Siegen-Wittgenstein. Auf der Zielgeraden lenkt der Landrat ein: Der Kreis Siegen-Wittgenstein verzichtet auf 15 Millionen Euro Kreisumlage, zugunsten der Kommunen.

Er hat es, wie schon vor vier Jahren, wieder getan. Ganz am Ende, nachdem Kreiskämmerer Thomas Damm alle Zahlen vorgestellt hat, zieht Landrat Andreas Müller einen neuen Vorschlag aus der Tasche. Es sei „absolut geboten, den Haushalt erneut auf den Prüfstand zu stellen“, sagt er mit Blick auf die Kommunen, die gegen die bisher vorgeschlagene Erhöhung der Kreisumlage Sturm laufen. „Die Situation für die Städte und Gemeinden ist dramatisch.“

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Das Angebot

Die Kreisumlage soll von 34,7 auf 36,35 Prozent steigen, nicht auf 38,4 Prozent. Die Umlage für das Jugendamt, die alle Städte außer Siegen bezahlen müssen, wird nicht von 27,1 auf 27,41 Prozent erhöht, sondern auf 25,98 Prozent gesenkt. Unter dem Strich macht das eine Entlastung der Kommunen um 15 Millionen Euro aus.

Im einzelnen:

Fünf Millionen Euro kommen von einer Einsparliste. Größter Einzelposten sind 400.000 Euro weniger für Kosten der Unterkunft, die der Kreis für Bezieher von Sozialgeld übernimmt. 750.000 Euro mehr als geplant will der Kreis bei der Verkehrsüberwachung einnehmen. An die Stelle der stationären Blitzer soll ein Anhänger mit Kamera eingesetzt werden, der die Temposünder erfasst. Weitere 120.000 Euro Mehreinnahmen erwartet der Kreis an Gebühren, die für die Genehmigung von Windkraftanlagen erhoben werden. 2,5 Milliionen Euro werden frei, indem der Fonds für den Ausbau der Betreuungsplätze für unter Dreijährige aufgelöst wird. Eingespart werden sollen auch kleinere Beträge wie die Beteiligung am European Energy Award (10.000 Euro) und die Zertifizierung als mittelstandsfreundliche Verwaltung (34.000 Euro).

Weitere fünf Millionen Euro sollen durch eine „globale Minderausgabe“ in Höhe von einem Prozent aller eingeplanten Aufwendungen erwirtschaftet werden. Am Ende des Jahres wird der Nachweis zu erbringen sein, dass das Ziel erreicht ist.

Dem Kreistag will Landrat Andreas Müller vorschlagen, den „Sockel“ von fünf Millionen Euro aufzugeben, der dauerhaft von der Ausgleichsrücklage übrig bleiben sollte.

Die Vorschläge sollen dazu dienen, „die Handlungsfähigkeit der Städte und Gemeinden aufrecht zu erhalten“, sagt Andreas Müller und erinnert daran, dass die Kreistagsfraktionen seit Frühjahr daran arbeiten, freiwillige Leistungen des Kreises auf den Prüfstand zu stellen. „Eindringliche Bitte“ sei es nun, dem Kreistag Vorschläge zu unterbreiten. Zuletzt hat der Kreistag als neue freiwillige Leistung die Beteiligung am Wisent-Projekt beschlossen. Sollten Land und Stadt Bad Berleburg mitmachen, wäre der Kreis mit zunächst rund 100.000 Euro beteiligt.

Die Lage

Landrat Andreas Müller und Kämmerer Thomas Damm stellen zum zehnten und letzten Mal gemeinsam den Entwurf eines Haushaltsplans vor. Thomas Damm geht mit dem Ende seiner Amtszeit als Kreisdirektor Ende April 2024 in Pension – es sei denn, der Kreistag wählt ihn noch vor Ende Januar gegen seinen Willen wieder; dann müsste Thomas Damm annehmen...

Mehr Ausgaben für Personal, Nahverkehr, Grundsicherung im Alter und vor allem für den Landschaftsverband, der allein 48 Prozent der Umlage abkassiert, die der Kreis gerade von den Städten und Gemeinden einnimmt. Und dann noch weniger Schlüsselzuweisungen vom Land. Das ist das Bild, das Landrat und Kämmerer im Vorfeld der Haushaltsberatungen in Ausschüssen und Kreistag zeichnen. 37 Millionen Euro mehr als im laufenden Jahr werden gebraucht. „Und im Grunde haben wir darauf keinen Einfluss“, stellt der Landrat fest. Denn mehr als 400 Millionen Euro und damit fast 70 Prozent des gesamten Haushalts sind für Sozialausgaben bestimmt, die entweder der Landschaftsverband oder die Kreisverwaltung selbst oder das Jugendamt tätigen müssen. Allein im Jugendamt werden 1,1 Millionen Euro mehr für die Kitas, 2,6 Millionen Euro mehr für Hilfen zur Erziehung und 1,5 Millionen Euro mehr für Maßnahmen gebraucht, mit denen das Jugendamt auf drohende Kindeswohlgefährdungen reagiert.

