Siegen. Gefahr vorbei, Bewohner viel schneller als gedacht wieder zuhause, 25.000 Tonnen Material in Rekordzeit angeschüttet. Ob das da bleibt: Fraglich.
Die Menschen sind zurück in ihren Wohnungen. Den abgerutschten Hang unterhalb des Hauses Unter dem Klingelschacht 30 zu sichern, ging mehr als doppelt so schnell wie zunächst gedacht: Knapp fünf statt mehr als zehn Wochen. Vor dem Steilhang wurden zehntausende Tonnen Material aufgeschüttet und verdichtet. Ob diese gewaltige künstliche Böschung aber in dieser Form an dieser Stelle bleiben wird: Das Ringen darum beginnt jetzt.
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Die Stadt Siegen hatte nach dem Hangrutsch am 18. Februar die Initiative in dieser komplizierten Gemengelage vorangetrieben. Weil nicht klar war, ob die Standsicherheit des nach dem Zweiten Weltkrieg errichteten Gebäudes gefährdet war, mussten die Bewohner ihr Zuhause verlassen. Die Abbruchkante war so nah am Haus, so viel Erdreich abgerutscht, dass die Gefahr für entsprechende Untersuchungen zu groß war: Erst musste der Hang gesichert sein. Die Strategie, eine Art Stützwand zu errichten, wurde von Geologen abgelehnt, der von der Stadt beauftragte Fachmann gab die Anschüttung des neuen Hangs vor.
Im Pendelverkehr transportierten wochenlang Lastwagen tonnenweise Material vom Wertstoffhof Haardter Berg auf den Parkplatz an der Leimbachstraße, hinter Fressnapf und Fitnesssstudio „Be Fit“. Gut 1300 Fuhren zu je 18 Tonnen, hat Martin Thomas ausgerechnet, Abteilung Straße und Verkehr, der die Maßnahme für die Stadt begleitet hat. Die Logistik der ausführenden Firma Feldhaus habe hervorragend funktioniert, lobt Stadtbaurat Henrik Schumann: Das gesamte Material, bis zu 25.000 Tonnen, konnte von einer Stelle abgeholt werden, auch vor Ort staute sich nichts, der Transport funktionierte flüssig und fehlerfrei. Letztlich spielte auch das Wetter mit. Verbaut wurde Recyclingmaterial – wiederaufbereiteter Betonabbruch der besten Güteklasse was Körnung und Schadstoffe angeht, erklärt Martin Thomas. Das wurde in Schichten aufgeschüttet, von unten aufgebaut und dann terrassenartig hochgezogen, immer wieder mit Walzenfahrzeugen zu einer kompakten Masse verdichtet, bis die nun vorhandene gleichmäßige Böschung fertig war. Das Gewicht dieser Masse drückt in einem Winkel auf den abgerutschten Hang, „das da nichts mehr weg kann“, sagt Thomas.
Am Fitnessstudio stehen nun einige Dutzend Parkplätze weniger zur Verfügung
Als der neue Hang fertig angeschüttet war, wurde umgehend eine „Schürfe“ per Bagger durchgeführt, um zu untersuchen, wie das Haus auf dem Fels gegründet ist, ob weitere Rutschgefahr besteht, wie das Gebäude auf dem Erdreich lastet – was vorher einfach nicht ging, die Gefahr war zu groß, man wusste nicht, was mit dem Hang ist. Freitagvormittag, 24. März, kam Grünes Licht: Das Haus steht sicher, hat auch keine Schäden davongetragen. Die 15 Bewohner – einer ist ausgezogen – wurden umgehend informiert und waren bereits am Nachmittag zurück in ihren acht Wohnungen, nach fünf Wochen.
Die Gefahr ist beseitigt, die Menschen wieder zuhause – das hatte oberste Priorität für die Stadt. Die „Ersatzvornahme“ ist beendet. Nun stellt sich die Frage: Was passiert mit dem neuen Hang auf dem Parkplatz? Der ist zwar so eingebaut, dass er dauerhaft da bleiben kann. Mit der Zeit wird er sich begrünen, irgendwann wachsen die ersten Birken darauf. Allerdings stehen dem Fitnessstudio nun auch einige Dutzend Parkplätze weniger zur Verfügung. Vom Hangrutsch betroffen sind vier Eigentümergruppen: der Gewerbeimmobilie Fressnapf/Be Fit mit dem größten Anteil, des Hauses Unter dem Klingelschacht 30, des Wohnhauses daneben. Der Stadt gehört ein kleiner Streifen: der ebenfalls abgerutschte Treppenweg. Die Zeit drängte, es war keine Zeit, sich umfassend darüber abzustimmen, was genau passieren muss und wer das bezahlt. Das folgt jetzt.
Folgen des Hangrutschs in Siegen: Sehr viele Beteiligte – alle haben Versicherungen
Der Stadtbaurat geht davon aus, dass das einige Zeit dauern und letztlich womöglich sogar von Gerichten entschieden werden muss. Der zum Großteil unter dem künstlichen Hang verschwundene Parkplatz gehört zum Betriebskonzept der Gewerbeimmobilie, wobei die Stadt an dieser Stelle keinen Druck machen wird, betont Henrik Schumann. „Mit dieser Situation müssen alle erstmal zurechtkommen.“ Theoretisch denkbar sei zum Beispiel, dass der neue Hang teilweise zurückgebaut und mit Stützmauern oder Gebäuden aufgefangen wird, wenn wieder mehr Parkplätze zur Verfügung stehen sollen. Das alles gelte es planerisch auszuarbeiten und mit allen Beteiligten abzuklären.
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Weil es davon so viele gibt und hinter allen auch Versicherungen mit ihren eigenen Interessen stehen, wird das mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit wohl gerichtlich ausgetragen werden, so Schumanns Einschätzung. Der Hangrutsch war ein Naturereignis, eindeutige Ursachen oder Schuld dürften sich wohl kaum feststellen lassen. Die Stadt Siegen ging in Vorleistung, zahlte die 650.000 Euro für die Hangsicherung. Auf den Kosten will sie aber nicht komplett sitzenbleiben.