Siegen. „Wir regen uns immer noch auf, dabei sind wir gar nicht mehr dabei“: Jahrzehnte bei Benteler in Weidenau lässt man nicht so einfach hinter sich.

Am letzten Tag, Mittwoch, erhielt die Witwe eines verstorbenen Kollegen die letzten 2000 Euro aus der Belegschaftskasse. Ihr Mann hatte 30 Jahre bei Benteler in Weidenau gearbeitet, der Betriebsrat, der nun keiner mehr ist, wollte sie unterstützen. Die Frau erzählte, wie gern ihr Mann zur Arbeit ging; selbst als er schon sehr krank war, berichtet Dirk Euteneuer, ehemals stellvertretender Benteler-Betriebsrat in Weidenau. „Er hätte die Firma nie alleingelassen“, so habe der Kollege das gesehen.

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So haben das viele der Beschäftigten des Werks gesehen. Als die Verhandlungen durch waren, Abfindungen und Transfergesellschaft geregelt, als sie von Tag zu Tag weniger wurden an der Industriestraße, zahlten die, die übrig blieben, weiter in die Belegschaftskasse ein. Sie halfen der Firma, die sie nicht mehr wollte, die Maschinen abzubauen, an denen sie Jahre ihres Lebens verbracht hatten. „Keiner hat geschludert oder sich hängen lassen“, sagt Euteneuer. Wie eine Familie seien sie gewesen.

Das Benteler-Werk in Weidenau wurde in den letzten Wochen immer weniger

Sie hatten viel Zeit in den letzten Wochen, als Benteler Weidenau immer weniger wurde, weniger Leute, weniger Maschinen, weniger Material. Sie tauschten Erinnerungen aus, Fotos von Feiern. Gute Zeiten. Jetzt müssen sich alle daran gewöhnen, dass sie raus sind. Aber Jahrzehnte in einer Firma wird man nicht so schnell los. Dirk Euteneuer war 36 Jahre dabei, davon 24 fest angestellt, der ehemalige Betriebsratsvorsitzende Edgar Barkow 37 Jahre. Und zwei Monate, schiebt er hinterher. „Ich wollte die 40 voll machen.“

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Sie sind keine Betriebsräte mehr und nicht mehr bei Benteler, jetzt sind sie in der Transfergesellschaft angestellt. „Ich hatte große Angst, dass die Leute keine neue Arbeit finden“, erinnert sich Dirk Euteneuer an die Zeit, als der Konzern bekanntgab, Weidenau schließen zu wollen. Was das betrifft: „Glimpflich gelaufen.“ Das habe ihn wirklich überrascht. „Dass ein paar von uns Alten auf der Strecke bleiben, das ist wohl so.“ Die meisten seien untergekommen – gut untergekommen, sagt Edgar Barkow, hätten gute neue Stellen, in der Region.

Manche Sprüche des Benteler-Managements können sie nicht so schnell vergessen

Sie haben das fürs Siegerland gemacht, betonen die beiden stellvertretend für den Betriebsrat und alle Kolleginnen und Kollegen, die gekämpft haben für ihren Job. Wenn sie nicht alle Hebel in Bewegung gesetzt, Kontakte geknüpft, Druck gemacht hätten, wäre die Vereinbarung mit Dometic – das Werk soll nächstes Jahr schließen – nicht so reibungslos über die Bühne gegangen. Dieses Lob sei von der Gewerkschaft gekommen. „Wir wissen, was im Ruhrpott nach der Kohle passiert ist“, sagt Edgar Barkow. Das Revier kränkelt heute noch. Wenn sie nur ein kleines bisschen dazu beigetragen haben, so etwas im Siegerland zu verhindern, dann sind sie zufrieden. Auch dank der vielen Unterstützung, aus Politik und den meisten Parteien, aus der Region, Düsseldorf, Berlin und Brüssel.

Manches hallt in den Köpfen der Benteler-Belegschaft nach; Sprüche, die sie nicht so schnell vergessen können. Die schmerzen. „Sie bezahlen uns dafür, dass wir gute Arbeit leisten“, habe ein Manager am 1. Juli bei der letzten Betriebsversammlung zur Belegschaft gesagt. „Das Ergebnis dieser ‘guten Arbeit’ war die Werksschließung“, sagt Edgar Barkow. Oder dass einer Kollegin, die lange im Ausland für Benteler tätig war, gesagt wurde, sie könne ja nach Tschechien gehen und da für tschechische Löhne arbeiten. „Sowas muss man sich dann anhören“, sagt Barkow. Oder die Betriebsräte der Deutschland GmbH, die nicht nur nicht angerufen und sich erkundigt, sondern auch noch zugelassen hätten, dass im Arbeitskampf Streikbrecher nach Weidenau fuhren. Das alles empört sie noch immer. Das empört sie noch lange.

Benteler-Belegschaft hätte noch mehr verzichtet, wenn das Werk fortbestanden hätte

Es hätte ja alles nicht sein müssen, sind viele der ehemaligen Benteler-Beschäftigten sicher. Das Werk hätte bestehen können – nicht sie waren schuld an schlechten Zahlen. Seit Jahren wurde alles mögliche weltweit geschlossen, verlagert, verkauft. Dirk Euteneuer scrollt auf dem Smartphone durch eine lange Liste mit Artikeln dazu. Nie sei mal jemand nach Weidenau gekommen, um ihnen zu sagen, was sie besser machen könnten. Im Gegenteil: Es seien Leistungen verkauft worden, die sie gar nicht hätten erbringen können. Und wenn sie das angemerkt hätten, sei das irgendwo versandet. Aber das Minus – das habe man dann Weidenau aufgeschrieben. Auf ihn wirke das oft, sagt Edgar Barkow, als werde ein Containerschiff von Kapitänen gesteuert, die bis dahin nur auf kleinen Kähnen geschippert seien. Das Unternehmen betont, dass der Standortschließung eine eingehende Analyse vorausgegangen sei: Aufgrund reduzierter Nachfrage nach Komponenten in Westeuropa und nicht erfolgter Aufträge sei eine langfristige Auslastung des Werks nicht mehr möglich gewesen.

„Wir regen uns immer noch auf, dabei sind wir gar nicht mehr dabei“, sagt Dirk Euteneuer. „Aber es tut einfach in der Seele weh.“ Seit dem Jahr 2000 habe die Belegschaft immer nur Zugeständnisse gemacht „und das hätten wir wieder gemacht.“ Für ein Werk, von dem sie lange das Gefühl hatten, dass hier auch ihre Kinder gute Arbeit finden werden, wo sie mehr als ihr halbes Leben verbracht haben. Der Konzern wollte es anders, die unternehmerische Entscheidung sei zu respektieren.

Benteler: Wenn Maschinen und Inventar weg sind, wird das Werk verkauft

„Wir bedauern sehr, das Werk in Weidenau nun schließen zu müssen“, so ein Pressesprecher der Benteler Gruppe. „Uns ist bewusst, dass diese Entscheidung für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort besonders schwer ist.“ Man sei erleichtert, dass ein Großteil der Belegschaft diesen schweren Schritt der Schließung trotz aller Umstände unterstützend begleitet hat: „Dafür möchten wir uns bedanken.“

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Man habe bereits nach der Einigung mit den Arbeitnehmervertretern im Februar begonnen, Maschinen und Inventar schrittweise an andere Standorte zu verlagern und werde das weiterführen, anschließend werde die Immobilie verkauft. Der Prozess sei bereits gestartet worden, ein konkretes Datum gebe es allerdings noch nicht. Informationen dieser Zeitung zufolge stehen in Weidenau aktuell noch sechs Großpressen.