Achenbach. Neue Sicht auf die Anschuldigungen gegen den Heimatverein Siegen.-Achenbach: „Es will mir nicht in den Kopf, dass dafür ein Mensch gestorben ist“
- Ein Siegener erzählt von seiner Arbeit als Bufdi in Achenbach – von Günther Langer
- Ein Blick auf die Konstruktion in Achenbach und um welche Vorwürfe es sich handelt
- Durch die Aussage des Ex-Bufdis und neue Recherchen ergeben sich neue Sichtweisen auf die Vorwürfe der ehemaligen festangestellten Mitarbeiterin Tamara Schmidt
Arbeit verloren, Beziehung kaputt, ein Haufen Schulden, „ich wusste keinen Ausweg mehr“, sagt der junge Mann aus Achenbach (sein Name ist der Redaktion bekannt). Ohne Günther Langer wäre er nicht dort, wo er heute ist, sagt er. Der ehemalige Vorsitzende des Heimatvereins Achenbach kümmerte sich um ihn, besorgte ihm eine Stelle als Bundesfreiwilligendienstleistender (Bufdi).
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Die Vorwürfe gegen Langer, gegen Heimatverein und dessen Weiterbildungsgesellschaft (WBG) lassen den jungen Mann nicht kalt. Er möchte aus seiner Sicht erzählen, wie es war.
1. Ein junger Mann wird Bufdi in Achenbach
„Ich war in einer verzweifelten Situation“, erinnert sich der junge Siegener. Günther Langer, den er vorher nur flüchtig kannte, half ihm aus der Patsche. Als er als Bufdi anfing in Achenbach, hatte er zum Beispiel kein Auto. Langer stellte ihm eins zur Verfügung. „Günther sagte: Einzige Bedingung ist, wenn Du jemandem damit helfen kannst, mach es. Schau nicht weg.“ Der frühere Vorsitzende des Heimatvereins sei immer mit ganzer Seele, viel Herzblut bei der Sache gewesen, „er wollte immer allen helfen, ihm ging immer alles sehr nah.“ Und er habe viele Feinde gehabt, sagt der Siegener, der in seiner Bufdi-Zeit oft mit Langer zu tun hatte: Wenn Langer Geldmittel für Achenbach akquirierte, dann ging dieses Geld nicht an die, die darauf womöglich ebenfalls spekuliert hatten. Kleidercontainer zum Beispiel, die der Heimatverein aufgestellt hat: „Da geht es um richtig viel Geld“, das habe Neid erzeugt.
Im September nahm sich Günther Langer das Leben, nachdem öffentliche Vorwürfe gegen ihn erhoben worden waren. „Mit ihm ist so viel gestorben in Achenbach“, sagt der junge Mann. Langer habe sich „wirklich um jeden gekümmert, auch um die, um die sich sonst keiner kümmern wollte.“ Menschen, die heute in Zusammenarbeit mit dem Jobcenter als sogenannte AGH- oder 16i-Kräfte für die WBG arbeiten. Darunter „schwere Jungs“, ehemalige Häftlinge, die durchaus auch gewalttätig waren. „Viele von denen sind im Leben falsch abgebogen“, niemand sonst habe ihnen eine Chance geben wollen. „Mir wäre das auch fast passiert. Günther Langer hat ihnen eine Chance gegeben“, sagt der frühere Bufdi. „Er war einer der besten Menschen, die ich je kennenlernen durfte.“
Der junge Siegener wurde als Bufdi in Achenbach zu einer Art „Mädchen für alles“, führte Reparaturen durch, übernahm Fahrdienste zu Arztterminen, half renovieren, die ehemalige Friedenskirche zum Beispiel. Noch heute helfe er in Achenbach aus, wenn er gebraucht werde, „das ist mir wichtig, ich will etwas zurückgeben.“ Er sei als junger Deutscher durchaus eine Ausnahme in der Belegschaft gewesen: „Viele Leute, die da arbeiten, haben eine geistige oder körperliche Behinderung oder sprechen kaum Deutsch.“ Dass dabei auch mal etwas nicht korrekt gelaufen sei – durchaus möglich, sagt er zu den Vorwürfen gegen Heimatverein und WBG. Das streiten auch die heutigen Verantwortlichen nicht ab.
