Wittgenstein. Wo wird das Geld eingespart, das der Kreistag gestrichen hat? Bei Siegtal Pur nicht. Und beim Tourismus nicht, weil die Siegener niemand haben will.
Die Politik hat an ihren Haushaltsbeschlüssen zu knacken: Jetzt wurde auch der Kultur- und Tourismusausschuss des Kreistags mit der Frage des Landrats konfrontiert, wo und wie die vom Kreistag vorgegebenen Summen konkret eingespart werden sollen. Mit einem Verzicht auf den Fahrrad-Aktionstag Siegtal Pur jedenfalls nicht, antwortet der Ausschuss. Und auch nicht mit dem Komplettausstieg aus dem Tourismus, der eigentlich nach der Streichung von 500.000 Euro angestanden hätte. Wieder einmal geht es hoch her.
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Siegtal Pur: Neue Strecke, neue Geldgeber?
„Ein tragfähiges Konzept“ für die Neu- und Wiederauflage von Siegtal Pur ab 2025 beantragt die SPD-Fraktion. Schließlich habe die Absage durch den Landrat im April „hohe Wellen geschlagen“, erinnert Julian Maletz (SPD). „Völlig unnötig“ nennt Ingo Janson (SWM) den Antrag. Niemand habe etwas gegen Siegtal Pur. „Das wurde abgesagt, weil angeblich nicht mehr ein paar Euro im Haushalt zu finden waren.“ Der Kreis erziele schließlich Millionen-Überschüsse. „Ich bin mir sicher, dass es Möglichkeiten gibt, Geld bereitzustellen.“
Landrat Andreas Müller stellt klar: Die benötigten 90.000 Euro wären da, wenn der Kreistag eine über- oder außerplanmäßige Ausgabe bewilligt hätte. Das habe die „Interfrak“, wie die Runde der Fraktionsvorsitzenden mit der Verwaltung kreistagsintern genannt wird, aber abgelehnt. „Damit standen die Mittel nicht zur Verfügung.“ Die Interfrak könne so etwas gar nicht entscheiden, meint Grünen-Fraktionschef Ulrich Schmidt-Kalteich, dazu hätten die Fraktionen eingebunden werden müssen. „Die Entscheidung hat bei Ihnen gelegen und nicht bei uns.“ Diese Haltung, widerspricht der Landrat, bedeute „die Aufkündigung jeglichen konstruktiven Miteinanders“. Er hätte sich auf Verabredungen mit den Fraktionsvorsitzenden verlassen, die Aufträge für Siegtal Pur erteilt und dem Kreistag im Juni die außerplanmäßige Ausgabe zur Genehmigung vorgelegt.
Wer sagt was hinter verschlossenen Türen?
Ausschussvorsitzender Hermann-Josef Droege, der auch Vorsitzender der CDU-Fraktion ist, beanstandet, Landrat Müller habe für eine außerplanmäßige Ausgabe keinen „Deckungsvorschlag“ gemacht, also sollte „frisches Geld“ ausgegeben werden. Andreas Müller platzt der Kragen: „Hören Sie doch mal auf, Märchen zu erzählen.“ Da der vom Kreistag verabschiedete Haushalt gilt, könne sowieso nur innerhalb des vorgegebenen Finanzrahmens gewirtschaftet werden –die Mehrausgabe wäre also zwingend durch Einsparung an anderer Stelle auszugleichen gewesen. Denn „unabwendbar“ sei Siegtal Pur nun einmal nicht. Nur dann hätte der Landrat auch ohne Kreistagsbeschluss Geld anweisen können. Guido Müller (FDP) ist es offenkundig unangenehm, mit den Stellungnahmen von Fraktionsvorsitzenden konfrontiert zu werden, die anscheinend hinter verschlossenen Türen anders reden als in der Öffentlichkeit: „Die Interfrak ist vertraulich und nicht öffentlich.“
Bei einem neuen Konzept könne darüber nachgedacht werden, welcher Straßenzug autofrei gemacht werden, regt Landrat Müller an. „Gerade die Streckenführung über die HTS verursacht einen Großteil der Kosten.“ Auch die Kostenverteilung könne Thema werden, also ein höherer Beitrag der Städte Siegen und Netphen. Womöglich klönten auch Sponsoren gewonnen werden, regt Ulrich Schmidt-Kalteich (Grüne) an. Der Antrag der SPD für ein neues Siegtal Pur wird einstimmig beschlossen, sechs Ausschussmitglieder enthalten sich der Stimme.
