Netphen. Die Interessengemeinschaft Siegen-Wittgenstein bedankt sich bei Ministerin Scharrenbach. Wunschlos glücklich ist sie aber nicht.

Die Interessengemeinschaft Siegen-Wittgenstein für beitragsfreie Straßen hat sich bei Kommunalministerin Ina Scharrenbach für ihr Engagement zu bedankt. Der Gesetzentwurf zur Abschaffung der Anliegerbeiträge liegt nun dem Landtag vor. „Viele Betroffene sind nun überglücklich und sehr dankbar, dass Sie den Gesetzesentwurf letztendlich auf den Weg gebracht haben“, heißt es in dem Schreiben. Der Gesetzentwurf schaffe „endlich eine bessere Gerechtigkeit, mehr Fairness und Solidarität, aber auch Chancengleichheit mit Blick auf die anderen Bundesländer“.

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Land bezahlt bisher 100 Prozent – aber nicht für alle

In der Übergangszeit waren zwar noch Beitragsbescheide seit 2020 verschickt worden, hatten die Städte und Gemeinden weiterhin Anliegerbeiträge berechnet, dazu aber eine Förderung durch das Land beantragen können, zunächst 50 Prozent, seit 2022 sogar 100 Prozent, sodass die Anlieger faktisch kostenfrei gestellt waren. Dennoch seien 31 Anträge abgelehnt worden, so dass auch in den Jahren 2021, 2022 und 2023 noch Anwohnerinnen und Anwohner zahlen mussten, stellt die Interessengemeinschaft fest. Bedingung für die Förderung war nämlich, dass der Beschluss zum Ausbau der Straße nach dem 1. Januar 2018 gefasst wurde. „Bei uns im Kreis hat es leider Anwohnerinnen und Anwohner aus Erndtebrück getroffen, die 2022 ihren Beitragsbescheid erhielten und bezahlen mussten.“

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Ungewissheit auch in Netphen

Zu denen, die eine solche Rechnung noch fürchten müssen, gehören auch Diana Borawski, Sprecherin der Interessengemeinschaft, und ihre Nachbarn in Kampenstraße und Meisenweg in Netphen. Die 100-Prozent-Förderung des Landes gilt für Maßnahmen ab 2018. Tatsächlich wurden Ausbau und Auftragsvergabe im Netphener Rat Anfang 2018 beschlossen, allerdings kein förmlicher „Durchführungsbeschluss“. Alternative dazu könnte auch die erstmalige Veranschlagung des Vorhabens im Haushaltsplan sein, heißt es in der Förderrichtlinie. Die allerdings ist in Netphen schon 2016 erfolgt. In Netphen besteht nun auch Zeitdruck. Die Forderung der Stadt an die Haincher Anwohner verjährt im Januar 2024.

In ihrem Schreiben fragt die Interessengemeinschaft die Ministerin, ob eine „Härtefallregelung“ für Straßen denkbar sei, deren Anlieger nach der Veröffentlichung der Förderrichtlinie noch einen Beitragsbescheid erhalten haben. „Dann wäre Ihr Gesetzentwurf perfekt.“ In der Pressemitteilung kündigen die Initiativen an, die Beratungen im Landtag zu verfolgen. „Wir hoffen darauf, dass 2024 in NRW niemand mehr Straßenausbaubeiträge bezahlen muss.“

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Die Interessengemeinschaft stößt auf den Erfolg an, von links Angelika Friedrich, Anke Blecher, Eva Hackler, Susanne Linde und Diana Borawski.
Die Interessengemeinschaft stößt auf den Erfolg an, von links Angelika Friedrich, Anke Blecher, Eva Hackler, Susanne Linde und Diana Borawski. © Interessengemeinschaft Siegen-Wittgenstein für beitragsfreie Straßen | Interessengemeinschaft Siegen-Wittgenstein für beitragsfreie Straßen

Beitragsverbot gilt erst ab 2024

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass ab 2024 für Straßenausbaumaßnahmen, die ab diesem Zeitpunkt beschlossen werden oder frühestens im Haushalt des Jahres 2024 stehen, keine Anliegerbeiträge mehr erhoben werden dürfen. Städte und Gemeinden müssen kein Straßen- und Wegekonzept mehr aufstellen, Anliegerversammlungen vor einem Straßenausbau sind auch nicht mehr erforderlich. „Die damit verbundenen Beitragsausfälle der Kommunen werden landesseitig erstattet“, heißt es in der Landtagsdrucksache zur Gesetzesvorlage. In der Begründung des Gesetzes wird die Höhe der Erstattung auf den bisher höchstmöglichen Anliegeranteil festgelegt, das sind in Anliegerstraßen 80 Prozent der Kosten. Geregelt werden soll dies in einer Rechtsverordnung durch das Ministerium. Betont wird aber auch, dass vor 2018 beschlossene oder bereits 2017 oder früher im Haushaltsplan veranschlagte Vorhaben weiter mit den Anliegern abgerechnet werden müssen. „Für diese Fälle greift auch keine Erstattungsmöglichkeit nach den Förderrichtlinien Straßenausbaubeiträge ein.“

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„Die Stimmen der CDU zur Abschaffung von Straßenausbaubeiträgen sind sicher“, sagt der Siegener CDU-Landtagsabgeordnete Jens Kamieth zu. „Bürgerinnen und Bürger bekommen volle Rechtssicherheit und der Aufwand der Kommunen wird reduziert.“ Kamieth weist darauf hin, dass die 100-Prozent-Förderung der noch ausgestellten Beitragsbescheide seit 2022 gilt und Anwohner faktisch seit 2018 nicht mehr belastet werden. „Den Menschen ist ja egal, ob sie die Beiträge aufgrund eines Förderprogramms oder einer Gesetzesänderung nicht mehr zahlen – Hauptsache, sie zahlen nichts mehr“, stellt Jens Kamieth fest. „Dafür sorgen wir jetzt und schaffen damit eine echte Entlastung in einer Zeit, in der die Bürgerinnen und Bürger sie ganz besonders brauchen.“

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In Neubaugebieten muss weiter gezahlt werden

Das Kommunalabgabengesetz (KAG) trat 1969 in Kraft. „Straßen, Wege und Plätze im städtischen oder gemeindlichen Besitz sind in die Jahre gekommen und bedürfen oftmals nach 40 oder 50 Jahren einer grundhaften Erneuerung“, heißt es in der Landtags-Drucksache. „Es hatte sich in der Vergangenheit gezeigt, dass es im Zusammenhang mit der Veranlagung von Straßenausbaubeiträgen zu hohen und teilweise erheblichen finanziellen Belastungen kommen kann, die die Einzelne oder den Einzelnen auch überfordern können.“ Tatsächlich hatten auch in Siegen-Wittgenstein eine Reihe von Kommunen den Straßenausbau einstellen müssen – die Räte hatten zuvor beschlossen, keine Straßenbauten mehr in Auftrag zu geben, für die sie Anliegerbeiträge erheben müssen, bis das Kommunalabgabengesetz geändert ist. Nicht davon betroffen ist die Erschließung von Straßen in Neubaugebieten. Dafür müssen den Anwohnern 90 Prozent der Kosten als Erschließungsbeitrag berechnet werden. Diese Forderungen sollen künftig aber 20 Jahre nach Fertigstellung der Straße verjähren.

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