2. Ein Blick auf die Konstruktion in Achenbach
In den Vorwürfen werden Heimatverein und Weiterbildungsgesellschaft Achenbach durcheinandergeworfen oder synonym behandelt. In der Tat gibt es Überschneidungen, auch personell, dennoch handelt es sich um zwei miteinander verzahnte, aber unterschiedliche Einrichtungen. Diese Trennung wollen die Verantwortlichen künftig schärfer handhaben.
Der Heimatverein ist ein eingetragener Verein, dessen Mitglieder sich ehrenamtlich unter anderem in Achenbach um den historischen Rundwanderweg kümmern, um die Versorgung von ukrainischen Flüchtlingen oder um Veranstaltungen wie Dorffeste.
Die „gemeinnützige Weiterbildungsgesellschaft Achenbach mbH“ ist aus dem Heimatverein hervorgegangen und bietet als sozialer Träger mit hauptamtlichem Personal bedürftigen Menschen Beschäftigung und Qualifizierung – etwa mit Integrationskursen, politischer Bildung, beruflicher Qualifizierung im Verkauf- und Gastgewerbe, Weiterbildung in Landschaftspflege und Gartenbau. Dabei handelt es sich aber nicht im klassischen Sinne um Ausbildung oder Erwerbsarbeit der Menschen in diesen Maßnahmen. Dazu gehören Bufdis, AGH- (früher Ein-Euro-Jobber) oder 16i-Kräfte („Teilhabe am Arbeitsmarkt“), deren Festanstellung mit staatlichen Mitteln gefördert wird. In allen Fällen werden die Lohnkosten dieser Personen von Behörden bezahlt – Bundesamt oder Jobcenter –, einen Teil der Summen behält vertragsgemäß die WBG, um Kosten für eigene Strukturen zu decken, etwa für hauptamtliches Personal. Im Rahmen solcher Maßnahmen helfen Bufdis unter anderem, den historischen Rundwanderweg in Ordnung zu halten, 16i-Kräfte säubern zum Beispiel Grünflächen im Stadtteil. Auch gegen Bezahlung für Auftraggeber, erklären die Verantwortlichen: Das Ziel sei es eben, diesen Menschen durch staatliche Alimentierung eine Chance zu geben, im Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen und sich zu stabilisieren. Dabei werden auch die Hauptamtlichen kofinanziert. Werkzeuge und Ausrüstung etwa muss die WBG kaufen und zur Verfügung stellen.
Insbesondere die ehemalige hauptamtliche Mitarbeiterin Tamara Schmidt erhebt Vorwürfe: Gerade mit den Bufdis soll betrogen worden sein. So habe es etwa Freiwilligendienstleistende gegeben, deren Verträge nur geschlossen worden seien, um die Hauptamtlichen zu finanzieren (Luftbuchungen). Andere seien anders als vertraglich festgehalten eingesetzt, wieder andere bezahlt worden, obwohl sie nie oder nur selten zur Arbeit gekommen seien, schildert Tamara Schmidt in einer ausführlichen Stellungnahme gegenüber dieser Zeitung. Eine Konkretisierung dieser Luftbuchungen lehnt sie auf Nachfrage ab: Aufgrund der laufenden Ermittlungen könne sie hier nicht konkreter werden, sie habe den ermittelnden Behörden Namenslisten vorgelegt. Das zuständige Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) hatte auf Anfrage dieser Zeitung mitgeteilt, dass in den Jahren der bisherigen Zusammenarbeit keine Unregelmäßigkeiten in diese Richtung aufgefallen seien. Ähnlich hatte sich das Jobcenter geäußert, das für 16i-Kräfte zuständig ist. Denn die Anschuldigungen gehen auch dahin, dass 16i-Kräfte am nahen Rundwanderweg – statt an Grünflächen im Ort – gearbeitet hätten, wofür eigentlich Bufdis zuständig sind. Letzteres bestreiten die Verantwortlichen auch nicht. Die Staatsanwaltschaft Siegen führt noch zwei Personen als Beschuldigte: Auf Aussagen der Zeugin aus dem Mitarbeiterkreis hin habe sich ein Anfangsverdacht ergeben, die Ermittlungen wurden aufgenommen und laufen nach wie vor.
