Siegen-Wittgenstein. Ein Beschluss nach dem anderen: Der Landrat verwendet den Begriff Zeitenwende für die neue Klimaschutzpolitik. Heizung runterdrehen reicht nicht.

Die Tagesordnung ist voll von Themen, die alle irgendwie mit Klimaschutz und Energieversorgung zu tun haben. Der Kreistag, der diesmal in die Wilnsdorfer Festhalle ausgewichen ist, debattiert über Photovoltaik, Machbarkeitsstudien, Solarenergie – bis Landrat Andreas Müller einen anderen Ton in die Diskussion bringt: „Wir leben in einer Zeitenwende und verlieren uns hier im Klein-Klein.“ Es sei nicht damit getan, die Heizung herunterzudrehen, der Kreis müsse auch selbst Energie erzeugen, zumal der Strombedarf, zum Beispiel durch Elektromobilität, ja auch noch steige. „Im Landesvergleich sind wir sehr schlecht aufgestellt.“ Das soll sich ändern.

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Photovoltaik auf die Äcker

Beschlossen werden soll ein Photovoltaik-Paket: eine Freiflächenanlage auf der ehemaligen Abfalldeponie in Schameder, mehr Solarthermie auf kreiseigenen Gebäuden, eine Studie für Agri-PV-Anlagen (das sind aufgeständerte Photovoltaikmodule auf Äckern und Weiden) und eine Studie für schwimmende Photovoltaikanlagen auf den beiden Talsperren.

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Jutta Capito (CDU) tut sich schwer mit den Photovoltaikmodulen auf landwirtschaftlichen Flächen. Das könne dazu führen, dass die Landbesitzer ihre Felder lieber lukrativ an die Energieerzeuger verpachte, die Landwirte würden dabei nicht mithalten können. „Wir haben jetzt schon zu wenig Grünland. Es besteht, die Gefahr, dass der Pachtmarkt völlig aus den Fugen gerät.“ Als „Augenwischerei“ bezeichnet sie das Argument, unter den aufgeständerten Modulen könne weiter Landwirtschaft betrieben werden. „Da können höchstens noch Schafe und Ziegen weiden.“ Hermann-Josef Droege (CDU): „Das wird zu einem Höfesterben führen.“ Landrat Andreas Müller widerspricht: „Das führt eben nicht zu Einbußen in der Acker-Landwirtschaft.“ Wenn die Doppel-Nutzung – wie sie auch auf Parkplätzen vorgeschrieben wird – nicht gelinge, „wird der Flächenkampf noch stärker.“

Photovoltaik auf Dächer und Talsperren

Diskutiert wird über die Forderung der CDU, die Studie für die Talsperren dem Wasserverband zu überlassen. „Da gehen wir auf keinen Fall mit“, sagt Lena Schmidt (Grüne). Stromerzeugung sei nicht Aufgabe des Wasserverbandes, der die Kosten dafür an die Gebührenzahler durchreichen müsse. Ullrich Georgi (Linke) hätte jedenfalls nichts gegen die Photovoltaikmodule auf den Talsperren: „Dann sollten wir uns auch mal freuen, dass wir etwas haben, was andere nicht haben.“

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Solaranlagen auf den Dächern von kreiseigenen Gebäuden sind bisher viel kleiner, als sei sein könnten: Weil nur so viel Strom erzeugt werden soll, wie auch an Ort und Stelle verbraucht wird, und weil die Anlagen so billig sein sollen, dass sie innerhalb von 15 Jahren ihr Geld verdient haben. Diese Begrenzungen will Landrat Andreas Müller aufgegeben wissen. Künftig wird nicht benötigter Strom eingespeist, amortisiert haben muss sich die Anlage auch erst in 20 Jahren.

Andreas Klein (LKR) bringt die von den Borkenkäfern zerfressenen Wälder ins Spiel: „Die Flächen wären relativ ergiebig.“ Das werde der auch der neue Landesentwicklungsplan nicht zulassen, antwortet Umweltdezernent Arno Wied; im Wald werden sich künftig allenfalls mehr Windräder drehen. Wolfgang Braukmann (SPD) weist darauf hin, dass die Wiederaufforstung sogar gesetzlich vorgeschrieben sei: „So einfach ist das nicht.“

Photovoltaik auf Mülldeponien

Lena Schmidt (Grüne) regt an, auch die Deponien Winterbach, Fludersbach und Würgendorf als Standorte zu untersuchen – das sei bereits in Arbeit, antwortet Umweltdezernent Arno Wied. Und die Industrie abzuhalten, ihre Freiflächen für erneuerbare Energien zu nutzen – diese „erheblichen Vorgaben“ kommen ohnehin mit dem neuen Regionalplan, berichtet Hermann-Josef Droege (CDU), der auch Vorsitzender des Regionalrats ist.

Der Kreistag beschließt das Photovoltaik-Paket am Ende weitgehend einstimmig. Nur bei der Agri-Photovoltaik und der Talsperren-Studie gibt es ein paar Gegenstimmen.

