Wilgersdorf. Menschen fragen, was Kirche ihnen bringt, sagt Superintendent Peter Thomas Stuberg. Beispiele: Der Mord an Luise. Und eine verweigerte Taufe.

Auf das erste halbe Jahr im vereinigten Kirchenkreis Siegen-Wittgenstein hat Peter-Thomas Stuberg in seinem Superintendenten-Bericht bei der Synodalen Versammlung zurückgeschaut, die jetzt in der Jugendbildungsstätte in Wilgersdorf stattfand. Der Leitende Theologe blickte auf die Notwendigkeit des Zusammenwachsens und die unvermeidbaren Schwierigkeiten dabei. Beispielhaft führte er das an den bisher sehr unterschiedlichen Diakonie-Strukturen in den zwei ehemaligen Kirchenkreisen aus. Hinzu kommen problematische Entwicklungen wie Fachkräftemangel und Mitgliederschwund.

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Nicht mehr für jeden Kirchturm ein Pfarrer

„Strukturelle Neuaufbrüche wollen dem Mangel entgegenwirken“, sagte Stuberg und nannte beispielhaft die neue „Evangelische Kirchengemeinde um den Kindelsberg“, zu der sich 2024 die Gemeinden Buschhütten, Kreuztal, Krombach und Ferndorf zusammenschließen. „Wir schrumpfen beständig.“ Eine Konsequenz ist, dass für eine Vollzeitstelle rund 3000 Gemeindeglieder zugrunde gelegt werden. Für die 126.000 Gemeindeglieder kann der Kirchenkreis demnach 42 Planstellen für Pfarrer und Pfarrerinnen beanspruchen. Zur Zeit sind 45,5 Stellen im Gemeindepfarramt besetzt. „Wird eine Pfarrstelle frei, müssen wir also mit den Nachbargemeinden kooperieren oder gleich direkt fusionieren. Die bisherige grobe Regel: eine Pfarrperson pro Kirchturm wird sich demnach kaum mehr umsetzen lassen.“

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Diakonisches Werk Siegen-Wittgenstein muss kommen

Die Diakonie in Südwestfalen wurde bislang von allen Siegener Kirchengemeinden getragen, die sich hierfür in einem Verein organisiert hatten. Der Verein hat beschlossen, sich aufzulösen und die Steuerung allein in die Hände des Kirchenkreises zu übertragen. Im ehemaligen Gebiet des Kirchenkreises Wittgenstein befindet sich das Diakonische Werk Wittgenstein. Dieses gehört mit 51 Prozent Gesellschafteranteilen dem Evangelischen Johanneswerk und mit 49 Prozent dem ehemaligen Kirchenkreis Wittgenstein. „Hier gilt es alsbald ein gemeinsames regionales Diakonisches Werk des Kirchenkreises Siegen-Wittgenstein vorzuhalten“, kündigte der Superintendent an.

2,3 Prozent sind 2022 in Siegen ausgetreten

Die Frage, ob Kirche sich in ihrem eigenen Lebensumfeld für sie als hilfreich erweist, entscheide mehr denn je für Gemeindeglieder über Bleiben oder Gehen in oder aus der Kirche. „Vielleicht hat sich deshalb auch das Interesse der öffentlichen Medien in ihrer Berichterstattung über Kirche allmählich auf diesen Fokus verlagert“, sagte Peter-Thomas Stuberg. „Es scheint weniger interessant, was Kirche üblicherweise macht, sondern das, was sie den Menschen persönlich zur Bewältigung im Alltag bietet oder verwehrt.“ So sei im letzten halben Jahr ein großes überregionales mediales Interesse auf die kirchliche Präsenz etwa bei dem grausamen Tötungsdelikt in Freudenberg gerichtet worden. „Aber auch unser Verhalten zum Taufwunsch zweier homosexueller Erziehungsberechtigter für ihr Adoptivkind wurde überregional wahrgenommen. Auf beides gab es sowohl presseöffentlich wie in den sozialen Medien heftige emotionale Reaktionen.“ 2,3 Prozent der Mitglieder seien 2022 aus der Kirche ausgetreten – doppelt so viele wie im Vorjahr.

Verwaltungsmanager zur Entlastung

Verwaltungsleiter Oliver Berg verdeutlichte die Probleme, die Peter-Thomas Stuberg angesprochen hatte: Fachkräftemangel, sinkende Mitgliederzahlen und Kirchensteuereinnahmen. Erschwerend komme hinzu, dass es immer komplizierter werde, Presbyterinnen und Presbyter für die ehrenamtlichen Leitungsgremien der Kirchengemeinden zu finden. Es seien vor allem die Verwaltungsaufgaben, die die Mitarbeitenden in den Kirchengemeinden nerven. Deshalb entstand die Idee, die Gemeinden von administrativen Aufgaben zu entlasten.

