Siegen. Einen Tag weniger pro Woche arbeiten, fürs gleiche Geld: Wo es probiert wurde, funktioniert das ziemlich gut. Ein Überblick für das Siegerland.
Vier Tage in der Woche arbeiten statt fünf. Und dafür dasselbe Geld bekommen? Im Siegerland ist die Arbeitswelt weit davon entfernt, obwohl Ergebnisse der University of Cambridge zeigen, dass mit einer Vier-Tage-Woche die Stress- und Krankheitsfälle deutlich reduziert werden. Im vergangenen Jahr nahmen 61 britische Unternehmen mit insgesamt 2900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an einem Pilotprogramm teil, bei dem die Arbeitszeiten, mit gleichbleibendem Gehalt, für sechs Monate um 20 Prozent reduziert wurden.
+++Mehr Nachrichten aus Siegen und dem Siegerland finden Sie hier!+++
Das sagen die Unternehmen
„Bei uns in der Metallindustrie ist das Thema relativ schwer. Mit der Pandemie und den Energie- und Lieferkettenproblemen haben wir derzeit mit anderen Sachen zu kämpfen“, sagt Jan Krumnow, Pressesprecher der Arbeitgeberverbände Siegen-Wittgenstein. Gerade in der Produktion fehle es den Unternehmen an Fachkräften, was es besonders in dieser Branche schwierig mache, eine Vier-Tage-Woche umzusetzen. „Vielleicht wäre es eher in kaufmännischen Bereichen oder der IT möglich. Bei uns können wir die Maschinen nur nicht einfach ausschalten. Zudem brauchen wir die Leute an allen Ecken und Enden.“ Mittelfristig werden sich die Unternehmen jedoch mit dem Konzept auseinander setzen müssen, erwartet Jan Krumnow – auch wenn der Blick in die Zukunft sehr schwierig sei. „Vor mehr als einem Jahr hätte schließlich auch niemand damit gerechnet, dass in Europa ein Krieg ausbricht.“ Die Arbeitgeberverbände seien keine aktiven Unterstützer der Vier-Tage-Woche, dennoch sei die Mitarbeiter-Zufriedenheit ein ganz wichtiger Aspekt für die Verbände.
Auch bei der Stadt Siegen sei ein Vier-Tage-Modell bei gleichem Lohn nicht möglich, da die Tarifparteien sich noch nicht auf ein Modell geeinigt haben. „Eine entsprechende Einigung ist derzeit auch nicht ersichtlich“, sagt Dirk Helmes, Leiter der städtischen Personalabteilung, auf Anfrage unserer Zeitung. Mit dem Arbeitszeitgesetz stehe noch ein weiterer Stein im Weg. Dennoch biete die Stadt als Arbeitgeberin eine Vielzahl von individuellen Teilzeit-Modellen an. „Wir unterstützen unsere Beschäftigten so aktiv bei der Vereinbarkeit von privaten Herausforderungen oder Wünschen um den Beruf.“ Ob eine Vier-Tage-Woche in Zukunft an Relevanz gewinnen würde, sei jedoch abhängig von dem dann angebotenen Modell, teilt die Stadt Siegen mit.
+++ Lesen Sie auch: Siegen: Hier kommt im Rathaus das Personal an die Grenzen +++
Das sagen Gewerkschaften
Forscher der University of Cambridge konnten bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der an dem Pilotprojekt beteiligten Unternehmen einen Rückgang von Burnouts um 71 Prozent feststellen. Die Zahl der Krankheitstage fiel um 65 Prozent, 39 Prozent der Beteiligten fühlten sich weniger gestresst. Die Einnahmen der Unternehmen haben sich dabei kaum verändert, in einzelnen Fällen sind sie sogar gestiegen. „Die Work-Life-Balance spielt vor allem im Leben der jungen Menschen, die zum Beispiel gerade eine Familie gründen, eine immer größere Rolle“, sagt Peter Richter, Gewerkschaftssekretär der IG Metall Siegen. Es gebe jedoch nicht wirklich Betriebe, die dem Modell offen gegenüberstehen, zumal es natürlich gerade in der industriellen Produktion sehr kompliziert sei. „Viele Unternehmen waren vor der Pandemie auch dem Home-Office skeptisch gegenüber. Die vergangenen Jahre haben aber gezeigt, dass die Leute auch zu Hause gut und eigenständig arbeiten.“ Laut Peter Richter ist die Vier-Tage-Woche außerdem eine Möglichkeit, mehr Arbeitnehmer anzuwerben und sie im Unternehmen zu halten. Weil aber mit der Energiekrise und den steigenden Preisen die wirtschaftliche Situation sehr angespannt sei, „freuen sich bestimmt viele Menschen, wenn sie noch Überstunden arbeiten können, um das Haushaltseinkommen zu stabilisieren“, glaubt der Gewerkschafter.
