Siegen. Nun werden Gründe bekannt für den plötzlichen Abschied von Philharmonie-Chefdirigent Nabil Shehata: Die Chemie stimmte wohl nicht mehr.

Zum Sommer wird Nabil Shehata die Philharmonie Südwestfalen verlassen. Das ist nun auch in einer offiziellen Verlautbarung aus dem Siegener Kreishaus bestätigt worden. Der Chefdirigent gab demzufolge an, dass er „künftig in eine künstlerische Richtung gehen möchte, die aufgrund des damit verbundenen Repertoires hier in Siegen nicht umsetzbar“ sei.

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Aufgrund ihrer Größe mit 66 Planstellen könne die Philharmonie Werke, die eine größere Besetzung erforderten, nicht oder nur in Kooperation mit anderen Orchestern aufführen. Ein Beispiel: „Ein Heldenleben“ von Richard Strauss, das Ende Januar zur 800-Jahr-Feier der Stadt Siegen nur geboten werden konnte, weil das heimische Orchester um 40 Musikerinnen und Musiker vom Philharmonischen Orchester Gießen verstärkt worden sei. Shehata selbst habe unter anderem bei den Berliner Philharmonikern gespielt, einem weltweit führenden Orchester mit rund 130 Planstellen.

„Einbußen an Organisationskraft“ bei der Philharmonie Südwestfalen in Siegen

Über den Wunsch einer Vertragsauflösung informiert hatte der Chefdirigent zunächst die Orchesterleitung und die Gremien der Philharmonie Südwestfalen. Am vergangenen Donnerstag machte er dann seine Entscheidung im Rahmen einer Belegschaftsversammlung den Musikerinnen und Musikern bekannt. Überraschend für die Beteiligten, hatte Shehata doch im September erst seinen Vertrag bis zum Jahr 2027 verlängert. Auf der Belegschaftsversammlung seien auch die durch Langzeiterkrankungen geschwächte Verwaltung und die damit einhergehenden Einbußen an Organisationskraft der Philharmonie thematisiert worden, heißt es in der Pressemitteilung des Kreises weiter. Zudem sei „eine unterschiedliche Bewertung der vorhandenen Potenziale zur qualitativen Weiterentwicklung des Orchesters zwischen Chefdirigent und Orchester“ deutlich geworden.

Nabil Shehata und die Philharmonie Südwestfalen bei einer Probe im Haus der Musik.
Nabil Shehata und die Philharmonie Südwestfalen bei einer Probe im Haus der Musik. © Claudie Irle-Utsch

Die Chemie stimmte einfach nicht mehr. Anspruch und Wirklichkeit hätten für den Dirigenten zuletzt immer mehr auseinandergeklafft, heißt es von gut informierter Seite. Das habe sich mit dem Einzug ins Haus der Musik und dessen enormen Möglichkeiten für eine optimale Vorbereitung der einzelnen Register noch einmal verschärft. Der Frust stieg - hüben wie drüben. Bis nun also Shehata für sich eine Reißleine zog.

„Kein Zerwürfnis auf Leitungsebene“ der Philharmonie Südwestfalen

Die Saison 2023/24 wird er bis zum Ende mitgestalten. Er habe auch zugesagt, die schon für die kommenden Spielzeit verabredeten Projekte zu begleiten, falls sich hier kein Ersatz fände, sagte Landrat Andreas Müller, Vorstand des Trägervereins der Philharmonie Südwestfalen, auf Nachfrage dieser Zeitung. Auch das ein Zeichen gegen ein vielleicht vermutetes Zerwürfnis auf Leitungsebene.

