Siegen. Cannabis wird legal, auch in Siegen gehen die Meinungen dazu auseinander. Eine Expertin erklärt, was wichtig ist und wieso Eltern gefordert sind.

Besitz und Konsum von Cannabis sollen ab 1. April unter bestimmten Bedingungen erlaubt sein. Die Entscheidung, die der Bundestag nun mit Zustimmung von zwei Dritteln der Abgeordneten traf, ist aber auch in der heimischen Region umstritten.

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Klar gegen die Legalisierung positioniert sich der Siegen-Wittgensteiner CDU-Bundestagsabgeordnete Volkmar Klein. „Die Ampel handelt hier vollkommen verantwortungslos und nimmt viele gesundheitliche Folgeschäden billigend in Kauf“, schreibt der Christdemokrat in einer Mitteilung. Dieser Auffassung seien „auch führende Verbände der Kinder- und Jugendmediziner, der Kinder- und Jugendpsychiater, die Bundesärztekammer, der Berufsverband der Lehrkräfte und Pädagogen und weitere“, ergänzt er.

Viele offene oder zumindest mangelhaft beantwortete Fragen über Folgewirkungen eines legalen Cannabiskonsums im Straßenverkehr oder am Arbeitsplatz.
Volkmar Klein, CDU-Bundestagsabgeordneter für Siegen-Wittgenstein, sieht die Cannabis-Legalisierung sehr kritisch.

Er begründet die Ablehnung mit „Gesundheitsrisiken – insbesondere für die Entwicklung Jugendlicher und junger Erwachsener“ und kritisiert „völlig irreale Hoffnungen der Befürworter, den Schwarzmarkt austrocknen zu können“. Außerdem gebe es „viele offene oder zumindest mangelhaft beantwortete Fragen über Folgewirkungen eines legalen Cannabiskonsums im Straßenverkehr oder am Arbeitsplatz“.

Siegen: Cannabis-Legalisierung – bisherige Drogenpolitik verhinderte Konsum nicht

SPD-Bundestagsmitglied Luiza Licina-Bode verteidigt den neuen Weg. „Ohne Zweifel hat die bisherige Drogenpolitik nicht funktioniert“, heißt es in einer Mitteilung der Siegen-Wittgensteiner Politikerin. „Statt den Konsum von Cannabis einzugrenzen, steigt der Konsum, Konsumentinnen und Konsumenten werden kriminalisiert und wir beobachten ein besorgniserregendes Erstarken des Schwarzmarkts.“ Schon im Wahlkampf sei es ihr ein Anliegen gewesen, sich in Deutschland „von der gescheiterten Verbotspolitik zu verabschieden und die organisierte Drogenkriminalität so weit wie möglich einzudämmen“.

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Cannabis gehöre „zu den mit Abstand am häufigsten konsumierten psychoaktiven Substanzen in Deutschland“, Schätzungen gingen davon aus, dass „1,5 Millionen Menschen Cannabis regelmäßig und etwa 3,5 Millionen Menschen gelegentlich konsumieren“. Auf dem Schwarzmarkt komme erschwerend hinzu, dass „vielfach verunreinigter Cannabis mit oftmals extrem gesundheitsschädlichen Beimischungen und problematisch hohen THC-Konzentrationen angeboten“ werde. Die neue Gesetzeslage soll es nun auch ermöglichen, „die Qualität von Cannabis zu kontrollieren und den Gesundheitsschutz zu gewährleisten“.

