Hilchenbach. Gegner und Befürworter der Ortsumgehungskette „57-verbinden“ treffen in Hilchenbach aufeinander. Der Streit ist schnell wieder entbrannt.
Fast ein bisschen versteckt unter dem Rewe-Vordach in der Herrenwiese weht die Fahne von Straßen NRW. Im offenen Rechteck sind die Stellwände aufgebaut, die die Verkehrsprognosen und mögliche Trassenführungen von „57-verbinden“ zeigen, wie der Landesbetrieb die Ortsumgehungskette von Kreuztal nach Schameder nennt und die unter dem Kampfbegriff „Route 57“ seit Jahren Befürworter und Gegner gegeneinander aufbringt.
+++Mehr Nachrichten aus Siegen und dem Siegerland finden Sie hier!+++
Insgesamt mehr Verkehr mit neuer Straße
Das ist auch an diesem sonnigen Nachmittag so. „Ein Naherholungsgebiet wird zerstört“, warnt eine Ruckersfelderin, „ich sehe doch, wie viele Leute da spazieren gehen.“ „Eine Katastrophe für die Menschen in Ferndorf“, entgegnet ein Kreuztaler. Und schon ist der Streit wieder entbrannt. Führt die Ortsumgehungskette wirklich dazu, dass das Ferndorftal entlastet wird? Schwerverkehr in Richtung Hilchenbach und Wittgenstein könne doch gar nicht in Ferndorf auffahren, lautet dann ein Einwand – von Ferndorf aus geht es nur auf die Südumgehung in Richtung Buschhütten und HTS. Kevin Lass, Projektleiter von Straßen NRW, bestätigt das: So sahen die bisherigen Überlegungen aus. Allerdings werde nun noch einmal untersucht, ob sich eine Vollauffahrt in Ferndorf nicht doch lohnt.
+++ Lesen Sie auch: Kreuztal: Mit der Südumgehung kommt die Verkehrslawine +++
Friedhelm Stötzel, Ortsvorsteher von Ruckersfeld, weist auf die Zahlen der Verkehrsprognosen hin. 20.100 Fahrzeuge fahren derzeit täglich auf der B 508 zwischen Kreuztal und Ferndorf. Wenn die Umgehungskette einschließlich der Ortsumgehung Hilchenbach befahren werden kann, sind es – auf alter B 508 und neuer Südumgehung – zusammen 38.800 Fahrzeuge. In Lützel kommen dann 10.200 heraus, statt bisher 6.300. Und sollte die Straße mit der Ortsumgehung Ferndorf eines Tages auf der Oberbach enden, kommen 7700 Fahrzeuge über die schmale Kreisstraße durchs Ruckersfeld, um oben bei der Kronprinzeneiche auf die ausgebaute B 62 zu gelangen. Jetzt fahren dort 300 Autos durch. „Da baut man die Straße, um Verkehr hereinzuholen“, stellt Friedhelm Stötzel fest, „und Hilchenbach hat nichts davon.“ Denn durch die Stadt fließt nach wie vor der Verkehr ins und aus dem Sauerland.
+++ Lesen Sie auch: Nächste Abschnitte: Südumgehung und Lützel-Erndtebrück+++
Trasse auf der Höhe oder durchs Tal?
Nach den Sommerferien wird eine „Raumwiderstandskarte“ für die geplante Ortsumgehung Hilchenbach vorliegen. Daraus wird abzulesen sein, wo ökologisch wertvolle Bereiche geschützt werden müssen. „Dann versuchen wir, in diesen Korridor Varianten reinzusetzen“, erklärt Kevin Lass – mögliche Trassenführungen, die „konfliktarm“, aber auch technisch realisierbar und wirtschaftlich sind. Das werde nur mit einem Blick auch auf die Ortsumgehung Ferndorf gehen.
Am einfachsten, so der Straßen-NRW-Projektleiter, wäre eine Trasse auf dem Höhenzug zwischen Kredenbach und Dahlbruch auf der einen, Unglinghausen und Herzhausen auf der anderen Seite. Die könnte auf der Oberbach an die L 728 angebunden werden und dann zwischen Insbach- und Dreisbachtal zur Kronprinzeneiche weitergeführt werden. Sollte aber für die Ortsumgehung Ferndorf eine nördliche Variante im Tal gewählt werden, müsste es auch in Hilchenbach hinter den Bahngleisen bis zum Allenbacher Kreisel weitergehen – und dann wieder irgendwie den Hang hinauf. Wenn die Linienführung der Straße bestimmt, werde zu entscheiden sein, ob die Ortsumgehungen Ferndorf und Hilchenbach sogar in einem gemeinsamen Bauabschnitt gebaut werden, sagt Kevin Lass.
