Hilchenbach. 5,2 Grad heißer, 27 Prozent mehr Regen bis 2098: In Siegen werden die Kitas, Schulen und Feuerwehrstandorte genannt, für die das gefährlich wird.

Es wird wärmer. Mehr Sommertage, mehr tropische Nächte, weniger Frosttage. Der Klimaausblick für Siegen-Wittgenstein, den das Climate Service Center Germany auf der Grundlage von 85 Klimamodellsimulationen und mit verschiedenen Szenarien der Emissionsentwicklung errechnet, ist sehr konkret. Um bis zu 5,2 Grad könnte die bodennahe Lufttemperatur bis zum Ende des 21. Jahrhunderts ansteigen, um bis zu 27,6 Prozent der Jahresniederschlag.

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Im Hilchenbacher Rat stellte jetzt Dr. Andreas Kaiser vor, wie der Kreis Siegen-Wittgenstein den Klimaschutz um die Klimaanpassung erweitert; im September 2022 wurde vom Kreistag ein „Klimafolgenanpassungskonzept“ beschlossen. Seine Koordinierungsstelle Klima, Energie und nachhaltige Regionalentwicklung ist Teil der beim Landrat angesiedelten Stabsstelle für Wirtschaftsförderung, Klimaschutz und Mobilität. Klimafolgenanpassung, so Dr. Kaiser, betrifft viele Sparten – von der Stadtentwicklung über Sozial- und Gesundheitswesen bis zum Tourismus. „Kalamitätsflächen“, also die vom Wald beraubten Borkenkäfer-Kahlschläge, „werden so heiß, dass man Wanderwege umlegen muss.“

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Das sind die Risiken

7,4 Grad beträgt derzeit die Jahresmitteltemperatur in Siegen-Wittgenstein. 17,6 Sommertage über 25 Grad und 101,1 Frosttage, an denen das Thermometer unter 0 Grad sinkt, sind das aktuelle 30-Jahres-Mittel, außerdem 1138,8 Millimeter Niederschlag. 2098 könnte – im Fall des stärksten Anstiegs der Treibhausgase – die Zahl der Sommertage um 68,8 zugenommen, die Zahl der Frosttage um 42,1 abgenommen haben. Bei der Technischen Universität Dortmund ist eine Klimawirkungsanalyse für den Kreis Siegen-Wittgenstein errechnet worden. Für jede Stadt und Gemeinde wird angegeben, wo Hitze, Starkregen und Hochwasser Wohn- und Gewerbegebiete, Landwirtschaft und Wald, Straßen und wichtige Infrastruktureinrichtungen beeinflussen können, auch da wieder unterschieden nach Szenarien, die die unterschiedliche Stärke des Klimawandels berücksichtigen.

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Hitze, Starkregen, Überflutungen

Hitzebelastungen entstehen vermehrt in stark verdichteten Quartieren“, heißt es in dem Erläuterungstext, „dies ist auf die hohe Zahl von versiegelten Flächen zurückzuführen, die die eintreffende Sonnenstrahlung absorbieren und dadurch die Umgebung aufheizen.“ Wohngebiete mit sehr hoher Belastung sehen die Wissenschaftler in der Siegener Innenstadt, in Weidenau und Geisweid sowie in zentralen Lagen von Freudenberg und Wilnsdorf. Gewerbegebiete mit sehr hohem Hitzerisiko werden vor allem in Neunkirchen, außerdem in Siegen, Netphen und Hilchenbach gesehen.

Starkregen sind problematisch, da sie jederzeit und überall auftreten und nur sehr kurzfristig vorhergesagt werden können“, heißt es weiter. Gefährdet sind Räume und Gebäude in Senken und da vor allem in versiegelten Gebieten, aus denen das Wasser nicht schnell abfließen kann. Gefährdete Bereiche in Wohn- und Gewerbegebieten gibt es in fast allen Kommunen des Siegerlandes.

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Davon unterschieden werden Überflutungen durch Flusshochwasser nach anhaltenden, großräumigen Niederschlägen. Hohe Risiken sieht die Analyse für Wohnquartiere in der Siegener Innenstadt sowie für die Gewerbegebiete an der Weiß in Kaan-Marienborn und am Dreisbach in Dreis-Tiefenbach.