Klar ist: Cannabis ist eine schädliche Substanz für alle Konsumierenden. Auch gerade deshalb verbinden wir Entkriminalisierung mit konkreten Aufklärungs- und Hilfsangeboten.
Luiza Licina-Bode, SPD-Bundestagsabgeordnete aus Siegen-Wittgenstein

Siegen: Cannabis-Legalisierung – Expertin empfiehlt Blick nach Portugal

Die heiklen Aspekte des Rauschmittels verschweigt die Abgeordnete nicht. „Obwohl ich die Entkriminalisierung grundsätzlich für einen richtigen Schritt halte, birgt Cannabis ein großes gesundheitliches Risiko – gerade für junge heranwachsende Menschen in der Entwicklungsphase“, heißt es weiter. Deswegen seien ihr die im Cannabisgesetz vorgesehenen Maßnahmen zum Kinder- und Jugendschutz (siehe Infobox) sehr wichtig. „Klar ist: Cannabis ist eine schädliche Substanz für alle Konsumierenden. Auch gerade deshalb verbinden wir Entkriminalisierung mit konkreten Aufklärungs- und Hilfsangeboten.“

Das ist bald erlaubt

Vom 1. April an sollen Besitz und Anbau von Cannabis zum Eigenkonsum in Deutschland innerhalb gewisser Vorgaben erlaubt sein. Dafür stimmten im Bundestag am 23. Februar etwas mehr als 60 Prozent der Abgeordneten.

Menschen ab 18 Jahren dürfen dann zum Eigenkonsum bis zu 25 Gramm Cannabis besitzen. In der eigenen Wohnung werden bis zu drei Cannabispflanzen gestattet. Es darf im öffentlichen Raum konsumiert werden, allerdings nicht in Gebäuden wie Schulen, Kitas und Sportstätten oder auf Spielplätzen, außerdem nicht in einem Umkreis von 100 Metern um solche Orte herum. Die Abgabe an Kinder und Jugendliche bleibt verboten.

Erhältlich sein soll das Cannabis über als Vereine organisierte, nicht-kommerzielle Clubs, innerhalb derer der Anbau erfolgt und deren Mitgliederzahl auf maximal 500 Personen begrenzt ist.

Nach spätestens 18 Monaten soll eine erste Bewertung stattfinden, wie das Gesetz sich auswirkt. Vor allem der Kinder- und Jugendschutz soll dabei Thema sein. Das Gesetz geht im März noch in den Bundesrat, ist dort aber nicht zustimmungsbedürftig.

Für eine höchst differenzierte Betrachtung wirbt Christina Backes, die in ihrem Beruf als Beraterin bei der AWO-Suchthilfe Siegen täglich mit dem Thema konfrontiert ist. „In der Debatte kochen sehr viele Emotionen und Ängste hoch – teils berechtigt, teils unberechtigt“, sagt sie. Hilfreich sei der Blick in Länder, die bereits Erfahrungen mit gelockerten Drogengesetzen haben. Portugal zum Beispiel habe in dieser Hinsicht die weitreichendsten Schritte in Europa gemacht, seit 2001 sei dort selbst der Besitz harter Drogen keine Straftat mehr, sondern „nur noch“ eine Ordnungswidrigkeit (solange die Menge nicht so hoch sei, dass der Verdacht auf eine Dealer-Tätigkeit entstehe). Wenn die Polizei jemanden mit Rauschmitteln zum Eigengebrauch erwische, ist zunächst nicht das Gericht zuständig, sondern eine Kommission aus einem Juristen oder einer Juristin, einem Sozialarbeiter oder Sozialarbeiterin und einer medizinischen Fachkraft. Die Fachleute klären über Risiken auf, sensibilisieren und vermitteln, sofern gewünscht, auch weiterführende Hilfe. Das Modell habe sich bewährt, sagt Christina Backes: Die Zahl der Drogentoten sei in Portugal massiv gesunken, die Drogenkriminalität ebenfalls deutlich zurückgegangen – und die Zahl der Drogenkonsumenten nicht nennenswert gestiegen.

