Siegen. Finanzen sind abgeschmiert: Siegen muss 82 Millionen Euro an den Kreis zahlen. Stadt würde das Geld lieber für die diversen Großprojekte ausgeben
Der Ärger steigt mit den Millionen. Der Bürgermeister ist schon lange dabei, 2003 wurde Steffen Mues Sozialdezernent. Die Begeisterung über damals 30 Millionen an den Kreis zu überweisende Euro dürfte schon seinerzeit überschaubar gewesen sein. Gut 20 Jahre später hat sich die Summe fast verdreifacht: 82 Millionen Euro holt sich Siegen-Wittgenstein von seiner Kreisstadt - das ist deren größter Posten im Haushalt. Und der Ärger über Kreisverwaltung und -tag wird immer deutlicher hörbar, bleibt aber letztlich vergeblich. So funktioniert das System nunmal, der Kreis hat keine eigenen Einnahmequellen.
+++Mehr Nachrichten aus Siegen und dem Siegerland finden Sie hier!+++
Als der Bürgermeister im Rat den Haushaltsentwurf einbringt, dauert es nicht lange bis zum Schimpfen. Steffen Mues zählt die Rekorde auf, die in diesem Jahr ziemlich negativ sind. Der Termin, der so spät im Jahr ist wie noch nie zuvor. Der wegen der Cyberattacke extrem ambitionierte Zeitplan, der allen Beteiligten große Disziplin abverlange, damit es nicht noch später wird - wenn die Bewirtschaftung erst in den Sommerferien beginnen könnte, wenn gefühlt die Hälfte aller Akteure im Urlaub ist, „wäre das der denkbar schlechteste Zeitpunkt“, mahnt Mues. Wobei aus den Reihen der Stadtverordneten zu hören ist, dass mit großen Widerständen in den Haushaltsberatungen nicht zu rechnen sei. Was wäre auch die Alternative. Dies sei die Möglichkeit, nicht in die Haushaltssicherung abzurutschen, „wir müssen alles tun, um nicht wieder zu Bittstellern der Kommunalaufsicht zu werden“, mahnt der Bürgermeister vorsorglich.
Siegen muss immer mehr Geld ausgeben: Viel wichtige Infrastruktur knitterhagelkaputt
Weiter im Negativ-Rekord-Text: Seit 1992 immer schwierige Zeiten, mit Sicherungskonzept, Nothaushalt. Aber so einen Wechsel, von so einem deutlichen Plus in so ein deutliches Minus, ein Absturz von 40 Millionen Euro: Habe er noch nicht erlebt, sagt Mues. Selbst in der Finanzkrise nicht, als die Gewerbesteuer massiv einbrach, die in diesem Jahr „fantastische Rekordeinnahmen“ in die Stadtkasse spüle. Trotzdem der massive Verlust. Nach sieben „richtig guten Jahren“ und vier Mal zumindest „rote Null“ - „wie konnte es dazu kommen?“ Kommentar des Kämmerers: „Vier Worte: Wie gewonnen, so zerronnen.“
Wie berichtet: Ein „Cocktail“ aus vielen großen, sehr großen Kostenpunkten in einem Zahlenwerk, das erstmals über 400 Millionen Euro liege. Viele Steigerungen seien auf die Inflation, Auswirkungen des russischen Überfalls auf die Ukraine, wohl auch noch Corona zurückzuführen. Schlüsselzuweisungen des Landes sind drastisch eingebrochen, der Kämmerer kann Corona-Spätfolgen nicht mehr mit Buchungstricks beschönigen, fürs Personal wurden höhere Tarifverträge ausgehandelt. Die Infrastruktur ist in Teilen knitterhagelkaputt. Mues: „Wir wissen, wie es um unsere Straßen bestellt ist.“ Schleifmühlchen. Hufeisenbrücke. Straßenunterhaltung. „Es tut sich eine Menge, mehr können wir gar nicht machen, sonst käme der Verkehr wegen der ganzen Baustellen zum Erliegen.“ Dazu Hallenbäder. Und vieles mehr.
Siegen muss dem Kreis 82 Millionen Euro abtreten: „Völlig unsolidarisch!“
Und dann auch noch die Kreisumlage. 82 Millionen Euro weg, bei denen der Gegenwert ziemlich fraglich sei. „Das ist nicht mehr akzeptabel und zu tolerieren“, wettert Mues, gleichwohl bleibt ihm kaum etwas anderes übrig: Der Kreis bucht halt ab. Er begrüße es, dass der Kreistag „endlich mal spart“ - und trotzdem erhöhte sich die Umlage. „Völlig unsolidarisch“, wenn es allen Kommunen im Kreis finanziell so schlecht gehe, sich dennoch auf deren Kosten die Taschen zu füllen und jedes Jahr den Kreishaushalt mit einem Plus abzuschließen, erregt sich der Bürgermeister. Und was übrig bleibt, packe man sich einfach in die Rücklage. Eine Klage, wie in der Vergangenheit angedroht, dürfte kaum Erfolg haben. Der Kreis würde wohl argumentieren, dass er ja spart.
+++Die Lokalredaktion Siegen ist auch bei Facebook!+++
„Man kann die Lage als dramatisch bezeichnen“, beendet der Bürgermeister seine Rede. Kämmerer Cavelius kann kaum mehr Hoffnung machen: Das Land versuche zwar, wiederum mit allerlei Buchhaltungstricks, die Kommunen vor der Haushaltssicherung zu bewahren. Der Blick zum Beispiel Richtung Norden, in den Märkischen Kreis, zeigt: Oft auch ziemlich vergeblich. „Egal wie“, sagt Cavelius: „Es fehlt an echtem Cash.“ Werde jetzt nicht nachhaltig umgesteuert, „wird uns das spätestens nächstes Jahr bitterböse einholen“.