Synoden-Ersatz

Die Synodale Versammlung fand an Stelle der turnusmäßigen Kreissynode statt. Dadurch erreicht der neue Kirchenkreis, dass die zweite Synode, die die neue Leitung wählt, erst im Frühjahr 2024 stattfindet. Wählen können den Synodalvorstand dann schon die neuen Presbyterien, die ebenfalls im Frühjahr 2024 gewählt werden. Die erste reguläre Synode im Herbst wird über den Haushalt beschließen. Die Synodale Versammlung mit 145 Synodalen aus 35 Gemeinden – die 36. Gemeinde war nicht vertreten – kann keine bindenden Beschlüsse fassen.

Mit Volker Peterek, Leiter des Referats für Jugend und Gemeindepädagogik des Kirchenkreises Siegen, entwickelten Peter-Thomas Stuberg und Oliver Berg das Konzept einer Verwaltungsmanagerin, eines Verwaltungsmanagers. In der Bezugsgröße der Solidarräume könnte so eine Person künftig die Kirchengemeinden entlasten. Die Synodalen reagierten unterschiedlich: Während es den einen gar nicht schnell genug gehen konnte, solch eine Stelle zu schaffen, fürchteten andere, dass das Geld für diese Stelle im Gemeindehaushalt fehlen werde. Eine Entscheidung konnte die Synodale Versammlung ohnehin nicht fällen, das ist erst bei der Synode Ende November möglich. So wurde bei vier Enthaltungen einstimmig beschlossen, dass die Verwaltungsmanagement-Konzeption jetzt weiter verfeinert, genauer abgestimmt und außerdem den Presbyterien vorgestellt wird.

Nicht klimaneutral: Zu viele, zu große, zu teure Gebäude

Die Bewahrung der Schöpfung beschäftigte auch die Synodale Versammlung. Der Wendener Pfarrer Martin Eckey ist als Synodalassessor Stellvertreter des Superintendenten und gleichzeitig Vorsitzender des Kirchenkreis-Umweltausschusses. Anknüpfend an die letzte Synode des Kirchenkreises Siegen ermutigte er die Zuhörenden, dass sich Kirchenkreis und -gemeinden die landeskirchlichen Ziele der Klimaneutralität ehrlich zu eigen machen. Dabei räumte er ein, dass das gerade für die Kirche ein schwerer Weg werde. In Bezug auf Gebäude sagte er, diese seien zu groß, zu viele, zu teuer: „Klimaneutral werden wir nicht in dieser großen Zahl.“ Gerade deshalb müsse man jetzt so schnell wie möglich anfangen, sich Gedanken zu machen. Die Synodale Versammlung empfahl der Kreissynode im November entsprechend zu beschließen, so dass der Ausbau und die Nutzung erneuerbarer Energien entschieden vorangetrieben werden können. Auf allen technisch und wirtschaftlich in Frage kommenden Dächern sollen flächendeckend Photovoltaik-Anlagen installiert werden, Bürgerwindanlagen sollen durch Beteiligung und durch Tolerierung bzw. Flächenbereitstellung ermöglicht werden, Potenziale auf Gebäuden, forst- und landwirtschaftlichen Flächen sollen auf Kirchenkreisebene systematisch geprüft werden.

Abschied und Dank

Drei Menschen hat Superintendent Peter-Thomas Stuberg aus den synodalen Zusammenkünften verabschiedet: Nach knapp 20 Jahren war Erika Denker aus Niederdielfen vor wenigen Wochen aus dem Amt der Vorsitzenden des Bezirksverbands der Siegerländer Frauenhilfen ausgeschieden. Nach knapp 30 Jahren Predigtdienst in der Siegener Erlöserkirche geht Armin Pulfrich Ende November in den Ruhestand. Als Dritter im Bunde erhielt Johannes Drechsler einen Strauß Blumen zum Abschied. Der gebürtige Heidelberger hatte im Frühjahr 2017 seinen Dienst als Gemeindepädagoge in der Feudinger Kirchengemeinde angetreten, weil die freie Pfarrstelle nicht zu besetzen war. Jetzt verlässt der 57-Jährige Westfalen und geht zum 1. September zurück in die Badische Landeskirche.

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Peter-Thomas Stuberg verabschiedet Armin Pulfrich, Johannes Drechsler und Erika Denker (von links).
Peter-Thomas Stuberg verabschiedet Armin Pulfrich, Johannes Drechsler und Erika Denker (von links). © Jens Gesper | Jens Gesper