3. Vorwürfe von und gegen eine Schlüsselfigur
• Verantwortlichkeit? Den ehemaligen Bufdi stört, dass die frühere Dienststellenleiterin Tamara Schmidt, die an zentraler Stelle für den Arbeitseinsatz der Leute verantwortlich gewesen sei, in der Öffentlichkeit mit schweren Vorwürfen gegen Günther Langer und den Heimatverein auftritt. „Sie war die Chefin, sie hat sich um alles gekümmert“, erzählt der Siegener. Chatverläufe belegen, dass auch er seine Arbeitsanweisungen von Schmidt bekam: „Alle Mitarbeiter haben immer nur das getan, was Tamara ihnen gesagt hat.“ In 90 Prozent der Fälle habe sie die Anweisungen gegeben, nur ganz selten seien Aufträge von Günther Langer gekommen. Was viele nicht verstehen würden: Es gehe um Menschen, die oft absolut ungeeignet für normale Erwerbsarbeit seien – hier bekommen sie eine gewisse Tagesstruktur, eine Aufgabe, das Gefühl gebraucht zu werden, erklärt er: „Wenn die keinen Bock hatten, bin ich halt oft genug alleine gefahren.“ Was Tamara Schmidt der WBG vorwirft, die Menschen gegen ihren Willen eingesetzt zu haben, habe sie selbst getan: „Vor den 16i-Kräften hat sie sich als Chefin aufgespielt, hat die Leute angeschrieen und Abmahnungen geschrieben. Wenn etwas Dringendes anlag und keiner wollte helfen, ist sie runter und hat den Leuten gesagt ‘Du musst jetzt’.“ Tamara Schmidt verweist auf Günther Langer, der federführend gewesen sei in der Einweisung von Mitarbeitern. „Als Personalleiterin habe ich sicher auch Arbeitsanweisungen ausgegeben. In den meisten Fällen, wenn überhaupt notwendig, an die Mitarbeiter in den Sozialkaufhäusern sowie Restaurant und Küche.“ Sie habe auch Fallmanager beim Jobcenter oder das Bundesamt über Fehlverhalten informiert, oder mit Streichung der Taschengelder gedroht, wenn Dienste nicht eingehalten wurden. Dazu gebe es klare Vorgaben der Behörden. Bei Personalführung, Rechten und Pflichten der Beschäftigten sei sie immer grundlegend anderer Meinung gewesen als Günther Langer.
• Ausnutzung? Tamara Schmidt habe die ihr dienstlich unterstellten Arbeitskräfte für ihre privaten Zwecke eingesetzt: „Einmal hat sie neue Gartenmöbel bestellt. Eine 16i-Kraft und ich haben sie dann bei ihr zuhause aufgebaut, während unserer Arbeitszeit“, berichtet der frühere Bufdi. Dafür habe Schmidt ihnen auch Geld gegeben, er finde das persönlich auch gar nicht weiter schlimm. Aber genau solche Unsauberkeiten wirft Schmidt heute öffentlich der WBG vor – „dabei hat sie selber profitiert“, sagt er. Tamara Schmidt bestätigt, im Juni 2020 einen Bufdi und eine 16i-Kraft gefragt zu haben, sie beim Aufbau ihrer Möbel zu unterstützen. Dies habe in der Freizeit aller Beteiligten stattgefunden – freiwillig. Die Männer „haben von mir je 50 Euro als Dankeschön dafür erhalten“.
• Bufdi-Vertrag für sich. Dokumente belegen, dass Tamara Schmidt zehn Monate lang gleichzeitig fest angestellt und Bufdi war. Am 20. Oktober 2019 fing sie als Bufdi an, der Vertrag lief ein Jahr. Ab 1. Januar 2020, nach drei Monaten, wurde sie Dienststellenleiterin, der Bufdi-Vertrag lief weiter. Am 28. September 2020, drei Wochen bevor Schmidts Bufdi-Vertrag endete, beantragte sie, ihn ein halbes Jahr zu verlängern. Das Dokument trägt ihre und Günther Langers Unterschrift. Das zuständige Bundesamt lehnte ab: Sie sei weisungsbefugt, als solches sei es ihr verboten, gleichzeitig Bundesfreiwilligendienst zu leisten. Dieses zu Unrecht erhaltene Bufdi-Geld hat der Heimatverein zwischenzeitlich an das Bundesamt zurückerstattet. Letzteres bestätigt Tamara Schmidt und betont, dass ihr das als vollkommen normale und gängige Vorgehensweise dargestellt worden sei, als sie ins Unternehmen eintrat, das habe sie nicht hinterfragt: Auf diese Weise sollten „die Lohnkosten für das Unternehmen so gering wie eben möglich“ gehalten werden. Als sich die Möglichkeit ergab, ihren Bufdi-Vertrag zu verlängern, habe Günther Langer sie gebeten, das zu tun. Sie habe nicht geahnt, so Schmidt, dass das verboten sei. Die heutige WBG-Geschäftsführung betont: Als „Maßnahmenleitung BfD/AGH“ war Schmidt „nicht irgendeine Angestellte“. Alle Details rund um Bufdi-Verträge seien Kern ihrer Arbeit gewesen. Zudem hätte Tamara Schmidt jederzeit – auch gegen den Willen Günther Langers – die Behörden informieren können, habe aber erst nach dessen Tod diese Anschuldigungen erhoben.