+++ Lesen Sie auch: Südumgehung Kreuztal: Streit nach Spaziergang eskaliert +++
Auf der Suche nach Fledermäusen, Uhus und Molchen
Landespflegerin Petra Schmidt erklärt, mit welchem Aufwand eine Raumwiderstandskarte zustandekommt: Zunächst einmal braucht es Zeit, mindestens eine Vegetationsperiode, um auch alle Tierarten anzutreffen, angefangen beim Uhu („Den finden Sie im Januar“), bis zu den Zugvögeln: Wer zieht durch, wer rastet, wer brütet hier? Mit Horchboxen, das sind Mikrofone im Wald, werden Fledermäuse identifiziert. Wer ruft wann? Das sind Ultraschallbereiche, „die können wir so gar nicht hören.“ Künstlich hergestellt werden Orte, wo Reptilien Eier ablegen – wenn Molche, Eidechsen oder Schlangen da sind, wird zu analysieren sein, ob die Straße hier besser einen Bogen schlägt.
+++ Lesen Sie auch: Protest gegen Südumgehung bleibt laut: Bedrohtes Paradies +++
Dass der Biber in der Ferndorf just an dem Tag aufgetaucht ist, an dem das Oberverwaltungsgericht in Sachen Südumgehung verhandelte, mag ein Zufall sein. „Dem Biber macht das nichts aus, solange er das Gewässer so nutzen kann wie jetzt“, liest Petra Schmidt aus dem Fazit des Gutachters heraus. Warum aber ist er allein, bleibt er hier oder wird er Gesellschaft suchen? Die Landespflegerin weiß auch von Straßenbauprojekten, wo Tiere geschützter Arten von Menschen auf die Trasse gesetzt wurden. In der fremden Umgebung „haben die keine Chance““, sagt Petra Schmidt, „im Grunde ist das Tierquälerei.“
+++ Lesen Sie auch: Kreuztal-Hilchenbach: „Ortsnahe“ Route 57 in drei Tunneln +++
13 Zoologen in Erndtebrück unterwegs
Um die zwei Jahre wird die Raumwiderstandsuntersuchung in Hilchenbach am Ende gedauert haben, bis dann die Entscheidung für eine Berg- oder Taltrasse fallen kann. Die gleiche Untersuchung läuft gerade rund Erndtebrück – dort sind allein 13 Zoologen im Einsatz. Beginnen wird „57-verbinden“ mit der Kreuztaler Südumgehung. Noch in diesem Jahr will Straßen NRW die Planergänzung ins Verfahren bringe, die nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts erforderlich wird, das den Planfeststellungsbeschluss 2021 für rechtswidrig erklärt hat. Auf die Auslegung der Planänderung – es geht vor allem um Belange des Reit- und Fahrvereins Kindelsberg auf dem Hubensgut – wird eine weitere Anhörung der Beteiligten und Betroffenen und am Ende ein geänderter Planfestststellungsbeschluss folgen. „Was das wohl kostet, wenn die erst nach Buschhütten fahren müssen und von da nach Eichen?“, denkt jemand über den Thyssen-Krupp-Schwerverkehr nach: „Die werden doch weiter durch Kreuztal fahren.“
Das ist 57-verbinden
Die Südumgehung Kreuztal ist 2,5 Kilometer lang und mit derzeit 45,7 Millionen Euro Baukosten geschätzt. Die sechs Kilometer lange Umgehung Ferndorf (Kosten; 67,2 Millionen Euro) schließt sich an. Sie wird mit der Ortsumgehung Hilchenbach (3,7 Kilometer, 56,7 Millionen Euro) bis zur Kronprinzeneiche fortgesetzt. Von dort bis Lützel wurde die B 62 bereits ausgebaut, eine weitere Ausbaustrecke liegt zwischen Lützel und Erndtebrück (3,6 Kilometer, 22.1 Millionen Euro). Letztes Teilstück wird die Ortsumgehung Erndtebrück (7,9 Kilometer, 82,1 Millionen Euro).
+++Die Lokalredaktion Siegen ist auch bei Facebook!+++