Wilgersdorf. Auf den letzten Drücker bekommt der Wahlbacher Hof den Glasfaseranschluss. Das schafft Platz für KI und digitale Zwillinge von Kleinklärwerken.

Der Bagger fährt langsam den Weg zum Wahlbacher Hof herunter. Die Fräse zieht einen bis zu 90 Zentimeter tiefen Graben am Feldrand. Oben, an der Kreuzung mit dem Karrenweg, stehen große Rollen mit jeweils 1600 Metern Leerrohren aus Plastik, die in die Furche hinein versenkt werden. Später werden hier die Pipes hineingeblasen, die Mikrorohre, sieben oder zwölf Stück in einem Verband zusammengefasst. Jede Pipe umhüllt ein Glasfaserkabel. „Dünner als ein menschliches Haar“, sagt Hinrich Bernzen, Sprecher des Glasfaser-Unternehmens Greenfiber, „Glasfaser ist wirklich Glas.“

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Dieses eine Haar aber wird Batchpur am Laufen halten, das Unternehmen, das mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz Haus- und Kleinkläranlagen fernsteuert und -wartet, die meisten in Deutschland, aber auch welche in Österreich, Frankreich und Schottland, sogar in Chile und in der Mongolei. Seit sechs Jahren hat Dr. Ruth Rau hier im Wahlbacher Hof ihre Firma, seit einem Jahr arbeiten sie und fünf Kollegen an dem vom Bund geförderten Forschungsprojekt mit Künstlicher Intelligenz. „Die ersten Datenströme sind seit drei bis vier Monaten auf unserem Server“, berichtet sie, „ohne Glasfaser wäre das hier mittelfristig nicht machbar.“ Das Unternehmen, das zwei weitere Standorte in Norddeutschland und in der Nähe von Leipzig betreibt, würde im Siegerland die Segel streichen. So ein digitaler Zwilling einer Kläranlage braucht halt Platz.

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Es kommt auf Zentimeter an

Der Arbeiter hält ein überdimensionales Lineal mit Zentimetereinteilung in den Graben und lässt sich von einem Kollegen fotografieren. Kein Souvenir für ihn, sondern ein Dokument für den Auftraggeber, dass das Kabel wirklich 80 Zentimeter tief im Boden liegt – das wird ins Kataster eingetragen und hat somit gute Chancen, die Straßenaufbrüche der nächsten Jahrzehnte zu überstehen. „Bodenklasse 6“, hat Hinrich Bernzen erfahren – das dauert. Um die 200 Meter am Tag schafft die Fräse. Mit dem Pflug ginge das schneller. Die schwere Zugmaschine herbeizuholen, lohnt aber nur, „wenn wir richtig Strecke machen“. Hier also eher nicht. Ein anderer Bagger gräbt ein Loch oben an der Wegekreuzung. Daneben liegt ein Metallrohr, das mit einem Kompressor verbunden wird. Die „Erdrakete“, wie sie sie nennen. Die sich aber eigentlich eher wie ein Presslufthammer mit Leerrohr im Schlepp 1,20 Meter tief unter der Kreuzung auf die andere Seite durcharbeitet. Hier bleibt der Asphalt unbeschädigt. Dort, wo es um den eigentlichen Hausanschluss geht, der Vorgarten mit dem Blumenbeet.

Bauleiter Marco Präsang,(Mitte) bespricht sich mit dem Team.
Bauleiter Marco Präsang,(Mitte) bespricht sich mit dem Team. © Steffen Schwab | Steffen Schwab

Eigentlich wären sie jetzt schon gar nicht mehr hier. „Der Wahlbacher Hof ist erst nachträglich aufgenommen worden“, sagt Bauleiter Marco Präsang, dessen Firma LAN Consult Hamburg von Greenfiber beauftragt wurde und der mit den Greenfiber-Leuten vom Hilchenbacher Siebelnhof aus den Kreis Siegen-Wittgenstein, wie es im Werbeslang der Firma so schön heißt, „glasfaserschnell“ macht. Denn Greenfiber erschließt nur die Adressen, die der Kreis – der das alles mit Bundesmitteln bezahlt – als „weiße Flecken“ identifiziert hat, mit weniger als 30 Mbit pro Sekunde. Die Jagdhütte hinten im Wald gehört eindeutig dazu. Der ehemalige Bauernhof war so ein Grenzfall. Greenfiber-Projektmanager Mustafa Raad rät zum Anschluss: „Die Datenpakete werden immer größer.“