Ich hätte mich sehr gefreut, wenn wir und das Publikum noch einige Jahre von seinen Fähigkeiten hätten profitieren können
Andreas Müller, Landrat

Müller kommentiert die Vertragsauflösung in der Presseinfo so: „Wir haben mit Shehata echte Sternstunden unserer Philharmonie erlebt, und das Publikum hat ihn immer geliebt. Ich bedauere, dass wir ihm die Perspektiven und Entwicklungsmöglichkeiten, die er sich wünscht, hier vor Ort nicht ermöglichen können. Ich hätte mich sehr gefreut, wenn wir und das Publikum noch einige Jahre von seinen Fähigkeiten hätten profitieren können.“ Mitgeteilt wird, dass auch die Musiker und weiteren Verantwortlichen den baldigen Abschied des Chefdirigenten bedauerten. Man sei „dankbar für die Zusammenarbeit der letzten Jahre“.

194 Mitbewerber

Nabil Shehata hatte sich in einem umfangreichen Auswahlverfahren gegen 194 Mitbewerber durchgesetzt, von denen 14 zu einem Probedirigat eingeladen worden waren. Das Votum der Findungskommission für Shehata fiel einstimmig aus. Seit dem 1. September 2019 ist er Chefdirigent der Philharmonie Südwestfalen. Zu den Höhepunkten seiner Arbeit in Siegen gehörte laut Presseinfo das Einstandskonzert als Chefdirigent mit der Aufführung der 9. Sinfonie von Beethoven durch die Philharmonie Südwestfalen und den WDR-Rundfunkchor. Der Auftritt in der Hamburger Elbphilharmonie und die Leitung von zwei im TV übertragenen Weihnachtskonzerten der NRW-Landesregierung gehörten ebenfalls zu den „unvergesslichen Momenten“. Verwiesen wird auch auf die jüngsten CD-Aufnahmen der Philharmonie Südwestfalen mit Werken von Camille Saint-Saëns, Piotr Tschaikowski und Antonín Dvořák, die zum Teil auch international Beachtung erfahren hätten.

Masterplan für stärkere Organisation

Mit eingebracht hatte sich Nabil Shehata noch vor der Verlegung des Orchestersitzes von Hilchenbach nach Siegen bei der Vereinbarung eines Zehn-Punkte-Masterplans, bei der mit externer Moderation und unter Beteiligung aller für das Orchester maßgeblichen Gruppen (Betriebsrat, Orchestervorstand, Intendanz, Chefdirigat, Vorstand) an einer Art „Zielbild“ gearbeitet worden sei. Das sagte Andreas Müller erneut auf Nachfrage. Dieser Plan solle dazu beitragen, die Philharmonie Südwestfalen künftig organisatorisch besser aufzustellen, etwa mit der Aufwertung der Position des Assistenten der Intendanz zu einem Orchesterdirektor, dem wesentlich mehr Entscheidungsbefugnisse zugestanden würden. Im Stellenplan solle auch eine dritte Position für den Orchesterwart ausgeschrieben werden, so Müller, der auch darauf verweist, dass all das natürlich unter anderem über Bezirksregierung und Land genehmigt werden müsse.

Posten des Chefdirigenten der Philharmonie Südwestfalen bleibt in der nächsten Saison vakant

Zur finanziellen Situation insgesamt unterstrich der Landrat, er sei weiterhin zuversichtlich, was die Erweiterung des Budgets anginge. Das Kulturministerium in Düsseldorf wolle sich im März grundsätzlich mit möglichen Mehrbudgets im Bereich von Orchestern und Theatern befassen. Er gehe davon aus, dass auch die Philharmonie Südwestfalen einen Zuschlag erhalte. Das zu erwartende Defizit resultiere schließlich nicht aus eigenem Verschulden, sondern aus einer erheblichen tariflichen Steigerung.

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Zur Zukunft der Philharmonie Südwestfalen gehört nun auch die erneute Suche nach einem Chefdirigenten. Die nächste Saison müsse man mit der Vakanz leben, so Andreas Müller. Er hoffe aber, dass man sich auf einen Neubesetzungs-Fahrplan einigen könne, der einen neuen Chef oder eine neue Chefin am Pult zur Spielzeit 2025/26 sehe.