Siegen. In Siegen gibt’s ein neues Angebot für Witwer und trauernde Männer, bei dem sie wieder etwas Energie auftanken können. Was dahinter steckt.

Den Tod eines geliebten Menschen zu verarbeiten, ist wahnsinnig schwer und für viele kaum in Worte zu fassen. Gerade war dieser Mensch noch da, vielleicht hat man noch am selben Tag mit ihm geredet und auf einmal ist da niemand mehr. Manche Trauernde ziehen sich zurück, andere müssen über den Verlust reden, um damit umgehen zu können. Jede Trauer ist anders – es gibt nicht den einen Weg, wie man mit dem Tod eines Menschen umgeht und wie Trauernden geholfen werden kann. Wichtig ist, eine Anlaufstelle für sie zu schaffen: In Siegen können trauernde Männer seit Kurzem bei der „Trauerkombüse“ gemeinsam kochen und sich dabei gleichzeitig ungezwungen über den Tod eines geliebten Menschen oder andere Themen, Gefühle und Erfahrungen austauschen.

Siegen: Trauer ist individuell – „Die Männer müssen nicht die Macher sein“

„Frauen und Männer gehen mit Trauer unterschiedlich um“, sagt Maria Ermes-Soleymani, Koordinatorin für Ambulante Hospizhilfe beim Caritasverband Siegen-Wittgenstein. Gerade Männern aus der älteren Generation wurde oft beigebracht, immer das „starke Geschlecht“ sein zu müssen. Viele von ihnen ziehen sich zurück und wollen keine „Schwäche“ zeigen. Dabei ist Trauer keine Schwäche. „Die Männer müssen nicht die Macher sein“, betont Maria Ermes-Soleymani.

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Bei der „Trauerkombüse“ werden Männer jeden Alters angesprochen, die den Austausch mit anderen trauernden Männern und die Unterstützung in Fragen rund ums Kochen suchen, um ihren Alltag wieder mehr Struktur und Lebensqualität zu geben. „Verwitwete Männer stehen neben ihrer Trauer vor der großen Herausforderung, den alltäglichen Haushalt zu bewältigen“, weiß Maria Ermes-Soleymani aus vielen Trauergesprächen und -begleitungen. Bei der „Trauerkombüse“ werden ihnen im geschützten Rahmen nützliche Tipps und Tricks fürs Kochen gegeben.

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Gerade Trauerangebote würden viel häufiger von Frauen wahrgenommen, erzählt Maria Ermes-Soleymani. Daher möchten die Verantwortlichen den Männern mit der „Trauerkombüse“ stärker entgegenkommen. Auch weil sich Männer unter Männern manchmal besser verstanden fühlen. „Es tut gut, mit jemandem zu reden, der Ähnliches erlebt hat. Er versteht mich und ich ihn“, erklärt Patrick Loibl, ehrenamtlicher Mitarbeiter der Ambulanten ökumenischen Hospizhilfe Siegen und Helfer bei der „Trauerkombüse“.

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Bei dem Angebot arbeiten der Caritasverband Siegen-Wittgenstein und die Ambulante ökumenische Hospizhilfe Siegen zusammen. Die Idee für den Namen hatte Jürgen Schade, ehrenamtlicher Mitarbeiter der Ambulanten ökumenischen Hospizhilfe Siegen. Das erste „Schnuppertreffen“ des Angebots hat bereits stattgefunden. Die sechs Männer entschieden sich gemeinsam mit den extra für Trauerarbeit und Sterbebegleitung geschulten ehrenamtlichen Helfern für ein leichtes und zugleich extrem leckeres Gericht: „Strammer Max“.

Anmeldung nötig

Die Teilnehmeranzahl bei der „Trauerkombüse“ ist auf acht Teilnehmer begrenzt. Das kostenfreie Angebot startet am 12. Januar und wird dann alle 14 Tage veranstaltet (sonntags/donnerstags im Wechsel), jeweils von 17.30 bis 20 Uhr. Es findet in den Räumlichkeiten der Tagespflege am Sonnenhang („Statt Altenheim“) in Siegen, Am Sonnenhang 1b, statt. Anmeldung und Infos: Maria Ermes-Soleymani, m.ermes-soleymani@caritas-siegen.de, Tel. 0271/23602-67.

