Unglinghausen. Sie halten länger durch und sind lauter als andere: Die aktiven Unglinghäuser wollen keine neue Straße – ob sie nun Route 57 oder anders heißt.
Ein roter Strich durch die „Route 57“ unten, „Natur 57“ auf grünem Grund oben: Wer nach Unglinghausen hereinkommt, lernt an der ganz eigenen Version der Ortseingangstafeln, wie das 1000-Einwohner-Dorf über die Pläne für die Ortsumgehungskette von Kreuztal nach Schameder denkt – es ist tatsächlich das Dorf, darauf legen Dr. Werner Mühlnickel und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter in der Bürgerinitiative Pro Mensch und Natur Wert: Mehr als zwei Drittel der über 16-Jährige haben die Resolution gegen das Straßenbauvorhaben unterschrieben, mit der die Bürgerinitiative vor nunmehr 15 Jahren ihre Arbeit aufnahm.
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Die Kreuztaler Südumgehung ist der Anfang
Erst in der letzten Woche haben sich die Unglinghausener wieder intensiv an der digitalen Fragerunde des Landesbetriebs Straßen NRW beteiligt, der seine Planung der Ortsumgehungskette mit offensiver Öffentlichkeitsarbeit begleiten lässt. Wie lang denn die Talbrücke vor dem Unglinghausener Oberdorf würde, wenn die Entscheidung für die südliche Trassenvariante falle, fragen sie dort. Und wie wahrscheinlich denn eine zusätzliche Anschlussstelle auf der Höhe zwischen Kredenbach und Unglinghausen werde. Seit das Planergänzungsverfahren für die Kreuztaler Südumgehung läuft und bereits von einem Baubeginn im nächste Jahr gesprochen wird, sind die Unglinghausener alarmiert.
„Wenn das durchgehen sollte, müssen wir weiter machen“, weiß Dr. Werner Mühlnickel. Denn die Kreuztaler Südumgehung wäre das erste Stück des Straßenzuges, den seine Befürworter „Route 57“ nennen und der Landesbetrieb „57-verbinden“. Umgekehrt: Ohne die Südumgehung kommt auch keine Ortsumgehungskette.
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Die Natur schützen, keinen zusätzlichen Verkehr erzeugen, keine neuen Straßen bauen, für die es keinen Bedarf gibt: Die Argumente sind immer gleich – seit über 40 Jahren, sagt die Bürgerinitiative, die an die vielen Namen erinnert, die das Straßenstück schon hatte, angefangen mit der „FELS“, der Ferndorf-Eder-Lahn-Straße. Das Thema ist mindestens so alt wie der Neubau der A 4 von Köln, die 1976 bis Olpe-Süd freigegeben wurde. Seitdem geistert der „Lückenschluss“ durchs Rothaargebirge bis zur Anbindung das Autobahnnetz Richtung Osten durch die Bundesverkehrswegepläne.
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Was Unglinghausen befürchtet
„Es ist ein Problem, über so lange Zeit dabei zu bleiben“, weiß Manfred Oerter. Er ist nicht nur einer der Aktiven der ersten Stunde, sondern auch Initiator der 2017 eröffneten Autismus-Wohnstätte, vor deren Tür die Ortsumgehung Ferndorf im ungünstigsten Fall vorbeiführen würde. „Es ist uns ein Herzensanliegen, dass wir nicht durch ein Projekt geschädigt werden, das nicht notwendig ist.“ Das Verkehrsaufkommen nach und aus Wittgenstein geht zurück, der überwiegende Verkehr im Ferndorftal wird im Ferndorftal bleiben, weil er Ziele in Kreuztal und Hilchenbach ansteuert, ganz zu schweigen vom Schwerverkehr von Thyssenkrupp Steel zwischen den Werken Ferndorf und Eichen. Die werden genauso wenig die Südumgehung nutzen, für die sie erst den Umweg in der Gegenrichtung bis zur Auffahrt in Allenbach machen müssten, wie der Schwerverkehr aus dem Kredenbacher Gewerbegebiet, der nach wie vor über die L 729 und Unglinghausen die HTS und die Autobahnen ansteuert – die Unglinghausener haben Verkehrszählungen, -prognosen und -gutachten bis ins Detail studiert.