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„Gut, dass das hier im Kreis auf Zuruf klappt“

Dr. Reinhard Boller befasst sich auch mit Kleinkläranlagen. Als Sachverständiger bewegt er nicht die ganz großen Datenpakete – er hat sich auch schon mit Modem und Telefonleitung beholfen, als von Glasfaser noch längst keine Rede war. Der ehemalige Bauernhof gehört ihm, seine Tochter Ruth ist mit Batchpur eingezogen. Martin Schreier, Breitbandkoordinator des Kreises, habe es möglich gemacht, dass auch der Wahlbacher Hof noch in die Förderung aufgenommen wurde. „Das ging von heute auf morgen“, erzählt Dr. Ruth Rau. „Gut, dass das hier im Kreis auf Zuruf klappt“, bestätigt Hinrich Bernzen. „Das ist leider nicht überall so unkompliziert“, merkt Bauleiter Marco Präsang an.

Die Tiefbaufirma Erdkraft kommt aus Darmstadt. Sie hätten sich auch um Unternehmen aus der Region bemüht, berichtet Hinrich Bernzen. Nur eine hat einen Auftrag angenommen, „die anderen haben abgewunken“ – genug zu tun. Immerhin: Greenfiber, das auch die kommunalen Netze in Burbach, Kreuztal und Bad Berleburg baut, behält den Daumen drauf. Anders als Mitbewerber, die in den anderen Kommunen des Kreises unterwegs sind und den Netzausbau „schlüsselfertig“ bei einer Baufirma bestellen. Der Ärger über mangelhafte Ausführung trifft dann wieder alle. Zumal Anwohner kaum noch unterscheiden können, wenn ihre Straße von konkurrierenden Anbietern zum zweiten oder sogar dritten Mal aufgerissen wird – was keineswegs verboten. Hinrich Bernzen: „Dann kriegen die Menschen mit Recht schlechte Laune.“

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Von Knoten zu Knoten über Burbach nach Frankfurt oder Hamburg

Der Graben, den die Fräse gezogen hat, wird bis zum Abend wieder geschlossen sein. 500 bis 600 Meter lang ist so eine Strecke Leerrohr, dann wird ein Loch zum Rohr gegraben, das Rohr mit dem nächsten Stück verbunden – sie sagen: „verspleißt“ –, und dann geht es wieder einen halben Kilometer weiter, bis der Hausanschluss erreicht ist. Die Pipes werden als Verbände an einem anderen Tag in die Leerrohre hineingeblasen, etwa mit dem zehnfachen Luftdruck eines Autoreifens.. Am anderen Ende ist zuerst der „KVZ“, der „Kabelverzweiger“, ein grauer Kasten irgendwo in Wilgersdorf am Straßenrand. Dann gehen die gebündelten Daten weiter zu einem der beiden Netzknoten, die Greenfiber im Siegerland einrichtet, einen in Hilchenbach, einen in Burbach. Und dann immer weiter von Knoten zu Knoten bis zum Ursprung aller Signale für Deutschland in Frankfurt oder Hamburg.

Die einen oder anderen werden Reinhard Boller, Ruth Rau und ihr Team im Wahlbacher Hof noch beneiden: Wilgersdorf gehört nicht zu den Ortsteilen, für die die Gemeinde Wilnsdorf einen Partner finden konnte, der ihr dort ein Glasfaser-Hausanschlussnetz auf eigene Rechnung baut.

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80 Zentimeter tief in den Graben wird das Leerrohr gelegt - die Tiefe wird dokumentiert.
80 Zentimeter tief in den Graben wird das Leerrohr gelegt - die Tiefe wird dokumentiert. © Steffen Schwab | Steffen Schwab