Siegen. Ausländerfeindliche und rassistische Kommentare auf unterstem Niveau: Wie in einer Facebookgruppe mit Siegener Admins immer übler gehetzt wurde.

Organisierte Strukturen gibt es unter Rechtsextremen, Ausländerfeinden und Faschisten im Siegerland nicht. Ihr Gedankengut aber, der Hass auf alle, die sie für nicht „deutsch“ halten – der greift um sich. Vor allem im Netz, den sozialen Netzwerken, insbesondere Facebook. Und der Hass schwappt auch aus Siegen ins Netz: Für – kurzzeitiges – öffentliches Aufsehen sorgte jetzt eine Facebookgruppe, in der Hass und Hetze eher die Regel als die Ausnahme waren.

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Die Gruppe „Gemeinsam sind wir stark“ unter Leitung aus Siegen

Es handelte sich nicht um eine rein Siegerländer Veranstaltung, aber einige Siegener waren oder sind Mitglied, auch Administratoren, die sich an den ausländerfeindlichen Hass-Postings beteiligten oder diese tolerierten. Andere Siegener, die der zunächst harmlosen Gruppe „Gemeinsam sind wir stark“ beigetreten waren, beobachteten die Entwicklung mit Entsetzen, erzählen einige.

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Weil es sich um eine geschlossene Gruppe handelt, in der neue Mitglieder zunächst aufgenommen werden müssen, fertigte ein Siegener Screenshots der Hasskommentare, anonymisierte Profilbilder und -namen und postete diese in öffentliche, mitgliederstarke regionale Gruppen. Zu seinem erneuten Entsetzen – und dem vieler anderer Bürger – verwies man bei einigen auf die Gruppenregeln, dass sich Beiträge auf Siegen und die Region beziehen sollten. Die Beiträge wurden gelöscht. Unverständlich für den Mann, der aus Angst vor Rache oder Schikane nur angibt, ein Siegener Bürger zu sein und sein Profil löschte.

Der Hass in der Facebookgruppe auf alles was fremd und anders ist

Die Identität des Siegeners mag fraglich sein, die Echtheit der Screenshots, die den Hass dokumentieren, bezeugen auch andere Gruppenmitglieder aus der Region, die mit Alias-Profilen die Dynamik des Hasses in der Gruppe verfolgten. Als der Mann seine Recherche veröffentlichte, flog er sofort aus der Gruppe und wurde unter den Beiträgen auf seinem Alias-Profil beschimpft. Andere beobachteten, wie nach der Veröffentlichung und der entsprechenden Aufmerksamkeit die „Rädelsführer“ zunächst auf stur schalteten („Ich stehe zu meiner Meinung“), sich später aber dahingehend äußerten, künftig in der Gruppe genau darauf zu achten, was man schreibe. Nach Läuterung und Einsicht klingt das nicht.

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Die menschenverachtenden Inhalte und das Vokabular der Beiträge sollen an dieser Stelle nicht wiederholt werden. Es geht zum Beispiel um Flüchtlinge an der griechisch-türkischen Grenze, ein schon länger im Netz kursierendes Video, das einen Angriff auf ein französisches Polizeiauto durch Randalierer mit Migrationshintergrund zeigt, an dessen Ende der Polizist aussteigt und sich gegen die Angreifer zur Wehr setzt – zum Leidwesen der Gruppenmitglieder ohne Schusswaffengebrauch. Schusswaffen gegen Flüchtlinge sind ein immer wiederkehrendes Thema, Gewaltfantasien gegen Andersdenkende und Linke ein anderes – und gegen Kanzlerin Angela Merkel, bei der sich die Gruppenmitglieder in abscheulichen Fantasien („man müsste der…“) gegenseitig zu überbieten suchen.

Die rassistische Einstellung zeigt sich darin, dass Menschen mit Migrationshintergrund – orthografisch sehr häufig falsch – oft als genetisch minderwertig bezeichnet werden, wer als augenscheinlich „Biodeutscher“ Flüchtlingen hilft, wird als Verräter diffamiert. Überhaupt ziehen sich Rechtschreib- und Grammatikfehler durch den Großteil der Kommentare, analog zum Hassinhalt und dem großspurigen Ankündigen, selbst zur Waffe greifen zu wollen, steigt die Fehlerquote.

Die Dynamik der Schmähungen und der Hetze

Der Sprachwissenschaftler Joachim Scharloth hat die „Orgien des Beleidigens“ (Spiegel 10/2020) analysiert. Der Professor für Germanistik an der Waseda-Universität Tokio hat Onlineplattformen untersucht, auf denen sich Rechtsradikale und Hassbürger tummeln. Sie eint der gemeinsame Drang, andere niederzumachen, so der Forscher gegenüber dem Nachrichtenmagazin, er spricht von „Überbietungswettbewerben“ mit dem Ziel, durch noch mehr drastische Wortwahl den Beifall der anderen Hasser und Hetzer zu erheischen und die Opfer entwertet und in die Nähe von Sachen degradiert. Darin stecke auch eine Art aufgestaute Handlungsbereitschaft.

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Dies ermögliche eine Selbstinszenierung als „Elite“, die sich auf einen gemeinsamen Kanon des Schmähens stützen kann und die sich von den anderen – der „dummen breiten Masse“, der Politik, dem Islam, „Gutmenschen“ usw. abhebt. Scharloth zieht eine Parallele der fäkalsprachlich-verklemmten Schmähkanonaden zu Schimpfwortduellen unter Kindern – mit entsprechenden Rückschlüssen auf Charakter und Reifegrad der Urheber. Das Internet ermögliche es, in vermeintlich geschützten Räumen Ideen zu äußern, zu erweitern und zu verbreiten. Dabei würden, so Sprachwissenschaftler Scharloth, diese „Verteidiger des deutschen Abendlands“ die Sprache, an denen ihnen angeblich so gelegen ist, aufs übelste verhunzen.

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