Noch eine Chance für den Tourismus
Auch an anderer Stelle bröckelt die Kürzung des Tourismusbudgets: Abgesehen von den sieben Planstellen beim Tourismusverband, die weiter bezahlt werden müssen, werden auch knapp 83.000 Euro für Sach- und Dienstleistungen freizugeben sein. „Täglich gehen Rechnungen ein“, berichtet Landrat Andreas Müller, „wir bekommen Mahnungen.“ Generell ist der unbedingte politische Wille, die 500.000 Euro einzusparen, nicht mehr um jeden Preis vorhanden. „Wir haben einen neuen Touristiker, der vielleicht das Ruder herumreißen kann“, sagt Guido Müller (FDP) mit Blick auf Daniel Letocha, der gerade sein Amt als Geschäftsführer des Tourismusverbandes angetreten hat.
Sauerland will mit Siegerland nichts zu tun haben
Es bleibt den Siegen-Wittgensteinern wohl auch nichts anderes übrig: Denn der benachbarte „Sauerland Tourismus“ von Hochsauerlandkreis und Kreis Olpe hat überdeutlich gemacht, dass er sich nicht auch noch mit dem Siegerland beschäftigen will. „Die beiden Geschäftsführungen sollen sich also gerne weiterhin zu konkreten Projekten austauschen, in welchen Kooperationen stattfinden können“, schreibt der Olper Kreisdirektor Philipp Scharfenbaum als Vorsitzender von Sauerland Tourismus, „eine Verschmelzung beider Organisationen oder eine Ausweitung des Resonanzraumes für die Premiummarke ‚Sauerland‘, stehen für den Sauerland-Tourismus e.V. nicht zur Diskussion.“ So schlecht war der Siegen-Wittgensteiner Tourismus nun auch wieder nicht, findet Siegens Landrat Andreas Müller. Die Kritik treffe die ausgeschiedene Geschäftsführerin unverdient – sie habe das erfüllt, was Touristikverband und Bürgermeisterkonferenz 2014 beschlossen haben: den Rückzug des Kreises aus der Touristikinformation und eine neue Aufgabenverteilung zwischen Kreis und Kommunen. Die damals beschlossenen „Touristischen Service-Einheiten“ für Nord- und Südsiegerland und Wittgenstein wurden nie realisiert.
Bei einer Gegenstimme und einer Stimmenthaltung beschließt der Ausschuss den FDP-Antrag, Tourismus neu zu verstehen („das attraktive Gestalten eines Lebensraums für die Menschen, die hier arbeiten und leben“) und zu prüfen, wie Tourismus, Wirtschaftsförderung und Kulturbüro im Sinne eines „Lebensraum-Managements“ verschmolzen werden können. Bereits im Juli soll ein Strategie-Workshop stattfinden. Vorsitzender Hermann-Josef Droege (CDU) weist darauf hin, dass mittlerweile auch andere Akteure wie zum Beispiel die Südwestfalen-Agentur das Themenfeld bearbeiten. 50 Jahre Kreis Siegen-Wittgenstein, also der Zusammenschluss der beiden Altkreise, seien „ein guter Anlass“, sich neu zu orientieren, findet Landrat Müller. „Ich bin sehr skeptisch“, sagt Ulrich Schmidt-Kalteich (Grüne), „Kultur und Tourismus eignen sich nicht, sich verschmelzen zu lassen.“ „Die Sorge teile ich“, pflichtet Julian Maletz (SPD) bei.
Für Hermann-Josef Droege (CDU) ist die sich auf einmal abzeichnende Einigkeit von kurzer Dauer: Sobald ein neues Konzept stehe, werde es auch wieder um Personalstellen gehen. „Dann wirds zum Krachen kommen.“
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