Hilchenbach. Hilchenbach will Antisemitismus keinen Platz lassen in der Stadt. Am Dienstag wird am Gedenkstein auf dem Marktplatz erinnert.
Die Erschließungsstraße im Neubauviertel am Unteren Marktfeld wird nach der letzten Jüdin benannt, die aus Hilchenbach deportiert wurde: Einstimmig hat sich der Rat für eine Gerti-Holländer-Straße ausgesprochen. Die SPD-Fraktion hatte diese Benennung beantragt, andere Vorschläge wurden nicht vorgetragen.
+++Mehr Nachrichten aus Siegen und dem Siegerland finden Sie hier!+++
Zeichen setzen gegen Antisemitismus
„Ich freue mich sehr“, sagte Bürgermeister Kyrillos Kaioglidis. Auch mit dieser Entscheidung werde deutlich, dass Hilchenbach eine „vielfältige und tolerante Stadt“ sei. Der Zeitpunkt des Ratsbeschlusses hätte zudem kaum passender seien können: Am 28. Februar jährt sich der Tag, an dem Gerti Holländer und ihr Sohn Lothar verschleppt wurden – am Dienstag um 16.30 Uhr findet aus diesem Anlass, wie in jedem Jahr, eine Gedenkstunde am Mahnmal auf dem oberen Marktplatz statt. „Mit diesem Gedenken setzen wir gemeinsam ein Zeichen gegen Antisemitismus. Euer schlimmes Schicksal ist in eurer Heimat Hilchenbach nicht vergessen.“
Kaioglidis kündigte an, dass das Straßenschild eine Zusatztafel bekommt, auf der über Gerti Holländer und die an ihr und ihrer Familie begangenen Verbrechen informiert wird. Die Straßenbenennung und die Gedenkstunde seien auch als Aufforderung zu verstehen, „uns für die Vielfalt in unserer Stadt einzusetzen“. Dieser Hinweis dürfte auch auf den Widerstand gegen die immer noch in der Dammstraße 5 angesiedelte Niederlassung der rechtsextremistischen Partei „Der 3. Weg“ zielen. Von dort waren auch am Jahrestag der Pogromnacht Störungen ausgegangen, als das Hilchenbacher Bündnis für Toleranz und Zivilcourage eine Mahnwache zur Erinnerung an die ermordeten Juden hielt.
2018 war Hindenburg wichtiger
Dr. Tim Benshausen (SPD) wies auf die Stolpersteine, die jährliche Kranzniederlegung und den jüdischen Friedhof hin, die ebenfalls – wie nun der Straßenname stellvertretend für alle Opfer – zum Gedenken mahnten. „Antisemitismus ist immer nur eine Handbreit davon entfernt, sich in unserer Stadt zu manifestieren.“ Dass Hilchenbach sich als multikulturelle Stadt verstehe, werde in den Straßennamen bisher nicht gespiegelt: „Alles sehr weiß, deutsch, männlich.“
Tatsächlich ist in Hilchenbach bisher keine einzige Straße nach einer Frau benannt. Die Linke hatte 2019 versucht, die Erschließungsstraße im Neubaugebiet Rothenberger Gärten nach einer Frau zu benennen – dies hatte der Rat mit Mehrheit abgelehnt. 2018 fand sich ebenfalls keine Mehrheit für den Antrag der Linken, die Hindenburgstraße in Gerti-Holländer-Weg umzubenennen. Stattdessen informiert dort nun eine Texttafel über die Rolle des letzten Reichspräsidenten als Steigbügelhalter der Nazi-Diktatur.
Olaf Kemper (CDU) forderte, „dass es nicht bei diesem einen Straßennamen bleibt“, und rief dazu auf, auch die jährlichen Gedenkzeiten am Volkstrauertag auf dem jüdischen Friedhof zu besuchen. „Jüdisches Leben hat einst Hilchenbach reich gemacht.“
Lebensgeschichten: Die letzte jüdische Familie
Im aktiven Gedenkbuch des Aktiven Museums Südwestfalen sind Daten zur Lebensgeschichte der Familie festgehalten: Elisabetha „Gerti“ Sonnheim wurde am 28. Mai 1900 in Neuhemsbach in der Pfalz geboren.
Willi und Gerti Holländer heirateten 1927 und wohnten im Mühlenweg 281 Hilchenbach. Er war gelernter Kaufmann und übernahm das Geschäft seines Vaters. Er handelte mit landwirtschaftlichen Produkten, Futtermitteln und Fellen. Für sein Geschäft, das er bis 1935 betrieb, hatte er nach dem Krieg im Mühlenweg eine Lagerhalle angemietet. Infolge der Arisierung konnte Willi Holländer nur noch als Hilfsarbeiter tätig sein. Er arbeitete im Tiefbau bei der Firma Johannes Mankel in Siegen und für die Firma Berg in Weidenau. Er war Holzfäller in den Forstrevieren Hohenroth und am Lahnhof.
+++ Lesen Sie auch: Im Zug ins KZ traf Hilchenbacher Jüdin ihre Schwester wieder +++
Drei Jungen sterben mit 10, 15 und 17 Jahren
Nach der Deportation am 28. April 1942 von Siegen nach Zamosc waren Willi und Gerti Holländer und ihre Söhne neben Röschen Hony die letzten jüdischen Bewohner Hilchenbachs. Am 27. Februar 1943 hatten sich Willi Holländer und sein Sohn Arno Alfred, zwei Tage nach seinem 15. Geburtstag, in Dortmund bei der Gestapo zu melden. Gerti Holländer und ihr zehnjähriger Sohn Lothar mussten einen Tag später folgen. Von Dortmund erreichten sie am 3. März Auschwitz.
+++ Lesen Sie auch: Die letzte Fahrt aus Hilchenbach in den Tod nach Auschwitz +++
In das – vom NS-Stadtregime so genannte – „Judenhaus“ am Mühlenweg musste die Familie Joseph Holländer aus der Dammstraße 11 umziehen; das Haus neben dem späteren Stadtcafé wurde in den 1970er Jahren abgerissen. Der Metzger und Viehhändler Joseph Holländer, Bruder von Willi Holländer, und seine Ehefrau Julie hatten drei Kinder. Zwei Töchtern gelang die Emigration. Die übrige Familie wurde am 28. April 1942 deportiert. Sohn Artur wurde mit 17 Jahren zusammen mit seinen Eltern in Zamosc ermordet.
+++Die Lokalredaktion Siegen ist auch bei Facebook!+++