Siegen-Wittgenstein. 2024 könnte es Modellprojekte für Busverkehr auf Abruf geben. Die Zukunft soll Bussen ohne Fahrer gehören. Aktuell quält das Deutschlandticket.

Die Kreistagsfraktionen folgen dem von Landrat Andreas Müller vorgeschlagenen Kurs: Ende 2024 wird der neue Nahverkehrsplan beschlossen, der die Fahrplan- und Linienvorgaben für die neuen Buslinien-Konzessionen ab 2029 macht – wobei es den anbietenden Verkehrsunternehmen überlassen bleibt, Wasserstoff- oder Elektrobusse anzubieten. In den 15 Jahren der nächsten Konzessionslaufzeit wird der Kreis es sich vorbehalten, selbst in das dann beauftragte Verkehrsunternehmen einzusteigen oder es komplett zu übernehmen.

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Die nahe Zukunft: Bus ohne Linien

„Ein durchaus sinnvoller Weg“, fand Julian Maletz (SPD) im Kreistagsausschuss für Wirtschaft, Mobilität und Verkehrsinfrastruktur. Der weiter in die Zukunft führt als die Überlegungen, die zwischen 2024 und 2028 umgesetzt werden könnten: On-Demand-Angebote als Modellprojekte, bevor sie dann dauerhaft eingeführt werden. Wo das Sinn macht, wird die Firma ioki, ein Unternehmen der Deutschen Bahn, herausfinden, die am neuen Siegen-Wittgensteiner Nahverkehrsplan mitarbeitet.

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On-Demand-Angebote, also Busfahrten auf Anforderung, machen da Sinn, wo regelmäßig eingesetzte Linienbusse sich nicht lohnen: also zum Beispiel als Zubringer von ländlichen Ortsteilen zu den Hauptstrecken. Dafür gibt es ein dichteres Netz von Haltestellen, aber keine Linien. Der Bus fährt dorthin, wo er bestellt worden ist. Der Fahrgast meldet per App seinen Wunsch an, eine andere App sagt dem Fahrer, wann er wohin fahren soll. Dafür werden optimale Strecken zusammengestellt – je mehr Spielraum dem Rechner gelassen wird, desto wirtschaftlicher der Betrieb, erklärt Markus Pellmann-Janssen von ioki. Denn der Kreis kann vorgeben, ob die App den Bus höchstens zehn Minuten früher oder später zum Kunden schicken darf, als der sich das wünscht. Oder ob auch eine halbe Stunde Spielraum drin ist.

Die ferne Zukunft: Bus ohne Fahrer

Einer der Gründe, warum der Kreis im nächsten Nahverkehrsplan viel mehr Bedarfsverkehr (heute: „Taxibus“) einführen wird, ist – neben den Kosten – der Personalmangel bei den Busunternehmen. Der werde bald keine Rolle mehr spielen, sagt Markus Pellmann-Janssen voraus: „Morgen ist der ÖPNV autonom. Autonomes Fahren wird zu einer erheblichen Reduktion der Kosten führen.“ Gemeint ist der Bus ohne Fahrer – auch ohne den Aufpasser im Bus, der notfalls eingreift, wenn sich das Gefährt in der falschen Richtung selbstständig macht. Nicht gemeint sind Modelle wie „SAM“, der in Drolshagen und Altenhundem ausprobiert wurde: Da musste ausdrücklich ein ausgebildeter Busfahrer mitfahren, die Geschwindigkeit war auf 15 km/h begrenzt, damit die nicht angeschnallten Fahrgäste bei den nicht seltenen abrupten Bremsungen nicht durchs Fahrzeug geschleudert wurden – „das Geschäftsmodell der Zukunft ist das sicher nicht.“

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Eher dann schon ein Modell, wo ein Fahrer von einer Zentrale aus mehrere Busse gleichzeitig im Blick hat, anfangs vielleicht fünf bis zehn, später bis zu 50. Die Technik dafür ist da, die gesetzlichen Grundlagen sind geschaffen. An der Akzeptanz durch die Fahrgäste zweifelt Markus Pellmann-Janssen nicht, nachdem ein Versuch in einem Kurort mit überwiegend älteren Passagieren „sehr gut“ gelaufen sei.. Zu Beginn würden auch hier die autonomen Busse begleitet, dabei werde gemessen, wie weit sie kommen, ohne dass ein Mensch eingreifen muss. „Es wird auch hier Unfälle geben“, räumt der Verkehrsplaner ein. Aber viel weniger.

Die Gegenwart: Deutschlandticket

Aus der nahen Zukunft in die Gegenwart: Einstimmig spricht sich der Ausschuss dafür aus, dass das Deutschlandticket auch von Oktober bis Dezember anerkannt wird und damit die teuerste Monatskarte 49 Euro kostet. Bis Jahresende begleichen Bund und Land die Einnahmenverluste, die den Verkehrsunternehmen dadurch entstehen. Für 2024 ist noch nichts entschieden, der Preis des Deutschlandtickets auch nicht, und auch die Nutzerzahlen sind nicht bekannt. Kurzum: „Wir wissen gar nicht, um welche Summen es geht“, sagt Landrat Andreas Müller, der davor warnt, schon jetzt eine Anerkennung des Deutschlandtickets für nächstes Jahr zu beschließen: „Wenn die ersten Kommunen umfallen, wäre das ein falsches Zeichen, weil dann der Druck auf Bund und Land weg ist.“ Müller erinnert daran, dass auch die regulären Mittel für den Nahverkehr längst nicht mehr ausreichen. Für den Bahnverkehr würden schon jetzt „intensivst“ Fahrplankürzungen erwogen. In Verbindung mit dem Deutschlandticket „wäre das irre“.

Unterm Strich spart der Kreis Geld

Ab 1. Februar dürfen auch Berufsschüler, die näher als fünf Kilometer am Berufskolleg wohnen, und deshalb – obwohl der Kreis auch ihnen das Schülerticket schenkt – eigentlich keine Fahrkarte bekommen müssten, das Deutschlandticket für 29 Euro kaufen. Die weiteren 20 Euro legt der Kreis drauf – und spart trotzdem: Er muss für die freifahrtberechtigten Berufskollegiaten auch nur noch das Deutschlandticket bezahlen. Insgesamt sind das 441.900 Euro im Schuljahr weniger. Und davon bliebe selbst dann noch etwas übrig, wenn alle 1070 Nicht-Freifahrtberechtigten den Zuschuss von 20 Euro in Anspruch nähmen, der den Kreis dann 256.800 Euro kosten würde.

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Bürgerbusse werden nicht überrannt

Sparsam ist der Kreis beim eigenen Personal: Ihre Jobtickets bezahlen die derzeit 57 Nutzerinnen und Nutzer selbst, erfahren die Grünen in der Antwort auf ihre Anfrage. Der Kreis habe auch nicht vor, Zuschüsse zum – billigeren – Deutschlandticket zu bezahlen. Ohne blaues Auge kommen die Bürgerbusvereine davon, die das Deutschlandticket gegen ihren Willen anerkennen müssen. Deren Befürchtungen, nun von nicht zahlenden Fahrgästen überrannt zu werden, hätten sich „eher nicht bestätigt“, berichtet Stefan Wied, Geschäftsführer des Zweckverbandes Personennahverkehr. Die ausgefallenen Einnahmen bekommen sie erstattet.

Kommentar:Warum das „Deutschlandticket Schule“ ungerecht ist

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