Netphen. In Netphen leben 800 Menschen in Hochwasser-Gebieten. Um sich zu schützen, können sie auch selbst etwas tun.
Der Blick aus dem vierten Stock des Netphener Rathauses fällt auf den entwaldeten Bernstein. „Ich mache mir Sorgen, wenn ich solche Hänge sehe“, sagt Prof. Dr. Jürgen Jensen. Der Borkenkäfer hat die Bäume totgefressen, die Harvester haben den Waldboden – „absolut kontraproduktiv“ – verdichtet, Wege zu „Rennbahnen“ für Sturzbäche gemacht. Der Wald sei „brutal“ gerodet worden. „Da hält der Boden nichts mehr“, sagt der Ingenieur dem im Ratssaal tagenden Stadtentwicklungsausschuss. Der am Böschungsfuß verlaufendende Radweg würden bei Starkregen zugeschüttet, die Umgehungsstraße womöglich überflutet.
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Wenn der Regen anfängt, ist es schon zu spät
Der Leiter des Forschungsinstituts Wasser und Umwelt an der Uni Siegen wohnt in Netphen, er ist als sachkundiger Bürger Mitglied der CDU-Fraktion sonst eher auf der anderen Seite des Beratungstischs. Ob die Stadt etwa tun könne, damit ihr nicht dasselbe Unglück passiert wie den Orten im Ahrtal und in der Eifel, wollen seine Ausschusskollegen von ihm wissen. Prof. Dr. Jürgen Jensen macht zunächst den Unterschied zwischen Hochwasser und Starkregen klar: Auf das mit dem Rhein herannahende Hochwasser kann sich Köln eine Woche lang vorbereiten. Der Brachbach zu Hause in Netphen braucht keine drei Minuten, wenn ein Starkregen ausbricht: „Wenn es zu regnen beginnt, ist es schon zu spät.“ Der nächste Satz ist noch weniger beruhigend: „Wir haben eine Gefahr in Netphen“, sagt der emeritierte Professor, der als Kind 1962 die Sturmflut in Hamburg erlebt hat, „Netphen hat viele Jahre Glück gehabt.“
Das kann jeder selbst tun
Es kommt auf die Oberflächen an, auf die Aufnahmefähigkeit der Böden also, und auf die von Jensen so genannte „Entwässerungsinfrastruktur“: Gewässer müssen unterhalten, Brückendurchlässe frei gehalten und Gullys regelmäßig gereinigt werden. „Jeder kann auch selbst für sich sorgen“, betont der Ingenieur: Die früher üblichen zwei, drei Stufen, die eine Haustür vom Gehweg trennten, hatten ihren Sinn. Auch die Nutzung der Keller – zum Beispiel höchstens für die Kartoffelkiste, nicht für eine Hifi-Ausstattung, die ein Hochwasser zerstören würde. Oft fehlt die Rückstauklappe im Keller, gelegentlich wird der Garten künstlich zum am Zaun vorbeiplätschernden Bach vergrößert.
Karten
Über die Homepage der Stadt Netphen (www.netphen.de) können Hochwassergefahrenkarten für den Bereich der Sieg eingesehen werden.
Aktuell bemüht sich die Stadt um Fördermittel, um detaillierte Karten für Starkregengefahren erstellen lassen zu können.
Prof. Dr. Jürgen Jensen nennt Beispiele für „fast nicht vorhandene Sensibilisierung“ – und einfache Gegenmittel: Türen und Fenster verwenden, die dem Wasserdruck standhalten. Und die Lichtschächte etwas höher mauern. „Das kann ganz sinnvoll sein.“ Allein im Kernraum Netphen/Dreis-Tiefenbach wären um die 800 Bewohner von einem 100-jährigen Hochwasser betroffen.
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Naturschutz gegen Hochwasserschutz?
„Wenn man ein Gebiet nicht entvölkern will, braucht man technischen Hochwasserschutz“, sagt Prof. Dr. Jürgen Jensen, „da hilft keine Renaturierung.“ Die Bepflanzung an den Ufern jedes Jahr „auf den Stock“ zu setzen, sei ein Widerspruch zu Naturschutzzielen, räumt der Ingenieur ein. „Aber ein Gewässer muss leistungsfähig bleiben.“ Ohne Hochwasser, so Jensen, sei ein Bach binnen fünf Jahren sonst zugewachsen. Auch der Abbau der Wehre, um Flüsse für Wanderfische passierbar zu machen, sei „nicht überall sinnvoll“ gewesen – das Wasser fließt dann eben schneller und wird zudem auch noch wärmer. „In heißen Sommern beschweren sich die Leute dann, dass die Sieg kein Wasser mehr hat.“
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Wehre in der Sieg „nicht einfach platt gemacht“
Alfred Oehm (CDU) erinnert an die alte Wiesenwirtschaft: Da konnte das Wasser aus dem Dreisbach oberhalb von Herzhausen mit zu öffnenden Schützen in Gräben umgeleitet werden. „Das ist uns alles verboten worden.“ Tiefbau-Fachbereichsleiter Rainer Schild bemerkt derweil eine Kurskorrektur bei den Fachbehörden: „Im Moment wird der Hochwasserschutz wieder mehr in den Fokus gerückt. Das merken wir schon.“ Auch die Wehre seien „nicht einfach platt gemacht“, sondern durch raue Rampen ersetzt worden. Mit der Renaturierung der Sieg in Dreis-Tiefenbach schließlich habe die Stadt den Retentionsraum für den Fluss vergrößert und zugleich Platz für die im nächsten Jahr beginnende Erweiterung des Klärwerks gewonnen: für noch saubereres Wasser in der Sieg.
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