Man muss bei der Nachfrage ansetzen, nicht beim Angebot.
Christina Backes, Beraterin bei der AWO-Suchthilfe Siegen


Das oft von Kritikerinnen und Kritikern vorgebrachte Argument, dass mit der Legalisierung von Cannabis und der damit deutlich vereinfachten Beschaffung auch mehr Menschen mit dem Kiffen beginnen würden, „klingt im ersten Moment logisch“, räumt die Fachfrau ein. Es blende allerdings aus, dass „Leute nicht aus rationalen, sondern rein emotionalen Gründen konsumieren“; würde Rationalität beim Griff zu Rauschmitteln eine tragende Rolle spielen, „würde schließlich niemand zu viel Alkohol trinken“. Die Illegalität hält diejenigen, die Cannabis konsumieren möchten, seit jeher nicht davon ab, es auch zu tun, bringt aber eine Fülle von negativen Begleiterscheinungen mit sich. Auf der Straße gekaufter Stoff habe oft einen viel zu hohen THC-Gehalt, gerade für junge Menschen steigere das die Gefahr etwa der Entwicklung von Psychosen signifikant. Zudem werde Cannabis auf dem Schwarzmarkt oft mit gesundheitsschädlichen Substanzen gestreckt – beispielsweise mit Haarspray, um das Gewicht zu erhöhen, oder mit Opioiden, um die Konsumenten ohne deren Wissen an härtere Drogen zu bringen. Ferner sei die Wahrscheinlichkeit, mit extremeren Rauschgiften wie Crystal Meth, Kokain oder Heroin in Berührung zu kommen, beim Cannabiskauf vom Straßendealer höher als unter offiziell geregelten Bedingungen.

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Christina Backes plädiert dafür, in der gesellschaftlichen Diskussion stärker „das Thema ,Sucht‘ in den Fokus zu nehmen. Man muss bei der Nachfrage ansetzen, nicht beim Angebot.“ Nicht alle Menschen würden eine Sucht entwickeln. Wenn Konsum aus dem Ruder laufe, dann oft, weil die Betroffenen die Rauschmittel „nicht zum Genuss, sondern für oder gegen etwas Bestimmtes nehmen“: Sorgen, Ängste, Probleme, für deren Handhabung keine alternativen Strategien und Verhaltensweisen erlernt worden seien. „Feiern, dazugehören, etwas zu etwas Besonderem machen, Belohnung oder aus dem Alltag ausbrechen sind ebenfalls weit verbreitete Konsummotive.“ Vorbilder im Umfeld hätten dabei großen Einfluss. Wenn ein Kind sieht, dass die gestresste Mama sich nach dem Zug an der Zigarette entspannt oder dass Papas Laune sich nach dem ersten, zweiten, dritten „Feierabendbier“ merklich bessert, werde schon in jungen Jahren eine Verbindung von „zu einer Substanz greifen“ und „sich besser fühlen“ geschaffen. Die Hemmschwelle, ebenfalls Rauschmittel zu nutzen, sinke. Und tatsächlich habe fast jeder, der irgendwann bei anderen Drogen landet, „erst einmal Nikotin und Alkohol konsumiert“, merkt Christina Backes an.


Wichtig sei es, dass Menschen sich solcher Mechanismen bewusst seien, um das eigene Verhalten reflektieren und die richtigen Schlüsse daraus ziehen zu können. Dieser Kurs werde inzwischen auch in der Präventionsarbeit mit Kindern und Jugendlichen verfolgt. Früher habe die Verteufelung der Drogen im Vordergrund gestanden, oft mit erhobenem Zeigefinger. Heute rücke die Perspektive auf den eigenen Umgang mit den Substanzen in den Blick – und die Frage, welche individuellen Bedürfnisse der Konsum eigentlich befriedigen soll.

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Auch wenn sie die Legalisierung von Cannabis also aus diversen Gründen für den richtigen Weg hält, würde Christina Backes es begrüßen, bei der Ausgestaltung des Gesetzes noch einmal genauer hinzuschauen. Die Menge von 25 Gramm als Obergrenze für den Cannabiskonsum zum Beispiel sieht sie kritisch. „Das reicht für täglichen Konsum – und Sucht entsteht nicht zuletzt durch Gewöhnung.“

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