Siegen. Carl Kraemer gilt als „Vater des deutschen Tierschutzgesetzes“: Er entwickelte den „Pferdetransportwagen“ für an der Front verwundete Tiere.
Was haben Totengeläut, Tolstoi, die Siegener Badeanstalt, die Gewerbeausstellung in Düsseldorf 1902, die Siegener Synagoge und das Hilchenbacher Gymnasium miteinander zu tun? Nichts – außer dass sie den bunten Strauß in der neuesten Ausgabe von „Siegerland“ sind, den Blättern des Siegerländer Heimat- und Geschichtsvereins. Der Verein versteht sich auf die konzentrierte Aufarbeitung von Themen, dafür stehen Sonderhefte zur 775-Jahrfeier der Stadt Siegen oder zum Hauberg. Er kann aber auch die bunte Mischung von Wichtigem und Nebensächlichem, Generellen und Speziellen, die insgesamt immer wieder neue Mosaiksteine zum wohl niemals vollständigen Bild Siegerländer Regionalgeschichte legen. Das 100. Heft ist ein typisches Beispiel dafür: für 111 Jahre Heimatforschung auf 14.147 Seiten, wie Gerhard Moisel in seinem Vorwort nachgerechnet hat.
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Wie erfährt man, dass jemand gestorben ist?
Die Stadt Siegen beschäftigte eine Person, deren Aufgabe es war, eine Todesnachricht zu überbringen und zu Begräbnis und Leichenschmaus einzuladen. „Gretgen zum Halben Mane“ was das 1525/26, berichten Andreas Bingener und Michael Diehl in ihrem Beitrag - „Zum Halben Mond“ wurde das Stadtviertel um das Löhrtor herum genannt. Kirchenglocken spielten eine Rolle. Ob aber nur auf die ruhende Glocke geschlagen oder ein regelrechtes Geläut angestimmt wurde, war umstritten. Fürst Friedrich Wilhelm Adolf verbot 1716 erneut das Läuten als „überflüßig“ und „abergläubischen Mißbrauch unterworfen“ – es passte nicht in die evangelisch reformierte Landschaft. Mit den Zeitungen kamen die Todesanzeigen auf. Diese konnten knapp formuliert sein oder ausführlich wie zum Beispiel 1794 die von Pfarrer Otterbein in Burbach, der seinen 27-jährigen Sohn betrauert, den ein verirrter Schuss aus dem Gewehr eines befreundeten Soldaten tödlich trifft. Im ersten Weltkrieg wurden Todesanzeigen verboten.
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Was hat der russische Dichter Leo Tolstoi mit dem in Siegen geborenen Pädagogen Adolph Diesterweg zu tun?
Sie kannten sich – Rolf Heetfeld schildert die Lebensläufe des bekannten Siegeners und des russischen Schriftstellers, der sich jahrelang um die Bildung der Landbevölkerung kümmerte und auch eine Versuchsschule einrichtete. Sie stritten miteinander, der junge Tolstoi war 1861 von dem mehr als doppelt so alten Diesterweg enttäuscht: „Er ist klug, aber kalt und will nicht glauben und ist betrübt und dass man liberaler sein kann und weiter als er gehen kann.“
Standen Basaltsäulen vom Hohenseelbachskopf am Eingang der Düsseldorfer Industrie-, Gewerbe- und Kunstausstellung von 1902?
Bisher verließ ab sich auf den 1954 veröffentlichten Bericht von Josef Hoffmann, der die Ausstellung allerdings nie selbst gesehen hat. Eberhard Klein hat nachrecherchiert. Sein Fazit: Der Pavillon der Westerwälder Basalbrüche – eine Firma mit Sitz in Eiserfeld – hatte auf der Ausstellung „nur begrenzte Bedeutung“. „Die (…) Aufstellung von langen Basaltsäulen lässt sich nicht nachweisen.“
Wie wirbt Siegens „Badeanstalt“?