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• Bufdi-Vertrag für andere. Dieser Zeitung liegt zudem auch der Bufdi-Vertrag vor, den Tamara Schmidt für einen Angehörigen beantragte. Unterzeichnet ist dieser auch von Günther Langer. Zur Bufdi-Tätigkeit gehört auch die Teilnahme an sozialpädagogischen Seminaren, für die die WBG gesondert Geld vom Bundesamt bekommt – rund 400 Euro pro Bufdi, pro Seminar. Dokumentiert wird dies durch Unterschriftenlisten, die dieser Zeitung in Auszügen vorliegen. Darunter sind auch die Papiere, mit denen besagtes Familienmitglied von Tamara Schmidt abgerechnet wurde – und vier Bögen, auf denen der Name des Verwandten nachträglich handschriftlich ergänzt wurde. Die Unterschrift fehlt, die handschriftliche Ergänzung stammt Angaben ehemaliger Kollegen zufolge von Tamara Schmidt. Die ehemalige Dienststellenleiterin räumt ein, dass diese Listen nicht in jedem Fall korrekt ausgefüllt wurden. Praxis sei vielmehr gewesen, dass Seminarteilnahmen gegenüber dem Bundesamt voll abgerechnet wurden – für vier Seminartage also rund 1600 Euro -, obwohl einzelne Bufdis nicht erschienen. Tamara Schmidt: „Wie sich das genau in dem von Ihnen beschriebenen Fall verhalten hat, weiß ich aus der Erinnerung nicht, dazu müsste ich die Teilnehmerliste sehen.“ Vermutlich habe die in Rede stehende Person trotz Nichtteilnahme nachträglich unterschrieben. Der Angehörige selbst wolle dazu gegenüber dieser Zeitung keine Stellung beziehen, er habe seinen Vertrag nicht verlängert. Sie betont, dass sie nie ausgesagt habe, „dass ich von all den personellen Mauscheleien und Betrügereien nichts wusste. Im Gegenteil, ich habe mich sogar selber so stark belastet, dass man mir empfohlen hat, mir einen rechtlichen Beistand zu suchen.“ Allerdings sei ihr Wissen nur auf geschätzt 20 bis 25 Prozent des gesamten Umfangs beschränkt.
Epilog: „Es will mir nicht in den Kopf, dass dafür ein Mensch gestorben ist“
Der junge Achenbacher hat nach seiner Bufdi-Zeit eine gute Arbeitsstelle gefunden, daher möchte er auch anonym bleiben. „Ob man sich bereichern oder Menschen helfen will – das ist ein Unterschied“, findet er. „Wenn, dann ist ist da nie etwas falsch gelaufen, um anderen zu schaden“, sondern um anderen zu helfen. „Bitte hört nicht auf, den Heimatverein zu unterstützen, mit Geld- und Sachspenden, mit Arbeit“, sagt er. „Da hängen extrem viele Menschen dran, die sonst keine Perspektive im Leben haben. Diese Sache schadet einfach nur allen. Es will mir nicht in den Kopf, warum manche sich so profilieren wollen. Es will mir nicht in den Kopf, dass dafür ein Mensch gestorben ist.“
Anmerkung der Redaktion: Aufgrund der hohen Nachahmerquote berichten wir in der Regel nicht über Suizide oder Suizidversuche, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Wenn Sie selbst unter Stimmungsschwankungen, Depressionen oder Selbstmordgedanken leiden oder Sie jemanden kennen, der daran leidet, können Sie sich bei der Telefonseelsorge helfen lassen. Sie erreichen sie telefonisch unter 0800/111-0-111 und 0800/111-0-222 oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de. Die Beratung ist anonym und kostenfrei, Anrufe werden nicht auf der Telefonrechnung vermerkt.