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„Für uns verändert sich das ganze Landschaftsbild“, fürchtet Ortsbürgermeisterin Elke Bruch. Schlimmstenfalls wird die Straße auf einer Brücke unterhalb der Kredenbacher Höhe die L 729 (Kredenbach-Unglinghausen) kreuzen, quer über die Felder und am Feuerlöschteich vorbei Richtung Mülldeponie in Herzhausen und dann zu einer Anbindung an die L 728 (Allenbach-Herzhausen) auf der Oberbach. Die Quellgebiete von Wolfsborn, Waldesstille, Struthborn und Sineborn würden zerstört. „Das ganze Naherholungsgebiet wäre weg“, warnt Dr. Werner Mühlnickel. Die Bewohner des Oberdorfs müssten damit rechnen, dass ihre Häuser und Grundstücke an Wert verlieren. Und auch die Bewirtschaftung des Waldes werde schwierig, fürchtet Horst Otto: „Wir müssen oben drüber oder drunter durch.“ Die Straße selbst werde wegen des Wildwechsels wohl eingezäunt werden müssen, erwartet er.
Was die Initiative tut
„Aus der Zeit gefallen“ sei das Vorhaben, sagt Dr. Werner Mühlnickel, „wir sind eine alternde Gesellschaft, wer soll das alles stemmen „Dieses Land ist nicht mehr reich“, sagt Horst Otto. Vorige Woche hat Elke Bruch im Dialogforum angeregt, die knappen Ressourcen auf die Sanierung maroder Straßen und Brückenbauwerke zu konzentrieren. Der Projektleiter des Landesbetriebs war da der falsche Ansprechpartner – er hat eben einen anderen Auftrag. ?“ Norbert Butters nennt als Beispiel die L 719 von Walpersdorf über die Siegquelle, die andere Verbindung nach Wittgenstein: „Die wurde über Jahrzehnte vernachlässigt.“ Elke Bruch fällt der immer noch nicht gebaute Radweg von Unglinghausen über die Höhe nach Kredenbach ein. Und Horst Otto denkt an die Bahn: Für die in den 1990ern noch verfolgte Johannlandbahn von Deuz nach Siegen ist es nun zu spät. Aber die Bahnstrecke nach Bad Berleburg zweigleisig und elektrifizieren? „Da denkt kein Mensch dran.“
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Letzte Generation? „Ich kann die immer mehr verstehen“
Die Unglinghausener sind die lautesten – um Nachbarinitiativen wie „Herz gegen FELS“ in Herzhausen, „Felsenfest gegen FELS“ in Ruckersfeld oder „Rettet das Mattenbachtal“ in Buschhütten, die ebenfalls unter den Dach des Netzwerks „Natur 57“ engagiert sind, ist es vergleichsweise still geworden. „Unsere Argumente werden nicht gehört“, stellt Dr. Werner Mühlnickel fest. Was nicht bedeutet, dass die Unglinghausener, die seit 15 Jahren bei allen Demos, Kundgebungen, Anhörungen und Diskussionen präsent sind, es nicht immer wieder versuchen. Zuletzt mit einer Postkartenaktion an die Entscheidungsträger. Um die 1600 Karten sind im Umlauf. „Es sind nur vereinzelte Antworten gekommen“, berichtet Elke Bruch, die darüber nicht besonders frustriert ist: „Es ging vor allem darum, Flagge zu zeigen.“
Manfred Oerter denkt an die, die weniger Ausdauer haben, und erwähnt die umstritten-radikalen Aktionen der „Letzten Generation“: „Ich kann die immer mehr verstehen.“ „Der Frust sitzt bei manchen Leuten tief“, ergänz Horst Otto. Es hilft alles nichts, meint schließlich Manfred Oerter: „Wir machen so lange weiter, bis das Ding weg ist.“
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