+++ Lesen Sie auch: Mehr Arbeitslose: Wo der Arbeitskräfte-Bedarf am größten ist +++
Jürgen Weiskirch, Bezirksgeschäftsführer von Verdi Südwestfalen, hält eine Veränderung der Arbeitszeit für notwendig. „Wir sind Verfechter der 35-Stunden Woche. Eine Einführung der Vier-Tage-Woche für alle Betriebe sehe ich dennoch unrealistisch.“ Arbeitszeitmodelle seien stark branchen- und unternehmensabhängig: „Die Rahmenbedingungen der Firmen sind natürlich mit ausschlaggebend. Jetzt gerade haben viele Unternehmen mit anderen Problemen zu kämpfen“, sagt Jürgen Weiskirch. Ein Vier-Tage-Modell mit 40 Stunden sei zudem undenkbar. „Mit zehn Stunden Arbeit am Tag ist man ja schon nach dem dritten Tag kaputt.“
Dennoch werde es Anpassungen geben: „Es ist ein starker Trend zu erkennen, dass die Menschen, vor allem jüngere, sowie die Unternehmen ein familienfreundlicheres Arbeitsmodell anstreben.“ Beide Seiten müssten Kompromisse eingehen, um die Arbeitszeit und die Bedingungen in der Zukunft anzupassen. „Ich sehe das so: Es gibt einen normativen Arbeitsvertrag, da geht es um Bezahlung, Urlaub und so weiter. Es gibt aber eben auch einen psychologischen Arbeitsvertrag, der Arbeitszeit, Aufstiegschancen und weiteres beinhaltet“, erklärt Jürgen Weiskirch. „Und dieser psychologische Arbeitsvertrag wird immer wichtiger.“
+++ Lesen Sie auch: Arbeitsagentur-Chefin: Frauen wollen Familie und Karriere +++
Viele langerfahrene Arbeitnehmer tendierten zum Beibehalten des jetzigem Modells, weiß Peter Richter. „Für diese Menschen wäre es eine grundlegende Veränderung der Realität. Manche sind offen dafür, manche eben nicht. Im Siegerland ist die Vier-Tage-Woche auf jeden Fall noch nicht richtig angekommen.“ Wie Verdi ist die IG Metall Siegen für die 5-Tage-Woche mit 35 Stunden. „Das läuft jetzt auch schon länger und kommt bei den Arbeitnehmern gut an“, sagt Peter Richter. Dabei seien die Betriebe dann selbst für die Planung der Arbeitszeiten verantwortlicht. „Die Vier-Tage-Woche wird auf jeden Fall eine Zukunftsdebatte werden. So ein Wechsel ist nicht einfach. Da kann die Realität auch nicht einfach ausgeblendet werden.“
So kann’s funktionieren
Ein Siegener Unternehmen hat sich dieser Herausforderung aber gestellt. Seit vergangenem Sommer arbeiten die Fachkräfte im Dorint Parkhotel Siegen an vier Tage in der Woche je neun Stunden. „Für uns war es ein großes Plus. Die Lebensqualität unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat sich dadurch verbessert“, sagt Geschäftsführer Dominik Hübler. Zu Beginn habe der Umstieg leichte Schwierigkeiten bereitet, mittlerweile soll sich aber schon wieder alles eingependelt haben. „Der Arbeitnehmer hat dann einen Tag, um organisatorische Dinge zu erledigen und gleich zwei, um wieder zur Kraft zu kommen. Es funktioniert sehr gut.“ Seit der Umstellung müssen die Fachkräfte jedoch auch in mehreren Bereichen des Hotels mitanpacken. So kann es sein, dass jemand erst zwei Stunden an der Rezeption arbeiten muss und anschließend im Service tätig ist. „Die Abläufe sind aber mittlerweile optimiert. Und wenn wir zu viele Krankheitsfälle haben, helfen die Gesunden an den Tagen dann auch noch mit aus. Die Stunden am fünften Tag werden dann natürlich zusätzlich zum Gehalt gerechnet.“
+++ Lesen Sie: Hier sprechen Siegener über ihren Job und ihren Arbeitsplatz +++
Dominik Hübler sieht eine Vier-Tage-Woche in der Gastronomie einfacher von der Handhabung als in anderen Branchen. „Am Ende des Tages müssen die Betriebe die Kosten im Griff haben. Dennoch sollten die Unternehmen schauen, dass sie den Mitarbeiterin entgegenkommen und ihnen eine Plattform bieten, auf der sie sich wohlfühlen“, betont der Geschäftsführer. Vielleicht auch mit mehr Gehalt oder mehr Urlaub. In dem Fall führen viele Wege nach Rom.“
+++Die Lokalredaktion Siegen ist auch bei Facebook!+++