Klimarelevanzprüfung für Kreistag

Beschlüsse des Kreistages werden künftig auf ihre Klimarelevanz geprüft. Vor der Entscheidung wird zum Beispiel untersucht, ob Strom, Wasser und Heizenergie verbraucht wird, ob er Autoverkehr eingedämmt wir, Boden ver- oder entsiegelt wird oder Abfall entsteht. „Gut, dass das endlich angepackt wird“, sagt Lena Schmidt (Grüne). Von einem „neuen Bürokratiemonster“ spricht Andreas Klein (LKR). Der Kreistag beschließt bei Gegenstimmen der LKR und Stimmenthaltungen der AfD. Ohne Diskussion einstimmig beschlossen wird danach ein Klimafolgenanpassungskonzept.

1000 Dächer: Die Million wird voll gemacht

Das 2020 begonnene 1000-Dächer-Programm für Photovoltaikanlagen wird 2023 mit weiteren 250.000 Euro fortgesetzt. Bisher wurden 750 Anlagen mit je 1000 Euro gefördert, die letzten 250 kommen dann im nächsten Jahr dazu. Insgesamt eine Million Euro wird der Kreis dann ausgegeben haben. „Dieses Versprechen sollte man halten“, sagt Hans Günter Bertelmann (UWG). Hermann-Josef Droege (CDU) weist die Idee zurück, die Förderung den Städten und Gemeinden zu übertragen. Einige dürften diese Ausgaben wegen ihrer Finanzlage gar nicht leisten: „Die Kommunalaufsicht müsste einschreiten.“ So sei sichergestellt, dass alle Hausbesitzer im Kreisgebiet Zugang zu den Zuschüssen haben, sagt Landrat Andreas Müller. Aktuell warten um die 20 Antragsteller auf eine Zusage, für dieses Jahr ist das Geld bereits verbraucht. Beschlossen wird gegen die Stimmen der AfD.

Busantriebe: Strom oder Brennstoffzelle

Ganz schnell gelöst ist der Konflikt um die Umstellung der Busantriebe: Bis 2033 sollten alle Busse mit Elektroantrieb fahren, hatte die Verwaltung vorgeschlagen. Der Umweltausschuss hatte das Thema von der Tagesordnung abgesetzt. Der Kreistag beschließt, gegen die Stimmen der AfD, die Umstellung der Bus-Antriebe bis 2033 – aber „technologieoffen“. Damit bleiben auch mit Wasserstoff betriebene Brennstoffzellen im Rennen.

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Radverkehr: Zwei Planer für Siegen-Wittgenstein

Zwei Verkehrsbauingenieure wird der Kreis Siegen-Wittgenstein für die Planung von Radwegen einstellen. Auch das beschließt der Kreistag gegen die Stimmen der AfD. Die neuen Fachkräfte sollen – gegen Bezahlung – auch für die Kommunen tätig werden. Nur Burbach und Wilnsdorf, so Landrat Andreas Müller auf Nachfrage, wollen diese Möglichkeit nicht nutzen. „So haben wir endlich die Möglichkeit, mit unseren Planungen voranzukommen“, sagt Julian Maletz (SPD). „Man muss froh sein, wenn wir die Stellen besetzen können“, sagt allerdings Horst Günter Linde (UWG). Und das am besten, ohne Personal aus den Rathäusern der Städte und Gemeinden abzuwerben, regt Guido Müller (FDP) an, „vielleicht findet man ja einen galanten Weg.“ Roland Steffe (AfD) findet die Personalaufstockung „überzogen“. Andreas Klein (LfR) regt an, die neuen Kräfte auch mit der Kreisstraßenplanung zu beauftragen. Der Kreis stehe aber mit dem Landesbetrieb Straßen NRW unter Vertrag, wendet Landrat Andreas Müller ein.

Energiemanagementsystem: Ein neuer Manager

Der Kreis stellt für seine Gebäude einen Energiemanager ein. Diesem Antrag der SPD-Fraktion folgt der Kreistag mit 28 gegen 21 Stimmen. Grüne, UWG, Linke und AfD schließen sich dem SPD-Antrag an. Hermann-Josef Droege (CDU) regt an, zunächst einen Auftrag für eine „Generalbestandsaufnahme“ zu vergeben. Gudio Müller (FDP) hält es für „sinnvoller“, die Hausmeister zu qualifizieren. Ullrich Georgi (Linke) verweist auf die 70-Prozent-Förderung der Stelle durch den Bund für drei Jahre: „Die Stelle finanziert sich von selbst.“

Resolution: Abgelehnt

Die Bundesregierung soll für eine Energieversorgung zu bezahlbaren Preisen sorgen. Im Entwurf der Resolution, die die LKR-Fraktion einbringt, wird auch die Abkehr von Sanktionen verlangt, die „lediglich die eigene Bevölkerung und Wirtschaft treffen, vor allem stärker als den Gegner“. Fünf Kreistagsmitglieder stimmen dafür, die große Mehrheit enthält sich der Stimme oder stimmt dagegen.

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