Hilchenbach. Hilchenbach ist die einzige Kommune im Kreis außerhalb von Siegen, die sich um queere Jugendliche kümmert. Das ist nicht leicht.

Homosexuell? Lesbisch? Schwul? Mit den Jahren sind sexuelle Orientierungen jenseits der heterosexuellen Norm auch auf dem Land angekommen. Dass die Welt sich währenddessen sehr viel schneller weiterentwickelt, wird dem Hilchenbacher Sozialausschuss, der sich auch als Ausschuss für Gleichstellung versteht, an diesem frühen Abend sehr deutlich gemacht.

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Gegen Nazi-Schmiererein hilft die Jugendkunstschule

Mit Melanie Dietz und Björn Philipp Trapp sind zwei hauptamtliche Kräfte der Queeren Initiative Siegen zu Gast, mit Mandana Krämer die Mitarbeiterin des Hilchenbacher Push-Vereins, der im vorigen Jahr „YoubeYou – Mach dein Ding“ für queere Mädchen etabliert hat und das in diesem Jahr mit „Younity“ auch auf männliche Jugendliche erweitern will. Männlich gelesene Jugendliche – die Begrifflichkeiten sind längst weiter aufgefächert. Dafür steht das Kürzel „LSBTIQA+“ für lesbische, schwule, bisexuelle, trans, inter, queere, asexuelle und aromantische Personen, wobei das „+“, oft auch „*“, alle die einschließt, die sich anderen oder keinen geschlechtlichen Identitäten und sexuellen Orientierungen zuordnen.

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Und das alles gibt es auch in Hilchenbach. Schriftlich liegt den Ausschuss der Bericht des Push-Projekts vor, das etwa 11.500 Euro gekostet hat, zu 85 Prozent vom Land und zu 15 Prozent vom Verein finanziert wurde: Entstanden ist der erste queere Mädchentreff im Kreisgebiet außerhalb Siegens im Jugendtreff Hilchenbach; aufgebaut wurden Kontakte zu den Gruppen und Beratungsangeboten im queeren Zentrum Andersroom in Siegen, ein Ausflug führte ins Jugendzentrum Anyway in Köln. „Vermehrt homophobe und rassistische Schmierereien“ seien in Hilchenbach aufgetaucht, seit sich der rechtsextremistische „3. Weg“ dort niedergelassen hat. Die queere Gruppe hat nicht nur mit der Beteiligung an der Gegendemonstration darauf reagiert. Zusammen mit der Jugendkunstschule wurden „Paste-Up-Collagen“ hergestellt, mit denen die Hetzparolen („fast wöchentlich neue“) sofort überklebt werden.

Die Teamerinnen und Teamer des Kinder- und Jugendbüros bilden sich fort.
Die Teamerinnen und Teamer des Kinder- und Jugendbüros bilden sich fort. © Stadt Hilchenbach | Stadt Hilchenbach

Unterstützung ist in Schulen gefragt

Die Arbeit braucht Zeit – die Resonanz wurde erst zum Ende des Projektes stärker, das der Push-Verein derzeit mit eigenen Mitteln fortführt. „Wir werden endlich etwas angenommen“, sagt Mandana Krämer. Eltern äußern den Wunsch nach einem Infoabend, bereits drei transidente Jugendliche wünschen für sich ebenso einen sicheren Ort, wie ihn das Fortsetzungsprojekt anbieten wird. Geplant sind Veranstaltungen auf der Gerichtswiese: „Wir wollen zeigen, es gibt queere Menschen.“ Durchaus „zwiegespalten“ gingen Lehrkräfte mit ihnen um, berichtet Mandana Krämer: „Manche sagen, so etwas habe im Schulalltag nichts zu suchen. Denen sind die Augen rausgefallen, als wir mit Regenbogenfahnen in die Schule gekommen sind.“

