Siegen. Wegen des Ukraine-Kriegs muss die Siegener Tafel mehr Menschen versorgen, bekommt aber weniger Lebensmittel. So geht das Team mit der Lage um.

Die Kombination ist denkbar ungünstig. Auf der einen Seite: Zurückgehende Lebensmittelspenden. Auf der anderen Seite: Eine deutlich gestiegene Zahl an Bedürftigen. Beide Entwicklungen sind Auswirkungen des Ukrainekriegs. Und die Siegener Tafel muss sie irgendwie in Einklang bringen.

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Bisher funktioniert es, wie Tim Müller, Pressesprecher und Vorstandsmitglied, betont. „Noch ist das Pensum gut zu schaffen“, sagt er. Mit rund 130 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern sei das Team derzeit „gut besetzt“. Doch die Ausgabezeiten müssten immer wieder mal ausgedehnt werden – „eine halbe Stunde früher anfangen, eine halbe Stunde später aufhören“. Vor dem russischen Angriff auf die Ukraine hätte die Siegener Tafel etwa 1500 angemeldete Gäste gehabt. Inzwischen aber seien es 1500 Familien, bei denen im Schnitt von zwei Personen auszugehen sei. Im vergangenen Sommer habe sich der Anstieg abgezeichnet, im Herbst wurde er offensichtlich.

Viele Gäste der Siegener Tafel sind inzwischen Menschen aus der Ukraine. Um ihnen die Orientierung zu erleichtern, gibt es Schilder und Aushänge an der Ausgabestelle in der Bismarckstraße auch in ukrainischer Sprache.
Viele Gäste der Siegener Tafel sind inzwischen Menschen aus der Ukraine. Um ihnen die Orientierung zu erleichtern, gibt es Schilder und Aushänge an der Ausgabestelle in der Bismarckstraße auch in ukrainischer Sprache. © WP | Florian Adam

Siegener Tafel: Menge der Lebensmittelspenden sinkt seit Beginn des Ukraine-Kriegs

Der Großteil der Gäste, sagt Tim Müller, seien inzwischen Menschen aus der Ukraine. An der Ausgabestelle in der Weidenauer Bismarckstraße ist das auch zu erkennen, Aushänge und Hinweisschilder sind in deutscher und in ukrainischer Sprache angebracht. Viele würden durch Mund-zu-Mund-Propaganda auf die Ausgabestelle aufmerksam, seien mit dem Prinzip „Tafel“ aber gar nicht vertraut. Um ihnen die Abläufe zu erklären, hilft eine ehrenamtliche Übersetzerin mit.

Angebote

Ausgabetage sind Dienstag und Donnerstag jeweils ab 13.30 Uhr. Gäste bezahlen einen Kostenbeitrag von 2 Euro pro Erwachsenem und 1 Euro pro Kind. Bei größeren Bedarfsgemeinschaften ist die Summe auf maximal 10 Euro gedeckelt.

An der Ausgabestelle in der Bismarckstraße gibt es auch ein sogenanntes Verteilzentrum. Die beiden Tiefkühlcontainer mit Kapazität für mehr als 40 Europaletten Tiefkühlkost ist Anlaufstelle für 17 Tafeln aus dem Umland, unter anderem aus Betzdorf, Bad Berleburg, Attendorn und Schmallenberg. Durch diese Infrastruktur wird es möglich, auch größere Tiefkühlspenden entgegenzunehmen, wie Tim Müller erklärt. So seien zum Beispiel einmal 33 Paletten Pizza geliefert und verteilt worden. Das Verteilzentrum unter der HTS wurde offiziell im Januar 2021 vorgestellt. Zuvor mussten die Siegener für Tiefkühlartikel mindestens bis nach Dortmund fahren, um das nächste Verteilzentrum zu erreichen.

