Siegen-Wittgenstein. Das Deutschlandticket kommt am 1. Mai. Das hat Folgen, von denen Fahrgäste in Siegen-Wittgenstein noch gar nichts ahnen.
Nicht umsonst läuft auf den Bussen der Verkehrsbetriebe Westfalen-Süd (VWS) da, wo normalerweise „R 10 Littfeld“ oder „Betriebsfahrt“ steht, die Werbung für das Deutschlandticket. Die VWS haben massives Interesse, sich die Vorbestellungen zu sichern: 49 Euro zahlen Fahrgäste ab Mai jeden Monat für freie Fahrt im Nahverkehr durch ganz Deutschland.
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„Im Moment sieht das so aus, dass jeder sein Geld behalten darf“, berichtet Stefan Wied, Geschäftsführer des Zweckverbandes Personennahverkehr ZWS, der Verbandsversammlung. Was umgekehrt heißt, dass zum Beispiel die VWS keinen Cent einnehmen, wenn sie Fahrgäste mit irgendwo in Deutschland gekauften Deutschlandtickets durch die Gegend fahren. In der ZWS-Verbandsversammlung wird vornehm von der „Liquiditätssicherung“ gesprochen, die geregelt werden muss – das Unternehmen kommt schnell in die Klemme, wenn es nichts mehr einnimmt.
„Ein Jahr wäre schnell“, sagt Landrat Andreas Müller, der auch Vorsitzender der ZWS-Verbandsversammlung ist, zu den Aussichten auf einen Schlüssel, nach dem die Einnahmen aus dem Deutschlandticket verteilt werden. „Dafür müsste ich wissen, wo der Fahrgast eigentlich war und wo er hingefahren ist.“ Doch selbst wenn jeder seinen gerechten Anteil von den 49 Euro bekommt, wird ein Finanzierungsloch bleiben – weil zum Beispiel viele Fahrgäste ihre teureren Monatskarten abbestellen. Bundesmittel könnten weiterhelfen. Aber die braucht der Nahverkehr Westfalen-Lippe auch für den Schienennahverkehr, der für 2024 noch nicht finanziert ist. Wenn fast zeitgleich mit der Einführung des 49-Euro-Tickets auch die Fahrpläne gekürzt werden müssten, „wäre das ein Bärendienst für den öffentlichen Bahnverkehr.“
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Was Fahrgäste jetzt erwartet
Die Einführung des Deutschlandtickets betrifft alle derzeitigen Nutzer des Nahverkehrs – wie, ist aber noch offen. Es gebe Überlegungen, „aber beschlossen ist noch gar nichts“, betont ZWS-Geschäftsführer Stefan Wied. Eine Idee ist, alle Kunden anzuschreiben, deren Monatskarten-Abo jetzt teurer ist als 49 Euro; sie würden, wenn sie nicht widersprechen, automatisch auf das Deutschlandticket umgestellt. Was aus dem – billigeren – Semesterticket wird? Möglicherweise wird ein Upgrade auf das Deutschlandticket alternativ angeboten, „dafür muss der Preis festgelegt werden.“ Und das Job-Ticket? Da könnte sich das Umsteigen vielleicht gar nicht lohnen – es ist zwar örtlich begrenzt, bietet aber Mitnahmemöglichkeiten für weitere Fahrgäste und für Fahrräder an, die das Deutschlandticket nicht vorsieht.
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Schließlich das Schülerticket: „Wir wollen weiterhin allen Schülerinnen und Schülern einen kostenlosen Nahverkehr anbieten“. betont Landrat Andreas Müller. Und nicht nur denen, die weit genug weg von der Schule wohnen und deshalb sowieso zumindest Anspruch auf die Fahrkarte für den Schulweg haben. Dass eine Kommune für diese Gruppe sofort die billigeren Deutschlandtickets kauft und aus dem Schülerticket aussteigt, habe die Bürgermeisterkonferenz soeben ausgeschlossen. „Wir wollen das weiterhin gemeinschaftlich sicherstellen.“ Wie? Das Land sei am Zuge, sagt der Landrat, „wir harren der Dinge“.