Olaf Kemper (CDU), selbst Schulsozialarbeiter an einer Gesamtschule im Oberbergischen Kreis, sieht das anders. „Das Thema wird immer wichtiger. Die Schulen brauchen Unterstützung.“ Verschärft hätten sich Identitätsprobleme während der Pandemie, insbesondere in der Gruppe der elf- bis 15-jährigen Mädchen. Sie zeigten sich aber auch bei Jungen, die dann nicht mehr am Sportunterricht teilnähmen. Schulen reagierten darauf „relativ hilflos“. Björn Philipp Trapp von der psychosozialen Beratungsstelle der QIS bestätigt das: Auseinandersetzungen gebe es zum Beispiel, wenn trans Jugendliche ihren selbst bestimmten Namen auf dem Zeugnis sehen wollen. „Das ist nicht verboten. Aber wie offen ist die Schulleitung?“

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Für Außenstellen jenseits von Siegen fehlen die Mittel

Ausschussvorsitzender Dr. Tim Bernshausen (SPD) reagiert auf die Darstellung des Siegener Beratungs-, Gruppen-und Selbsthilfeangebotes, das bei den „Puzzles“ für 14- bis 24-Jährige beginnt und bis zu den „Queer Peers“ für Menschen mit Migrationsgeschichte reicht. Sogar eine Ferienfreizeit war 2022 möglich: „Ich bin beeindruckt.“ Kooperationen im weiten Einzugsbereich – die nächsten vergleichbaren Einrichtungen sind in Köln und Gießen – werden angestrebt, „Außenstellen“ aber nicht möglich. „Wir haben nicht die Kapazität“, antwortet Melanie Dietz. Das Land NRW bezahlt anderthalb Planstellen – eine für die Jugendarbeit, eine halbe für die Beratungsstelle -, die Stadt Siegen überlässt das Haus mietfrei, der Rest wird durch Projekt- und Eigenmittel aufgebracht. Immerhin, so Björn Philipp Trapp, sei durch das Schülerticket Siegen für Jugendliche aus dem Umland erreichbarer geworden.

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Wie sich Gesellschaft verändert hat? „Wir sind mit der Thematik angekommen“, sagt Melanie Dietz, „aber die Übergriffe nehmen zu.“ Beispielhaft nennt sie das Verbrennen einer Regenbogenfahne an einer Schule im Siegerland und den Tod von Malte C., der beim CSD in Münster niedergeschlagen wurde. „Es ist unser Anliegen, nicht nur Menschen vor Ort aufzufangen, sondern auch in die Gesellschaft hinein zu wirken.“ Björn Philipp Trapp bestätigt: Das politische und gesellschaftliche Klima habe sich sicher geöffnet. Aber persönliche Anfeindungen und Angriffe gebe es weiter: „Das sind dann die Beratungsfälle, die bei uns landen.“ Und dann erinnert der 27-Jährige auch daran: „Bis kurz vor meiner Geburt stand Homosexualität im Strafgesetzbuch und war anerkannte psychische Krankheit.“

„Dauerhafte Struktur“ bleibt auf dem Wunschzettel

Ob es da nicht besser wäre, in Hilchenbach eine „dauerhafte Struktur“ zu schaffen, statt sich mit vom Push-Verein getragenen Projekten von Jahr zu Jahr zu hangeln, fragt Tomas Irle (CDU) am Ende der Diskussion. Es gebe kaum eine Alternative, wenn schnell auf Bedarf reagiert werden soll, antwortet Heike Kühn, Leiterin des Kinder-, Jugend- und Familienbüros. Wobei nicht ausgeschlossen ist, dass auch ein Projekt auf Dauer überlebt: „Der Dirt-Bike-Park ist ein gutes Beispiel.“ Christoph Ermert, Sozialdezernent und zugleich Kämmerer, räumt ein, dass das „keine glückliche Situation“ sei. Der Stadt seien aber finanzielle Grenzen gesetzt. „Es ist schwierig.“

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