Kreuztal. Die Aufregung um den Spaziergang auf der Trasse der Kreuztaler Südumgehung wird immer größer. Jetzt werden sogar „rechtliche Schritte“ erwogen.

Vor gut einer Woche sind Gegnerinnen und Gegner des Baus einer Südumgehung durchs Mattenbachtal spaziert, an ihrer Spitze Grünen-Bundestagsabgeordnete Laura Kraft und ihre Kollegin Nyke Slawik aus Leverkusen, stellvertretende Vorsitzende des Bundestags-Verkehrsausschusses. Ihre Positionierung gegen die Kreuztaler Südumgehung und die daran anschließende Ortsumgehungskette „Route 57“ über Hilchenbach und Erndtebrück bis Schameder hat aufgeregte Reaktionen hervorgerufen, die inzwischen eskalieren. Am Mittwoch hat Laura Kraft den CDU-Kreisverband zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert. „Sollten Sie dem nicht nachkommen, behalte ich mir rechtliche Schritte vor.“

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Der Höhepunkt?

Laura Kraft habe Unterstützer der Route 57 „diskreditiert“ und die Menschen in Wittgenstein, die den Bau der Ortsumgehungen für eine schnellere Anbindung an den Kernraum Siegen und das Autobahnnetz fordern, „pauschal als bequem abgeurteilt“, heißt es in der beanstandete Pressemitteilung der CDU. „Wahr ist, dass ich keine solche Aussage getätigt habe. Ihre Unterstellung weise ich mit aller Schärfe zurück“, schreibt die Abgeordnete dazu an den CDU-Kreisverband. Entsprechend geäußert habe sich ein Teilnehmer der Veranstaltung, nicht aber die Grünen-Abgeordnete.

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CDU-Kreisvorsitzender Benedikt Büdenbender erwidert: Die Äußerungen seien auf einer von den Grünen organisierten Veranstaltung gefallen. „Sie haben diesen Aussagen nicht widersprochen, sodass wir davon ausgehen, dass die Wortwahl Ihre Unterstützung genießt. Dies haben wir in der Pressemitteilung wiedergegeben und davon werden wir uns nicht distanzieren.“ Büdenbender lädt im Folgenden zur öffentlichen Diskussion („gerne überparteilich“) ein: „Es ist erfreulich festzustellen, dass sie sich mittlerweile scheinbar von diesen Äußerungen distanzieren möchten.“

Der Grünen-Kreisverband spricht am Donnerstag von einem „absurden Sturm der Entrüstung“: „Es wirkte fast so, als wäre das Bauvorhaben der Umgehungsroute bis dato ohne jede Kritik ausgekommen.“ Die vergangenen Tage hätten gezeigt, „dass CDU und SPD sich nicht scheuen, mit falschen Tatsachenbehauptungen zu arbeiten, um die ‘Route 57’ zu verteidigen.”, so Janina Singh, Vorsitzende der Kreisgrünen. Und Co-Vorsitzende Carolin Grimm. „Als Bundestagsabgeordnete macht Laura Kraft genau das, wofür sie gewählt wurde: Sie setzt sich für eine nachhaltige Mobilitätswende, Umwelt- und Klimaschutz ein.”

Der Auftakt: DGB und IHK

„Wer in Berlin die Interessen der Menschen im gesamten Kreis Siegen-Wittgenstein vertreten will und dafür gewählt wurde, sollte ausgleichender und abwägender argumentieren“, meinen Industrie- und Handelskammer (IHK) und Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB). „Eine Bundestagsabgeordnete, die bei der Ortsumgehungskette den Begriff ,Monsterplanung‘ in den Mund nimmt, entzieht einer sachlich-konstruktiven Zusammenarbeit für das Zusammenwachsen von Siegerland und Wittgenstein den Boden.“ Gemeinsam üben IHK-Hauptgeschäftsführer Klaus Gräbener und der Vorsitzende des DGB-Kreisverbandes Siegen-Wittgenstein, Ingo Degenhardt, scharfe Kritik an den Äußerungen der Bundestagsabgeordneten. Mit absurden Begrifflichkeiten würden Ängste geschürt, mit denen Menschen verunsichert werden sollen. Klaus Gräbener: „Wo regionaler Konsens erforderlich ist, wird gespalten. Es gibt einen untrennbaren Zusammenhang zwischen einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur und sicheren Arbeitsplätzen.“ Ingo Degenhardt:_ „Dass die Verkehrsbelastung im Ferndorftal aufgrund von Homeoffice zurückgehe, ist angesichts des hohen Industriebesatzes in der Region eine geradezu groteske Aussage. Ich kenne nicht viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die eine CNC-Präzisionsfräse daheim neben dem Bügelbrett stehen haben. Auch lassen sich Schrauben und Kunststoffbahnen bislang nicht per E-Mail zum Kunden versenden.“

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Die Eskalation

SPD-Bundestagsabgeordnete Luiza Licina-Bode aus Bad Laasphe ergreift für die Wittgensteiner Partei.„Wir sind bereit, weiterhin für eine verbesserte Anbindung zu kämpfen und lassen uns nicht durch unredliche und unehrliche Argumente einschüchtern.“ Das ÖPNV-Angebot in Wittgenstein und von Wittgenstein nach Siegen sei überschaubar. Auch den Bewohnern des Ferndorftales in Kreuztal sei mit solchen Aussagen nicht geholfen. „Ein einziger Verein hält seit Jahren den Fortschritt bei der Verbesserung der Lebensader für ganz Wittgenstein auf.“ Wittgensteine hab bundesweit einen der zeitlich längsten Anfahrtswege zur nächsten Autobahnanbindung. „Einige Menschen aus Kreuztal und Siegen können scheinbar nicht nachvollziehen was es bedeutet, wenn die Anfahrt zur nächsten Autobahnanbindung eine Stunde dauert, und nicht fünf bis zehn Minuten.“ Seit der Kommunalreform seien Dienstleistungen und Serviceangebote aus Wittgenstein nach Siegen verlegt wurden. Im Gegenzug wurden ÖPNV-Angebote in Wittgenstein immer weiter zusammengestrichen. „Wir sollten auch nicht vergessen, dass die Region Wittgenstein in den kommenden Jahren einen enormen Anteil am Ausbau der erneuerbaren Energien haben wird. Das verlangt von uns wiederum Opfer, dafür werden wir hier so viel Energie erzeugen wie ein halbes AKW, auch für das Siegerland.“