Das Engagement der Siegerländerinnen und Siegerländer sei fantastisch, hebt Tim Müller hervor, „wir können nur immer wieder ,Danke’ sagen“. Doch der Ukrainekrieg hat nicht nur die Nachfrage bei der Tafel verdoppelt, sondern auch das Warenangebot reduziert. „Ich gehe davon aus, dass die Läden weniger Ware bekommen“, erläutert Tim Müller – ein Eindruck, den fast jeder und jede beim täglichen Einkauf bestätigen kann. War es vor diesem Krieg noch eher die Ausnahme, dass Artikel einmal nicht verfügbar waren (von Engpässen infolge pandemiebedingter Hamsterkäufe einmal abgesehen), sind leere Regalfächer im Geschäft nun kein ganz seltener Anblick mehr. Wenn die Läden aber weniger Ware bekommen, behalten sie auch weniger Ware übrig, die sie im Anschluss an die Tafel weitergeben können.

Anfang 2021 eröffnete die Siegener Tafel an ihrem Hauptsitz unter der HTS in Siegen ein Verteilzentrum für Tiefkühlkost. Von hier aus werden auch Tafeln im weiteren Umkreis versorgt.
Anfang 2021 eröffnete die Siegener Tafel an ihrem Hauptsitz unter der HTS in Siegen ein Verteilzentrum für Tiefkühlkost. Von hier aus werden auch Tafeln im weiteren Umkreis versorgt. © Siegener Tafel

Siegener Tafel musste 2022 für 20.000 Euro Ware einkaufen

2022 musste die Siegener Tafel deshalb für 20.000 Euro Ware zukaufen, wie der Pressesprecher berichtet. Möglich gewesen sei dies dank „eines sehr guten Spendenjahres“. Über die Lebensmittelspenden der rund 150 teilnehmenden Supermärkte, Drogerien, Bäckereien, Metzgereien, Großhändler und sonstigen Einzelhandelsunternehmen hinaus sei die Tafel auf Geldspenden angewiesen. Die Räume müssen unterhalten werden, ebenso der Fuhrpark mit fünf Kühlsprintern. Die Arbeit wird weitgehend von Ehrenamtlichen geleistet, doch angesichts der Dimensionen gibt es auch, jeweils mit einer halben Stelle, zwei Hauptamtliche: Eine Bürokraft und eine Logistikleitung. Bei 15 Außenstellen, die die Siegener Tafel mit Waren beliefert – unter anderem in Netphen, Wilnsdorf und Freudenberg – „muss es jemanden geben, der alles im Blick hat“, sagt Tim Müller.

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In der momentanen Lage „geben wir weniger Lebensmittel aus“, erklärt der Sprecher, wie die Tafel das Auseinanderklaffen von Angebot und Nachfrage handhabt – und handhaben muss. Die Gäste bekommen Essen für ein bis zwei Tage, manchmal für drei. „Wir sind ja nicht der Grundversorger, sondern geben zusätzlich etwas“, ordnet Tillmann Fuchs, 2. Vorsitzender des Vereins, ein. Der Gedanke der „Lebensmittelrettung“ stehe im Vordergrund. Aus diesem Ansatz heraus seien die Tafeln ursprünglich entstanden, auch wenn sie vielerorts in Deutschland längst eine wichtige Position in der Versorgung von Menschen mit geringen Einkünften eingenommen haben.

Siegener Tafel blickt dank Vertrauen ins Team positiv in die Zukunft

Mit welchem Gefühl er in die Zukunft schaut, da legt Tim Müller sich nicht fest. „Das wäre ein Blick in die Glaskugel“, sagt er. Was immer auch kommt, „wir reagieren auf die Situation“. Und solange Entwicklungen sich ankündigen und nicht von einem Tag auf den anderen doppelt so viele Menschen vor der Tür stünden, „können wir auch reagieren“. Natürlich sei es manchmal anstrengend, doch das Team sei stark und habe einen guten Zusammenhalt. Das zeige sich auch in der geringen Fluktuation. Neue Helferinnen und Helfer seien natürlich trotzdem willkommen und haltbare und ungekühlte Lebensmittelspenden ebenfalls.

Kontakt: Siegener Tafel, Bismarckstraße 90, 57072 Siegen, 0271/2384520. Online: siegener-tafel.de

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