Siegen. Nabil Shehata hatte gerade erst seinen Vertrag mit der Philharmonie in Siegen verlängert - nun hat er den Vertrag mit dem Orchester gekündigt.
Das ist ein Paukenschlag: Nabil Shehata, seit 2019 Chefdirigent der Philharmonie Südwestfalen, kündigt seinen Vertrag beim Orchester. Das hat unsere Zeitung aus sicherer Quelle erfahren. Öffentlich äußern wollte sich Landrat Andreas Müller als Vorstand des Trägervereins am Freitag nicht. Aus dem Orchester selbst waren keine Stellungnahmen zu erfahren.
Künstlerische und organisatorische Missklänge in der Philharmonie Südwestfalen
Vorzeitig hatte Shehata sein zunächst bis 2024 laufendes Engagement bis zum 31. August 2027 verlängert; vorzeitig hat er diese Vereinbarung nun verworfen. Gründe liegen dem Vernehmen nach auch in einem Missverhältnis von Anspruch und Wirklichkeit, und zwar im künstlerischen und organisatorischen Bereich. Die Orchesterverwaltung ist krankheitsbedingt geschwächt; die Hoffnung, dass das Orchester – auch mit den hervorragenden Möglichkeiten des nagelneuen Hauses der Musik – seine Qualität weiter steigern kann, ist für Shehata offenbar dahin.
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Gerade erst hatte der Dirigent sich in einem Interview mit einem Orchester-Fachmagazin fast euphorisch geäußert, was die Rahmenbedingungen seiner Arbeit in Siegen angeht. Der Raum sei „phänomenal“ und er „überglücklich“, an diesem Ort arbeiten zu dürfen. Gemeinsam mit dem Orchester habe er ein Spielgefühl entwickeln können, das sich an den neuen Saal anpasse. Es gebe zahlreiche Ideen etwa auch für CD-Projekte. Alles gut, also? Offensichtlich nicht.
Siegen: Finanziell unsichere Lage der Philharmonie Südwestfalen
Am Donnerstag, 29. Februar, heißt es, habe der Chefdirigent den Musikerinnen und Musikern mitgeteilt, dass er nicht bleiben werde. Eine Nachricht, die auch in eine finanziell etwas unsichere Lage trifft. Ende vorigen Jahres wurde bekannt, dass 2024 aufgrund erheblicher tariflicher Steigerungen im öffentlichen Dienst ein Defizit von rund 400.000 Euro zu erwarten sei, ein Fehlbetrag, der aus dem Orchesterhaushalt nicht ausgeglichen werden könne. Das schlimmste Szenario wäre, dass die Gehälter im Herbst nicht mehr ausgezahlt werden könnten. Dann wäre die Philharmonie pleite.
Landrat Andreas Müller als Vorsitzender des Philharmonie-Trägervereins gab sich Anfang Dezember indes zuversichtlich, dass die Personalkostensteigerung würde aufgefangen werden können. Er vertraue auf weitere Unterstützung des Landes, auf weitere Zuschüsse und Sponsorenmittel. Ein Puffer könne auch die (auf zwei, drei Jahre ausgesetzte) Ausschüttung aus dem Vermögen der Philharmonie-Stiftung sein, sagte er damals auf Nachfrage dieser Zeitung.
In Siegen stand für Nabil Shehata und sein Orchester am Freitagabend ein Konzert im Apollo-Theater an – mit großer Sinfonik, Bruckner und Strauss. Bei KulturPur steht der Chef nicht (oder nicht mehr) am Pult. „Terminprobleme“ war die Vokabel, die am Donnerstag während der Pressekonferenz zur Programmvorstellung fiel. Im Nachhinein ein Euphemismus.
Chefdirigent der Philharmonie Südwestfalen mit internationaler Karriere
Nabil Shehata begann seine Laufbahn als Dirigent im Jahr 2006. Inspiration und Unterricht erhielt er unter anderem von Daniel Barenboim und Christian Thielemann. 2007 folgte in Cottbus sein hochgelobtes Debüt am Pult. Schon im selben Jahr startete seine internationale Karriere mit einem Gastspiel beim Simón-Bolívar-Orchester in Venezuela. Es folgten viele weitere nationale und weltweite Engagements, etwa beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, den Stuttgarter Philharmonikern oder dem Philharmonischen Orchester Luxemburg. In seiner Zeit als Chefdirigent der Kammeroper München leitete Nabil Shehata zahlreiche Opernproduktionen des Ensembles sowie eine Reihe von Sonderkonzerten mit innovativen dramaturgischen Formaten.
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Musikalische Karriere machte Shehata zunächst als Kontrabassist. Zehn Jahre war er Teil des West-Eastern Divan Orchestra. Schon während seines Studiums übernahm er die Position des 1. Solokontrabassisten der Staatskapelle Berlin, hatte dann von 2004 bis 2008 diese Position bei den Berliner Philharmonikern inne. Von 2007 bis 2018 arbeitete er als Professor für Kontrabass an der Hochschule für Musik und Theater in München, seit 2019 lehrt er an der Barenboim-Said-Akademie in Berlin.