Ihr zehnter und letzter gemeinsame Haushaltsplan: Kämmerer Thomas Damm (rechts), Landrat Andreas Müller. 
Ihr zehnter und letzter gemeinsame Haushaltsplan: Kämmerer Thomas Damm (rechts), Landrat Andreas Müller.  © Steffen Schwab | Steffen Schwab

Kämmerer Thomas Damm nennt Zahlen: 42 Prozent (und nicht die neuerdings vorgeschlagenen 36,35 Prozent) müsste der Hebesatz für die Kreisumlage betragen, wenn der Kreis seinen gesamten Geldbedarf bei den Städten und Gemeinden decken würde. Um 4,1 Millionen Euro steigt im Schnitt pro Jahr der Bedarf für die 135 Kitas, das sind jährlich 22 Prozent. In den 44 Jahren seit 1980 sind die Sozialausgaben im Schnitt jährlich um 15,1 Prozent gestiegen, die Schlüsselzuweisungen des Landes aber nur um 2,9 Prozent. Allein vom laufenden zum nächsten Jahr nehmen die Sozialausgaben um 33 Millionen Euro zu. „Mittelfristig droht die Überschuldung“, warnt Thomas Damm, nämlich dann, wenn nach der Ausgleichsrücklage auch noch das Eigenkapital aufgebraucht wird. Die 122 Millionen Euro, die noch in der allgemeinen Rücklage sind, „wären in vier Jahren aufgebraucht.“

Das Jahr 2022 hat der Kreis um 17 Millionen Euro besser abgeschlossen als geplant, „das wären sonst drei Prozentpunkte Kreisumlage mehr“, gibt Thomas Damm zu bedenken. Den Vorwurf der Bürgermeister, der Kreis plane auf Kosten der Kommunen zu großzügig, „muss ich entschieden zurückweisen“. Sein Vergleich: In den letzten zehn Jahren habe der Kreis Verbesserungen im Umfang von 1,5 Prozent seines Haushalts erzielt; die Städte und Gemeinden seien in derselben Zeit auf 3,9 Prozent gekommen.

Die Projekte

Breitband: 66,6 Millionen Euro stehen im Etat; das ist mit Abstand der größte Posten im Rekord-Investitionsvolumen von 93 Millionen Euro. Insgesamt gibt der Kreis für die Glasfaserverkabelung 114 Millionen Euro aus. Der Kreis selbst zahlt nichts, das Geld kommt – abgesehen von geringen Eigenanteilen der Kommunen – vom Bund.

Kreisstraßen: 16 Millionen Euro werden vor allem in Wittgenstein verbaut, zwischen Erndtebrück und Birkefehl, zwischen Bad Laasphe und Rückershausen, für eine Ederbrücke in Aue und die Erneuerung zwischen Bad Berleburg-Stedenhof und Arfeld. Saniert wird auch die K7 zwischen Kaan-Marienborn und Abzweig Volnsberg. Der Neubau der Setzetalbrücke zwischen Dillnhütten und Setzen, vor gut einem Jahr mit fast 35 Millionen Euro kalkuliert, spielt im Haushalt noch keine Rolle. Veranschlagt sind bisher 100.000 Euro für die Ampel, weil der Verkehr nur noch einspurig über die Brücke fahren darf.

Verwaltungsgebäude St. Johann-Straße: Der umstrittene Neubau neben dem Lyz ist nicht veranschlagt, bisher hat nur der vor einem Jahr abgeschlossene Architektenwettbewerb Geld gekostet. Die Verhandlungen mit den drei Preisträgern seien abgeschlossen. Er werde dem Kreistag im Dezember einen Vorschlag zum weiteren Vorgehen machen, kündigt Landrat Andreas Müller an – welchen, sagt er noch nicht öffentlich.

ÖPNV: Mittlerweile 16,6 Millionen Euro schießt der Kreis für den öffentlichen Nahverkehr zu, vom Schülerticket, das Schülerinnen und Schülern kostenlos überlassen wird, bis zum „Höchsttarif“, mit dem die Fahrpreise subventioniert wurden. Das Deutschlandticket entlastet so lange, wie Bund und Land die Einnahmeausfälle der Verkehrsunternehmen auffangen. Landrat Andreas Müller fürchtet, dass es damit nach einer Übergangszeit etwa bis Ende April vorbei sein könnte. „Wir werden das Deutschlandticket nicht vertreiben und nicht anerkennen, wenn es nicht finanziert ist.“ Mehrkosten könnten auf den Kreis zukommen, wenn die Personalkosten steigen. Auf der verzweifelten Suche nach Busfahrern könnten die Vekrehrsbetriebe um Zugeständnisse bei den Löhnen nicht herumkommen, ahnt Andreas Müller.

Rettungswachen: Weder in Allenbach noch in Kreuztal wird im nächsten Jahr gebaut. „Es scheitert an den Standorten“, sagt Landrat Andreas Müller. Der Kreis findet keine Bauplätze. Nachgedacht wird darüber, übergangswiese einen Rettungswagen am Feuerwehrgerätehaus Hilchenbach zu stationieren. Beginnen soll dagegen der Neubau der Rettungswache Wilnsdorf auf dem bisherigen Busbahnhof des Gymnasiums.

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