Im kürzesten Beitrag des Hefts analysiert Rolf Löttgers zwei Inserate aus den Jahren 1930 und 1934. Das „moderne Hallenschwimmbad“ in der Sandstraße, die zeitweise Adolf-Hitler-Straße hieß, hatte 1930 noch kein „Familienbad“ im Angebot, in dem - mittwochs nachmittags – Männer und Frauen gemeinsam ihre Bahnen ziehen durfte. Wannen- , Brause-, Schwitz- und Heilbäder wurden beworben, und das „Volksbad“ zum halben Preis dienstags und freitags von 19 bis 22 Uhr. Wer mehr wissen will, dem sei der aktuelle „Klick in die Vergangenheit“ des Siegener Stadtarchivs empfohlen.
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Wer war Carl Kraemer?
Wilfried Lerchstein nimmt den 150. Geburtstag des Hilchenbachers zum Anlass, den Lebensweg des „Vaters des deutschen Tierschutzgesetzes“ nachzuzeichnen. Der gelernte Sattler und Polsterer entwickelte im ersten Weltkrieg den Pferdetransportwagen für verwundete Pferde und wirkte an der Formulierung des ersten deutschen Tierschutzgesetzes mit, von den Nazis wurde er – zwar nicht Mitglied der NSDAP, aber der nationalsozialistischen Volkswohlfahrt – ausgeschaltet. Dass das Gesetz mit seinem Schächtverbot allerdings auch gezielt antisemitisch begründet wurde, verschweigt Wilfried Lerchstein nicht. Carl Kraemer setzte seine Arbeit mit seinem „Tierschutzwerbedienst“ fort.
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Das Gymnasium? In Berlin brachte er die Hilchenbacher Bemühungen zum Erfolg, in dem Gebäude des auslaufenden Lehrerseminars eine Aufbauschule zu eröffnen. 1923 wurde die mit Klasse 8 beginnende „Deutsche Oberschule in Aufbauform“ eröffnet und 1925 „Jung-Stilling-Schule“ benannt. Aus ihr wird 1958 das „Jung-Stilling-Gymnasium“, seit 1965 begann es mit einer 5.Klasse („Sexta“), 1974 gab das Land NRW die Trägerschaft ab die Stadt Hilchenbach ab. Die 2003 neu gegründete Realschule, seit 2005 „Carl-Kraemer-Realschule“, zog in das Gebäude des 2008 geschlossenen Gymnasiums ein. Realschule und ein Carl-Kraemer-Weg erinnern heute an den prominenten Hilchenbacher. In seinem Aufsatz äußert Wilfried Lerchstein Unverständnis, „warum Carl Kraemer anders als seinem Zeitgenossen und Freund Wilhelm Münker, die Ehrenbürgerwürde seiner Heimatstadt Hilchenbach verwehrt geblieben ist“.
Ausgerechnet im Jubiläumsjahr tut die Stadt in Übriges: Sie löst das Kuratorium der Carl-Kraemer-Stiftung auf, die Kraemers für ein Tierschutzmuseum vorgesehenes Geburtshaus schon 2000 verkaufen musste, und räumt das Gedenkzimmer in der Wilhelmsburg leer – die Einrichtung lagert im neuerdings für Besucher gesperrten Dachgeschoss.
Wie sah die Siegener Synagoge aus?
Traute Fries ist Mitbegründerin des Aktiven Museums Südwestfalen, das im ehemaligen Luftschutzbunker am Obergraben eingerichtet wurde – der wiederum an der Stelle des 1938 von den Nazis zerstörten jüdischen Gotteshauses steht. Rüdiger Fries, Bruder von Traute Fries, berichtet über seine Initiative, die Synagoge im Modell zu rekonstruieren. „Eine besondere Art und Weise des Erinnerns“, schreibt Rüdiger Fries, „ein Symbol des Gedenkens an das prachtvolle Gebäude und die Menschen, die sich dort versammelten und insbesondere ein Gedenken an Familie Frank aus Weidenau.“ Denn im Hause des Kaufmanns Samuel Frank in Weidenau haben Wilhelm Fries, Vater von Traute und Rüdiger Fries, und seine Familie als Mieter gewohnt. Den Holocaust überlebt haben Samuel Franks Kinder Ruth und Manfred; die übrige Familie wurde in Zamoscz im KZ ermordet.
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