CDU: Dann kommt die CDU. .„Man ist es leider gewohnt, dass einige Abgeordnete in Berlin nicht mehr wahrnehmen, wie das Leben in ländlichen Regionen aussieht und welche Herausforderungen uns hier begleiten“, eröffnete CDU-Kreisvorsitzender Benedikt Büdenbender sein Statement. Bundestagsabgeordneter Volkmar Klein sieht eine neue Variante des Konflikts zwischen Klimaschutz und Mobilität. „Die tiefen Risse zwischen SPD, Grünen und FDP haben nicht nur Auswirkungen in Berlin, sondern treffen auch die Menschen Siegen-Wittgenstein.“ Und: „Die betroffenen Anwohner im Ferndorftal leiden seit Jahren unter der hohen Verkehrsbelastung. Menschen und Unternehmen in Wittgenstein fragen sich, ob man ihrer Region überhaupt eine Chance für eine erfolgreiche Zukunft geben will.“ Zitiert wird auch Landtagsabgeordnete Anke Fuchs-Dreisbach: „Ich finde es verantwortungslos, wenn sich Abgeordnete als Vertreter für die Menschen in der Region gegen den breit getragenen Konsens stellen und so Uneinigkeit befeuern und eine Verzögerung des Projektes damit willentlich in Kauf nehmen. Die Route 57 ist nicht verhandelbar. Sie muss kommen.“

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SPD: Schließlich noch einmal die SPD:„Augenscheinlich verweigern sich die Grünen den Notwendigkeiten der Realität und den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger sowie der vielen Unternehmen vor Ort“. erklärt Falk Heinrichs, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik in Siegen-Wittgenstein (SGK). „Von einer ‚Monsterplanung‘ zu sprechen und den Wettbewerbsnachteil für Unternehmen nicht ernst zu nehmen, ist absurd“, sagt der Co-Vorsitzende der SPD in Siegen-Wittgenstein, Karl Ludwig Völkel.

Verein Route 57: Am Donnerstag meldet sich der Verein Route 57: „Die Region will die Ortsumgehungskette und wird sich auch durch Beleidigungen nicht einschüchtern lassen“, sagt Vorsitzender Eckehard Hof. Er weiß offensichtlich, dass der nach Wittgenstein gerichtete Vorwurf der „Bequemlichkeit“ von Friedrich Henstorf , Aktionsgemeinschaft Rothaargebirge, geäußert wurde. Aber: „Zu dieser völlig inakzeptablen und beleidigenden Aussage gibt es bis heute keine Klarstellung von Frau Kraft, und so fällt ihr die Veranstaltung im Nachgang auf die Füße.“ Der Zuspruch für eine bessere Verkehrsverbindung zwischen Wittgenstein und dem Siegerland sei ungebrochen. „Die Menschen in der Region haben das verdient. Sie werden seit Jahrzehnten vertröstet. Das muss sich ändern.“

Das sagen Teilnehmer

Dieter Gebauer (Grüne) ist stellvertretender Bürgermeister von Kreuztal: „Das Industriegebiet Schameder ist dicht besiedelt mit Unternehmen, die seit Jahren Märkte weit außerhalb des Wittgensteiner Landes beliefern. Die Firmen EJOT und das BSW (Berleburger Schaumstoffwerk) sind zu Weltunternehmen geworden, ohne die Route 57. Die Arbeitslosigkeit im Wittgensteiner Raum ist niedriger als im alten Kreisgebiet. Eine bessere Straßenanbindung des Wittgensteiner Raums hätte es schon längst geben können, wenn maßgebliche Politiker des Kreises Siegen-Wittgenstein eine Planung des Landesbetriebs Straßen NRW nicht verworfen hätten. Diese Planung sah vor, das bestehende Straßennetz leistungsfähiger auszubauen, ohne dafür Wald abholzen zu müssen, ohne dafür großflächig Flächen zu versiegeln. Verantwortliche haben jahrzehntelang das Machbare verhindert, um das Maximale vielleicht zu bekommen, ohne Rücksicht auf die Risiken und Nebenwirkungen..“

Friedrich Henstorf spricht für die Aktionsgemeinschaft Rothaargebirge: „Laura Kraft ist die einzige Bundestagsabgeordnete aus unserer Region, die wirklich die Interessen der Menschen vertritt, weil sie die echten Probleme der Zukunft bedenkt. Im Gegensatz dazu erwartet ihre Kollegin Luzina-Bode, dass man neue Straßen baut, um die Rotorblätter der Windkraftanlagen ins Rothaargebirge zu transportieren. Das ist schon vom Zeitbedarf her absurd. Die von den Naturschutzverbänden unterstützte Ausbaumaßnahme der B 62 zwischen Lützel und Erndtebrück ist fertig geplant und liegt seit einem Jahr zur Freigabe im Berliner Verkehrsministerium. Die Umgehungen von Kredenbach bis Kreuztal werden keine Entlastung für die Anlieger im Ferndorftal sein, und die Ortsumgehungen zwischen Erndtebrück und Allenbach sind überflüssig.“

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