Neunkirchen. Die grauen, tristen Verteilerkästen werden in Neunkirchen zu bunten Kunstwerken mit Botschaft. Das jüngste weist auf eine seltene Erkrankung hin.
Lachenende, geflügelte Comic-Männchen, Schulter an Schulter und in vergnügter Runde vereint sind nun auf dem Verteilerkasten an der Einmündung In der Pfarrau/Kölner Straße zu sehen. Das fröhliche, ganz in Blau gehaltene Motiv wurde von Graffiti-Künstler Julian Irlich gestaltet und hat einen ernsten Hintergrund: Es weist auf das „Angelman-Syndrom“ hin, eine seltene Erkrankung, die oft mit Entwicklungsverzögerungen, kognitiven Behinderungen und einer stark reduzierten Sprachentwicklung verbunden ist.
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Verteilerkästen mit Kunstwerk-Qualitäten gibt es mittlerweile an 28 Standorten im Neunkirchener Gemeindegebiet. Julian Irlich verwandelt die tristen, grauen Klötze in bunte Hingucker. Für das jüngste Motiv ging die Initiative von Lisa Mareile Stücher aus. Ihre fünfjährige Tochter Mia hat das Angelman-Syndrom. In dieser Zeitung schreibt Lisa Mareile Stücher regelmäßig vom Alltag der Familie mit einem behindertem und einem nicht behinderten Kind, von den damit verbundenen Herausforderungen und den besonderen Momenten.
Neunkirchen: Junge Mutter möchte über das Angelman-Syndrom aufklären
Zu Beginn des Jahres ging die junge Mutter auf die Gemeindeverwaltung zu, wie in einer Mitteilung geschildert ist. Lisa Mareile Stücher engagiert sich im Angelman e.V., einem Selbsthilfeverein von Eltern für Eltern, deren Kinder mit dem Angelman-Syndrom geboren wurden. Der Verein wurde 1993 gegründet und hilft Betroffenen, die Diagnose besser zu verstehen, sie zu akzeptieren und den Alltag mit ihrem Kind zu bewältigen. Auf das Thema macht alljährlich am 15. Februar der Angelman-Tag aufmerksam, der 2013 zum internationalen Aktionstag erklärt wurde. An diesem Datum „werden beispielsweise vielerorts Gebäude in blauer Farbe illuminiert, um auf das Syndrom aufmerksam zu machen“, erläutert die Gemeinde. Daran hätten sich in der Vergangenheit auch schon verschiedene Akteure in Neunkirchen beteiligt.
Das Angelman-Syndrom
Das Angelman-Syndrom ist benannt nach dem englischen Kinderarzt Harry Angelman, der es 1965 erstmals beschrieb. Er sprach allerdings wegen des auffälligen Bewegungsmusters und des häufigen Lachens der Kinder von „Happy-Puppet-Syndrom“(„Glückliche-Puppe-Syndrom“).
Ursache ist eine Veränderung der Chromosomen. Bei den Betroffenen sind oft Entwicklungsverzögerungen, kognitiven Behinderungen und eine stark eingeschränkte Sprachentwicklung festzustellen. Außerdem wirken sie überdurchschnittlich fröhlich auch in eher unpassenden Situationen – etwa bei Aufregung oder unter Stress.
Zum 30-jährigen Bestehen des Vereins hatte Lisa Mareile Stücher überlegt, eine weitere öffentlichkeitswirksame Aktion anzustoßen – nämlich die Gestaltung eines Stromkastens mit „Angelmännchen“, den Botschaftern des Vereins. „Sofort erklärten sich Gemeinde und Westnetz sowie Julian Irlich bereit, dieses Ansinnen zu unterstützen“, heißt es weiter. „Mir war schnell klar, dass ich zusätzlich zu den Engeln gerne mit Schlagworten arbeiten würde, um das Anliegen des Vereins beziehungsweise die Botschaft dahinter noch besser zu transportieren“, erläutert Julian Irlich. Sein Vorschlag fand großen Anklang bei allen Beteiligten.
Neunkirchen: Kunst auf Verteilerkästen soll nicht nur hübsch aussehen
Nun ist das Werk fertig. Lisa Mareile Stücher bedankt sich auch im Namen ihrer Mitstreiterinnen und Mitstreiter: „Wir freuen uns sehr, dass wir nun in Form eines tollen Kunstwerks auf der Trafostation der Westnetz GmbH dauerhaft auf unser Anliegen aufmerksam machen dürfen.“ Die Kosten für das Streetart-Kunstwerk übernimmt Westnetz komplett. „Ein ganz besonderes Motiv“, sagt Kommunalmanager Achim Loos. „Es soll auf ein wichtiges Anliegen hinweisen, welches wir sehr gerne unterstützen.“
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Die Verteilerkasten-Verschönerung insgesamt ist der Gemeinde Neunkirchen sehr wichtig. In ihrem Urzustand sind die grauen Kisten nämlich alles andere als attraktiv, dafür aber schon allein aufgrund ihrer Größe sehr präsent. „In diesem Projekt werden Kunst und Heimat zusammengeführt. Diese Kombination war uns von Anfang an besonders wichtig“, erläutert Bürgermeister Dr. Bernhard Baumann. „Das Ergebnis fällt ins Auge und sorgt vielfach für Begeisterung bei den Betrachtern.“ Die Motive sind sehr vielfältig: Mal zieren heimische Pflanzen und Tiere die Gehäuse, ein andermal besteht ein Bezug zum jeweiligen Standort oder es werden historische Gebäude und lokale Besonderheiten in Szene gesetzt. Und Raum für wichtige Themen, die in der Öffentlichkeit mehr Beachtung verdienen, bietet sich auch, wie der „Angelman-Kasten“ illustriert.
Neunkirchen: Künstlerisch gestaltete Verteilerkästen – nächstes Projekt in Planung
Koordiniert wird das Projekt im Rathaus. „Die Finanzierung der ersten Kästen erfolgte zunächst mit Hilfe einer LEADER-Förderung, wobei der Antrag gemeinsam mit dem Verein Offene Arbeit Neunkirchen gestellt wurde“, berichtet Sylvia P. Heinz, Leiterin der Stabsstelle Regionale Entwicklung. Seither übernehmen private Sponsoren oder Unternehmen aus dem Gemeindegebiet die Kosten. Zudem benötigt die Verwaltung natürlich die Einwilligung der Besitzer der Kästen. Diese erteilten die Westnetz GmbH, die Telekom und der Landesbetrieb Straßen.NRW „sehr gerne“, so die Gemeinde. Eine besonders enge Zusammenarbeit bestehe mit Westnetz. Der Stromversorger erteile nicht nur die Erlaubnis, sondern habe sich auch in 20 Fällen um die vorherige Reinigung und Grundierung gekümmert.
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Die künstlerische Aufwertung weiterer Verteiler in Neunkirchen ist bereits in Planung. So wird während der Europäischen Mobilitätswoche im September gemeinsam mit Schülern der Sekundarschule Burbach-Neunkirchen ein Kasten mit einem thematisch passenden Motiv gestaltet, wie die Gemeinde ankündigt. Darüber hinaus haben bereits weitere Sponsoren ihre Unterstützung fest zugesichert.
Wer am Projekt mitwirken möchte, kann sich im Rathaus bei Boris Edelmann, 02735/767-409, E-Mail: b.edelmann@neunkirchen-siegerland.de, melden. Alle bisher gestalteten Kästen sind auf www.neunkirchen-siegerland.de/Neunkirchen-handelt/Aus-Grau-wird-Bunt zu sehen.
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