Gefahren für diese Schulen, Kitas und Seniorenheime

Unter der Überschrift „Soziale ­Infrastruktur“ werden Klimarisiken für Schulen, Kindergärten und Wohnheime dargestellt. Besonders lang ist die Liste für die Stadt Siegen: Als „sehr hoch“ wird dort das Hitze-Risiko für Peter-Paul-Rubens-Gymnasium, Evangelisches Gymnasium, Gymnasium Am Löhrtor, Spandauer Schule und Diesterwegschule, für eine Reihe von Seniorenwohneinrichtungen und das Marienkrankenhaus dargestellt. Auch für Neunkirchen werden Kitas, eine Grundschule und ein Seniorenheim, für Wilnsdorf Real- und Grundschule Dielfen und Kita Niederdielfen, für Netphen die Feldwasser-Kita in Dreis-Tiefenbach und für Kreuztal die Kita in Osthelden genannt. Ein Starkregen-Risiko wird ausdrücklich für die Kita im Netphener Ortsteil Eschenbach genannt, sehr hohe Hochwasser-Gefährdung für drei Kitas in Siegen (Zeil, Herrenfeld, Rosengarten).

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Gefahren für diese Feuerwehrgerätehäuser und Umspannwerke

Mit „Punktueller Infrastruktur“ sind Versorgungseinrichtungen und Einrichtungen des Bevölkerungsschutzes gemeint. Sehr hohes Risiko, durch Starkregen beeinträchtigt zu werden, sieht die Klimawirkungsanalyse für die Feuerwehrgerätehäuser Dahlbruch, Herzhausen und Geisweid und das Umspannwerk Rudersdorf. Von – selten – extrem starken Hochwasser betroffen sein könnten die Feuerwehrgerätehäuser Buschhütten und Niederschelden, das Gelände des Industriegas-Herstellers Messer in Weidenau und das Umspannwerk an der Siegener Eintracht.

Hochwasser- und Starkregenrisiken stellt die Analyse für eine Reihe von Straßenabschnitten dar.

Besonders betrachtet wurde schließlich auch der Wald und dessen Gefährdung durch Dürre, die in Burbach besonders groß ist: Dort sind 4,2 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in die höchste Dürreklasse 5 („hoch, sehr trocken“) eingestuft. In Neunkirchen gilt das für 2,3 Prozent, in Siegen für 1,4 und in Kreuztal für 1,0 Prozent der Fläche.

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So geht man damit um

Dr. Andreas Kaiser beruhigt: „Hilchenbach sieht gar nicht so schlecht aus, es ist nicht so schlimm wie in anderen Kommunen.“ Die Warnungen der Klimawirkungsanalyse sollten vor allem als Hinweis verstanden werden, „dort mal genau hinzuschauen“. Mit dezentralem Hochwasserschutz könne zum Beispiel die Gefahr von Wassermassen verringert werden. Voraussetzung dafür sei, dass die Kommune die entsprechenden Untersuchungsaufträge vergibt oder selbst Personal dafür einstellt. „Es ist wichtig, dass das Thema platziert wird.“

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Wenn aber ein Unglück passiert, dann liegt das nicht daran, dass die Gefahr vorher nicht bekannt war. Der Siegener Klima-Koordinator, der als Geograf selbst über Starkregen promoviert hat, nennt das Beispiel der Katastrophe im Ahrtal: „Man wusste, welche Regenmengen kommen würden.“ Die Behörden hätten aber die Hemmschwelle, eine Evakuierung zu veranlassen, nicht rechtzeitig genommen – ein Fehler, der überall passiert wäre, glaubt Dr. Andreas Kaiser: „Wir wären genauso schlecht vorbereitet gewesen wie an der Ahr.“ Er berichtet über den Mann, der aus dem Keller seine Modelleisenbahnanlage vor der Flut retten wollte – und nicht wieder herauskam. „Da hat die Sensibilisierung nicht funktioniert.“

Ein Link zur Klimawirkungsanalyse für Siegen-Wittgenstein steht auf der Seite www.hilchenbach.de.

Weitere Informationen zum Klima-Thema auf www.siegen-wittgenstein.de

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