Siegen. Hass zeigt sich nicht nur in persönlichen Beziehungen, sondern auch immer mehr im Internet. Ein Forscher der Uni Siegen sucht nach Lösungen.
Klimawandel, Pandemie, Ukrainekrieg – Krisen folgen in immer kürzeren Abständen aufeinander. Gleichzeitig nehmen Ohnmachtsgefühle und Verlustängste bei großen Teilen der Bevölkerung zu und führen mitunter zu negativen Emotionen bis hin zum Hass. Das von der Volkswagen-Stiftung geförderte Forschungsprojekt „Wahrer Hass“ will aufzeigen, woran das liegt und was die Politik dieser Entwicklung entgegensetzen könnte.
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„Eigentlich ist Hass das wohl authentischste Gefühl überhaupt“, sagt Dr. Olaf Jann, Soziologe an der Uni Siegen. Liebe werde oft vorgespielt, Freundlichkeit strategisch eingesetzt. „Wenn aber jemand sagt ‚Ich hasse dich‘, so ist das in der Regel ernst gemeint.“ Hass ist dabei nicht nur ein Thema in persönlichen Beziehungen, sondern äußert sich seit geraumer Zeit vermehrt auch in den sozialen Medien – mit verschiedenen Strategien, Maßnahmen und Kampagnen versucht der Staat, dagegen vorzugehen.
Weil die Bekämpfung von Hass und Hetze in Deutschland gar zu einem politisch-kulturellen Großprojekt avanciert sei, wollte Jann untersuchen, welche Ursachen der Hass und Gefühle der politischen Ohnmacht, sozialen Unsicherheit und des persönlichen Verlusts bei vielen Betroffenen haben und wie man dem entgegenwirken kann. In Zusammenarbeit mit dem Politikwissenschaftler Dr. Veith Selk von der Technischen Universität Darmstadt ist daraus das Forschungsprojekt „Wahrer Hass - Emotionsdisziplinierung und politisches Lernen“ entstanden, das von April 2021 bis September 2023 mit 220.000 Euro von der Volkswagen-Stiftung gefördert wird.
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Die beiden Wissenschaftler haben hierzu breit angelegte Sekundäranalysen soziologischer Arbeiten durchgeführt. Auch wurde auf empirische Untersuchungen und Umfragen zurückgegriffen, etwa eine Studie des Allensbach-Instituts, laut der rund ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland der Äußerung zustimmt, in einer Scheindemokratie zu leben. Darüber hinaus sind auch Erfahrungen aus Populismusworkshops des Wissenschaftlers, die im Rahmen einer früheren Forschungsarbeit durchgeführt worden sind, in das Projekt eingeflossen. Viele Problematiken, die eigentlich politisch beantwortet werden müssten, würden heute in einer moralisierenden Art und Weise behandelt, sagt Dr. Jann: „Es geht immer um Gut und Böse. Das sieht man an Zuschreibungen wie Klimaleugner, Menschenfeind oder Putin-Versteher. Auch der Staat verhält sich heute nicht mehr neutral, sondern betreibt eine Moralisierung politischer Kultur.“
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Die angestrebte Sozialdisziplinierung von Menschen sei ein weltweit auftretendes Phänomen. In Europa geschehe dies durch implizite wie explizite moralische Gebote und Verbote, während China etwa ein Sozialkreditsystem als Disziplinierungsmaßnahme nutze. Darüber hinaus seien in den letzten Jahrzehnten neoliberale Vorstellungen von Individualität, Aufstieg durch Leistung etc. gefördert worden, ein Wir-Gefühl sei jedoch schon aus historischen Gründen stark diskreditiert worden. Dementsprechend schwierig sei es, in jetzigen Krisenzeiten Solidarität und Gemeinschaftsgefühl zu aktivieren. Dazu komme, dass Gesellschaften sich immer schneller wandeln und etwa kulturelle Normen und Werte, die über Jahrzehnte Bestand hatten, heute an Bedeutung verlieren, sagt Dr. Jann. „Für die Menschen konkretisieren und materialisieren sich die aktuellen Transformationen ja gegenwärtig in steigenden Lebenshaltungskosten sowie einer gravierenden Korrosion sozialer und technischer grundversorgender Infrastruktur. Der individuelle Stress und die sozialen Belastungen werden für Menschen mit geringerer sozialer Absicherung immer stärker“, so Dr. Jann. Das führe zu großen Verlustängsten und zur Versorgung mit negativen Emotionen in bestimmten Milieus bis in die Mittelschicht hinein.
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Um dem entgegenzuwirken, sind laut der Studie mehrere Maßnahmen geeignet. „Das Erste, was man sicherlich tun müsste“, so Dr. Jann, „ist die starke Moralisierung zurückzufahren und gesellschaftspolitische Fragen nach pragmatischen Gesichtspunkten zu lösen. „Entscheidungen sollten zumindest möglichst auf der nationalen oder lokalen Ebene mit der Bürgerschaft und nicht gegen sie entschieden werden. Mehr Basisdemokratie bedeutet aber nicht weniger Konflikte. Möglicherweise ist das Gegenteil der Fall, aber es ist ein Weg, fragmentierte Gesellschaften über die Beteiligung aller sozialen und politischen Milieus mit demokratischen Verfahren zusammenzubinden.“
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Im zweiten Teil des Forschungsprojektes diskutieren die Wissenschaftler ihre Erkenntnisse in Workshops mit unterschiedlichen Gruppen wie etwa Bundeswehrangehörigen, Auszubildenden, Journalisten, sowie lokalpolitisch und in Vereinen tätigen Menschen.
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