Ehrenamtliche Helferinnen und Helfer für alle Angebote rund um Trauerarbeit und Sterbebegleitung werden immer gesucht. Wer Interesse hat, kann sich bei Maria Ermes-Soleymani oder Christiane Howe (c.howe@caritas-siegen.de) melden. Patrick Loibl und Erhard Kretschmer können diese ehrenamtliche Arbeit nur empfehlen: „Ich bekomme so viel zurück. Ich kriege mehr zurück als ich gebe“, betont Erhard Kretschmer.

„Wir haben geschnippelt, gebrutzelt und serviert“, erzählt Erhard Kretschmer, ehrenamtlicher Mitarbeiter der Ambulanten ökumenischen Hospizhilfe Siegen, der als Unterstützung mit dabei war. „Ich habe die Jungs noch nie so reden und plappern hören wie da“, erzählt er. Ein paar der Männer kannten sich schon von den „Trauerwanderungen“ in Siegen, andere kamen neu dazu.

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Die Männer hätten ihre Partnerinnen oder Kinder verloren, viele von ihnen durch Krebs, erzählt Erhard Kretschmer. Doch es ging bei dem Treffen nicht nur um ihre Verluste, sondern auch um alles, was die Teilnehmer sonst noch so bewegt. „Es war eine dolle Sache“, betont Erhard Kretschmer. Nun soll das Angebot ab Januar weitergehen. „Erstmal acht Mal“, sagt Erhard Kretschmer. „Dabei soll es nicht bleiben. Wir haben noch viele gute Ideen“, betont Patrick Loibl.

Trauern in Siegen: „In den seltensten Fällen ist ‘alles gut’“

Obwohl Verlust, Tod und Trauer zum Leben dazugehören, werden diese Themen von vielen Menschen häufig umgangen und weggedrückt. „Ich bin oft enttäuscht, wie verlogen der Alltag ist. Alle verstecken sich hinter ihren Masken“, sagt Patrick Loibl. Und damit sind bewusst nicht die Masken zum Schutz gegen Corona gemeint. Häufig würde einander nur gefragt, ob „alles gut“ sei. Eine ehrliche Antwort darauf geben aber wohl die wenigsten. „In den seltensten Fällen ist ‘alles gut’“, betont Patrick Loibl.

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Bei ihm habe kein „konkreter Todesfall“ dazu geführt, dass er sich zum ehrenamtlichen Sterbebegleiter ausbilden ließ und jetzt bei der „Trauerkombüse“ mithilft. Er habe sich einfach für die Themen Tod und Trauer interessiert. „Ich bin davon berührt und will davon auch berührt werden.“ Es seien „echte Emotionen“, die damit verbunden seien. Patrick Loibl ist froh, wenn er Trauernde ein stückweit begleiten kann, mit ihnen vieles „aushalten und durchstehen“ könne. „Es lässt mich auch anders aufs Leben blicken. Ich sehe die Welt und den Alltag mit demütigen Augen“. Und doch geht das Glück nicht unter: „Es wird nirgends so tief und ehrlich gelacht wie hier“, sagt Maria Ermes-Soleymani über ihre Erfahrungen aus Trauergesprächen und -begleitungen.

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Das gesamte Trauerangebot würde nur über Spenden finanziert, erläutert die Koordinatorin für Ambulante Hospizhilfe beim Caritasverband Siegen-Wittgenstein. Für die finanzielle Basis für die „Trauerkombüse“ sorgten Patrick Loibl und Manuel Wienkamp, der ebenfalls bei der Ambulanten ökumenischen Hospizhilfe Siegen ehrenamtlich aktiv ist. Sie liefen beim „Mammutmarsch“ in Wuppertal 104 Kilometer und brachten mit Hilfe von Spenden, Sponsoren und Crowdfunding einen großen Geldbetrag ein. „Rund 11.000 Euro“, erzählt Patrick Loibl stolz. Dieses Geld soll nun für Angebote im Rahmen der Trauerarbeit weiter genutzt werden.

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Gerade in der dunklen Jahreszeit, an und um Weihnachten herum würden sich viele „Kraft für schwierige Tage“ wünschen, so Patrick Loibl. Auch wenn man bei Trauernden das Gefühl habe, ihnen gegenüber nicht die richtigen Worte zu finden, sei es besser, genau das zu kommunizieren, statt nichts zu sagen, so Maria Ermes-Soleymani. Hauptsache man mache eine Sache klar, betont Patrick Loibl: „Ich bin für dich da.“

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