Siegen. Auch wenn die „KAG-Beiträge“ abgeschafft werden, drohen Rechnungen, zum Beispiel in Netphen – sie könnten manche Weihnachtsbescherung verderben.
Die Interessengemeinschaft Siegen-Wittgenstein für beitragsfreie Straßen freut sich „außerordentlich“: Die Landesregierung hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem die Anliegerbeiträge für den Straßenausbau abgeschafft werden. „Viele Betroffene haben nicht mehr daran geglaubt, dass die Landesregierung ihr Wahlversprechen noch einhält“, heißt es in der Pressemitteilung der Interessengemeinschaft, unter deren Dach sich mehrere Bürgerinitiativen zusammengeschlossen haben. Aber auch für Sprecherin Diana Borawski aus Hainchen ist die Zitterpartie noch nicht beendet.
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Initiativen fordern Regelung für Härtefälle
Wir hoffen, dass der Entwurf nach entsprechender Beratung auch beschlossen wird und im Jahr 2024 keine Anliegerbeiträge für Straßenausbaumaßnahmen mehr erhoben werden“, erklärt die Interessengemeinschaft, die aber dennoch Kritik übt. Denn mit den Beiträgen wird auch die Verpflichtung der Städte und Gemeinden gestrichen, ein Straßen- und Wegekonzept aufzustellen. „Gerade das Straßen- und Wegekonzept sorgte für eine bürgerfreundliche Transparenz von Verwaltungstätigkeiten. Bürgerinnen und Bürger wurden frühzeitig informiert und konnten in den Anliegerversammlungen ihre Ideen miteinbringen. Es wäre schade, wenn man hier von einer Anliegerbeteiligung wieder abweichen würde und betroffene Anwohner erst mit Eintreffen der Bagger erfahren würden, dass ihre Straße grundhaft saniert wird.“
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Vermisst wird auch eine Regelung für Härtefälle. Denn auch wenn das Land seit 2020 Fördermittel bereitstellt, um die von Anwohnern noch verlangten Beiträge zu 100 Prozent zurückzuerstatten, gebe es trotzdem noch zahlungspflichtige Beitragsbescheide, „auch, wenn die Landesregierung das bis heute nicht hören und anerkennen möchte“, wie die Interessengemeinschaft feststellt. Schon jetzt seien landesweit 15 Anträge nicht bewilligt worden, hunderte Anliegerinnen und Anlieger hätten trotz Förderrichtlinie zahlen müssen. „Die Landesregierung scheint hier den Appell diverser betroffener Anliegerinnen und Anlieger nicht gehört zu haben, die in den Jahren 2022 und 2023 ihren Beitragsbescheid in voller Höhe erhalten haben und eben nicht unter die Förderrichtlinie gefallen sind.“
In Hainchen droht noch ein dickes Ende
Zu denen, die eine solche Rechnung noch fürchten müsse, gehören auch Diana Borawski und ihre Nachbarn in Kampenstraße und Meisenweg in Netphen. Die 100-Prozent-Förderung des Landes gilt für Maßnahmen ab 2018. Tatsächlich wurden Ausbau und Auftragsvergabe im Netphener Rat Anfang 2018 beschlossen, allerdings kein förmlicher „Durchführungsbeschluss“. Alternative dazu könnte auch die erstmalige Veranschlagung des Vorhabens im Haushaltsplan sein, heißt es in der Förderrichtlinie. Die allerdings ist in Netphen schon 2016 erfolgt. In der August-Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses hat Beigeordneter Andreas Fresen die möglichen Konsequenzen genannt: Sollte das Land die Kosten der Anlieger nicht übernehmen („Stand heute, ist noch nicht absehbar, wie entschieden wird“), würden noch im Dezember Beitragsbescheide nach Hainchen geschickt – denn im Januar 2024 verjähren auch die Ansprüche der Stadt, die den Straßenausbau bezahlt hat.
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Auf die Vorlage eines Gesetzentwurfs gedrängt hatte zuletzt auch die FDP. Der Kreisverband Siegen-Wittgenstein erinnerte daran, dass der Gesetzentwurf seit Sommer 2022 überfällig sei. „Durch diese Verschleppung um mehr als ein Jahr wird nicht nur das Parlament missachtet, sondern insbesondere mit den Sorgen und Nöten der Bürger gespielt.“ Neben geplanten neuen Vorschriften und Verteuerungen sorgen auch gestrichene Förderungen für Familien, die verlängerte Erschließungskostenabrechnung oder der immer noch fehlende Gesetzentwurf zur Abschaffung der Bürgerbeteiligung an den Straßenausbaukosten für existenzielle Sorgen und Nöte bei betroffenen Hausbesitzern und auch ihren Mietern.
Konflikt geht bei Erschließungsbeiträgen weiter
Tatsächlich sorgen nicht nur die demnächst abgeschafften Beiträge für den Straßenausbau nach dem Kommunalabgabengesetz (KAG-Beiträge) für Unmut, sondern auch die nach wie vor erhobenen Erschließungsbeiträge nach dem Baugesetzbuch, die für alle erstmals hergestellten Straßen erhoben werden. Dort werden Anlieger sogar zu 90 Prozent an den Kosten beteiligt, und nicht nur zu 50 oder neuerdings – weil das Land für sie zahlt – zu 80 Prozent (wie bei den KAG-Beiträgen). Dieser Beitrag wird häufig keineswegs direkt nach der Erschließung eines Neubaugebietes erhoben, sondern gelegentlich Jahrzehnte später. Bürger und Bürgerinnen, die zahlen sollen, werden dann damit überrascht, dass sie die ganze Zeit an einer nicht fertig ausgebauten „Baustraße“ gewohnt haben.
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as Bundesverfassungsgericht hat gefordert, dass auch Erschließungsbeiträge verjähren müssen. Nach zehn Jahren, hatte der Landtag zunächst beschlossen – nun soll dieses Gesetz aufgehoben werden, damit die Kommunen auch noch 20 Jahre nach Fertigstellung der Straße mit den Anwohnern abrechnen können. In Wilnsdorf hatte die CDU-Fraktion daraufhin beantragt, vorerst keine neuen Straßen mehr zu bauen, für die Erschließungsbeiträge erhoben werden müssen. Der Rat beschloss stattdessen eine Resolution, „eine Entlastung der betroffenen Anlieger von Ersterschließungsmaßnahmen zu erwirken“.
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