Was auch noch Ärger macht
„Kurz vor den Irrsinn“ würden gerade all die getrieben, die mit dem Deutschlandticket hantieren müssen. sagt Andreas Müller. Auch Markus Stirnberg, Abteilungsleiter beim für den Schienenverkehr zuständigen Nahverkehr Westfalen-Lippe, hat einen einprägsamen Satz auf den Lippen: „Das Schönste an 2022 war der 31. Dezember.“ Denn die Bahnunternehmen, geplagt von krankheitsbedingten Personalausfällen und generellem Personalmangel, haben ihre Züge selten pünktlich auf die Strecke gebracht. „Das 9-Euro-Ticket hat sein Übriges getan.“ Da waren die Züge so voll, dass die eingeplanten Zeiten zum Ein- und Aussteigen an den Bahnhöfen nicht ausreichten. Spezielles Problem in Siegen: Wegen des meist verspäteten Intercity, der durch den eingleisigen Giersbergtunnel fährt, stauen sich davor und dahinter die Regionalzüge.
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Was der Tunnel für die Züge, ist die Siegener Innenstadt für die Busse. Im roten Bereich, so Stefan Wied, „ist alles, was ab Weidenau weiterfährt.“ Und das, obwohl es derzeit „so gut wie keine Baustellen“ gebe. Hoffnungen setzt der ZWS darauf, dass die Stadt Siegen ihren Plan einer Umweltspur von Siegen bis Geisweid verwirklicht.
So pünktlich sind Busse und Bahnen in Siegen
Akzeptabel ist für den NWL, wenn mindestens 90 Prozent der Züge pünktlich ankommen, inakzeptabel, wenn weniger als 80 Prozent das schaffen. Pünktlich ist ein Zug mit höchstens drei Minuten Verspätung. Als nicht akzeptabel gilt auch, wenn mehr als 1,5 Prozent der Fahrten ausfallen.
IC 34, Intercity Frankfurt-Siegen-Dortmund: 57,7 Prozent pünktlich, 6,12 Prozent Ausfall
RE 9, Rhein-Sieg-Express, Aachen-Köln-Siegen: 70,3 Prozent pünktlich, 6,77 Prozent Ausfall
RE 16, Ruhr-Sieg-Express, Essen-Hagen-Siegen: 74,8 Prozent pünktlich, 4,34 Prozent Ausfall
RE 99, Main-Sieg-Express, Frankfurt-Gießen-Siegen: 68,4 Prozent pünktlich, 1,13 Prozent Ausfall
RB 90, Westerwald-Sieg-Bahn, Limburg-Siegen: 84,6 Prozent pünktlich, 2,61 Prozent Ausfall
RB 91, Ruhr-Sieg-Bahn, Hagen-Siegen: 87,0 Prozent pünktlich, 3,52 Prozent Ausfall
RB 92, Biggesee-Express, Olpe-Finnentrop: 95,9 Prozent pünktlich, 1,68 Prozent Ausfall
RB 93, Rothaarbahn, Bad Berleburg-Siegen-Betzdorf: 75,2 Prozent pünktlich, 2,23 Prozent Ausfall
RB 94, Obere Lahntalbahn, Marburg-Erndtebrück: 81,3 Prozent pünktlich, 2,32 Prozent Ausfall
RB 95, Sieg-Dill-Bahn, Dillenburg-Siegen: 1,02 Prozent Ausfall
RB 96, Hellertalbahn, Betzdorf-Burbach-Dillenburg: 96,6 Prozent pünktlich, 2,51 Prozent Ausfall
Bei den Buslinien sind im Januar und Februar 2023 im roten „nicht akzeptablen“ Bereich die Strecken Weidenau-Netphen (74,8 Prozent pünktlich), Netphen-Erndtebrück (76,8 Prozent), Weidenau-Geisweid (79,7 Przent) und Geisweid-Hünsborn (78,7 Prozent).
„Verbesserungswürdig“ sind Geisweid-Littfeld, Netphen-Deuz, Hünsborn-Wenden, Freudenberg-Hohenhain, Freudenberg-Seelbach, Eiserfeld-Neunkirchen und Wilnsdorf-Neunkirchen. Im nicht mehr akzeptablen Bereich sind die Busausfälle zwischen Wenden und Kreuztal, Kreuztal und Hilchenbach, Weidenau und Netphen, Netphen und Deuz, Siegen und Kaan-Marienborn.
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