Siegen. Klaus Reifenrath: Es gibt Leute, die lassen Immobilien lieber leerstehen, als sie dem ehrenamtlichen Fahrrad-Repair-Café Siegen zu überlassen.
Mittlerweile ist Klaus Reifenrath enttäuscht. Seit ziemlich genau sechs Jahren reparieren und verschenken er und seine Ehrenamtlichen Fahrräder, verschenken sie an Bedürftige. Mindestens 1500 Räder müssten das in dieser Zeit gewesen sein, hat er ausgerechnet: Jeden Mittwoch kommen 20 bis 30 Menschen, die ein Fahrrad brauchen. Den meisten können sie ihren Wunsch erfüllen. Nur den Wunsch einer neuen Werkstatt, den konnte man ihnen bisher nicht erfüllen.
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Das Fahrrad-Repair-Café steht vor dem Aus. Mal wieder. Dieses Mal wohl wirklich. Noch einen Aufschub kann es wohl nicht geben.
Seit vielen Jahren engagiert für die Menschen in Siegen, die nicht viel haben
Gründer Klaus Reifenrath engagiert sich seit vielen Jahren in Siegen für die Menschen, die nicht viel haben. Dafür wurden ihm Preise verliehen, aber bei seinem Herzensanliegen, auch in Zukunft gebrauchte Fahrräder wieder aufzuarbeiten und an arme Menschen zu verschenken, erfährt er wenig Unterstützung. Angefangen haben er und sein Team in einem Raum der alten Hammerhütter Schule (KIQ, Kultur-Integration-Quartier), zogen dann ins ehemalige Möbelhaus Wonnemann an der Sandstraße um. Das hatte die Uni gekauft, um das Gebäude für den neuen Teilcampus Nord umzubauen.
So lange es eben geht unterstützt die Hochschule das Fahrrad-Repair-Café, Reifenrath konnte länger bleiben als gedacht, aber irgendwann müssen die Bauarbeiten weitergehen. Das war von vornherein klar und Klaus Reifenrath ist der Uni sehr dankbar für die jahrelange Hilfe. Fast ebenso lange sieht er sich schon nach einer neuen Werkstatt um, radelt kreuz und quer durchs ganze Stadtgebiet zwischen Eiserfeld und Buschhütten. Wo immer etwas leersteht, was halbwegs geeignet scheint, klingelt er, ruft an, fragt nach; bei Privatleuten, Unternehmen, Supermärkten, bei leerstehenden Produktionshallen und Ladenlokalen, sogar bei der Bahn. Vergebens. Niemand kann oder will ihm helfen.
Auf der Suche nach einer neuen Werkstatt radelt Reifenrath ganz Siegen ab
Sehr schade findet Reifenrath das. Die Kreisverwaltung sei kürzlich mal dagewesen und habe versprochen, die Augen nach geeigneten Werkstatt-Räumen aufzuhalten, aus der Siegener Kommunalpolitik kaum jemand. Vereinzelt habe es Angebote gegeben, sagt Klaus Reifenrath: Entweder die Räume seien sehr klein gewesen, völlig marode oder ungeeignet – wenn die Werkstatt-Tür direkt auf eine vielbefahrene Straße führt, kann er das nicht verantworten. Viele seiner „Kunden“ hätten kaum Erfahrung auf dem Rad. Nicht dass die direkt vor ein Auto fahren. „Ich bin die ganze Stadt abgeradelt“, erzählt er, „überall gibt es Schuppen, Hinterhöfe und Leerstände.“ Aber alle wollen Miete. Die können sie nicht bezahlen – sie nehmen keinen einzigen Euro ein und wenn doch, kaufen sie davon Bremsbeläge.
Das Team des Fahrrad-Repair-Cafés, ein Dutzend Köpfe aller Altersklassen, Studierende, Berufstätige und Rentner, will kein Geld. Sie kommen mittwochs in die Werkstatt um zu Schrauben, so wie sie Zeit haben, jeder ist willkommen, alle können mitmachen: Aus alten Drahteseln voll funktionstüchtige Fahrzeuge machen, Menschen damit helfen. „Wir wollen keine Fördermittel“, sagt Reifenrath – alles, was sie bekommen, sind Spenden, daraus machen sie etwas. „Das muss umsonst sein und bleiben, sonst ist es kein echtes Ehrenamt“, findet er. Aber wo es nicht durch die Decke tropft, soll lieber gewinnbringend vermietet werden, nicht kostenlos zur Verfügung gestellt werden. „Manche lassen es dann lieber leerstehen“, sagt Reifenrath.
Zeit und Arbeitskraft opfern „passt wohl nicht mehr in die Gesellschaft“
Manchmal denkt er, vielleicht auch aus Sorge. Vor der Klientel: Viele Flüchtlinge, vor allem aus der Ukraine, Studierende, denen das Bafög nicht reicht, Leute die Bürgergeld beziehen oder gerade mal Mindestlohn verdienen. Aber auch vor den Ehrenamtlichen: „Manche finden uns wohl komisch. Es passt offenbar nicht mehr in die Gesellschaft, dass Leute ihre Zeit und Arbeitskraft opfern und das Ergebnis auch noch verschenken.“ Vielleicht, überlegt Reifenrath, verstehen die Menschen das nicht mehr, „weil es immer nur ums Kaufen geht.“ Ab und zu schickt ihm die Justiz junge Leute, die ihre Sozialstunden in der Fahrradwerkstatt ableisten müssen. „Ich will doch gar nicht wissen, was die gemacht haben“, sagt er – wenn die Jugendlichen ihm das erzählen wollen, hört er zu. Einer hatte sein Mofa frisiert, Reifenrath muss lachen. „Wir alte Hasen mussten alle schlucken. Früher gab’s in Siegen kein Mofa, das nicht frisiert war.“ Für die Jugendlichen findet er schon Aufgaben. Sortieren, Putzen, auch Schrauben lernen, wenn sie wollen. Einer, 16 Jahre alt, kommt jetzt öfter vorbei und packt mit an.
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Sie helfen ja nicht nur Menschen, sondern retten auch Ressourcen, so sieht Reifenrath das: Ohne die Fahrradwerkstatt wäre schon jede Menge Material im Schrott gelandet, das nun weiter auf den Straßen unterwegs ist. Wahrscheinlich. „Wir kontrollieren nicht, was die Leute mit den Fahrrädern machen. Die haben’s eh schon schwer genug.“