Siegen. Der Sozialpsychiatrische Dienst in Siegen-Wittgenstein rückt vermehrt zu Kriseninterventionen aus. Akute Psychosen nehmen laut Leiterin zu.

Die Zahl der Notfälle beim Sozialpsychiatrischen Dienst (SPDI) des Kreises Siegen-Wittgenstein ist gestiegen: Immer häufiger müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu sogenannten Kriseninterventionen ausrücken. Von 2019 auf 2020 habe sich die Zahl verdoppelt, auch von 2020 auf 2021 sei die Zahl gestiegen, erläutert Simone van Overloop, Leiterin des SPDI. Bei einer Krisenintervention gehe es „jemandem akut sehr, sehr schlecht“. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des SPDI müssten „ad hoc dorthin“. Nicht selten handelt es sich um akute Suizidgefährdungen.

Psychische Krisen in Siegen-Wittgenstein: Welche Rolle spielt Corona?

„Corona schlägt uns inzwischen allen auf das Gemüt“, sagt Simone van Overloop. Menschen mit psychischen (Vor-)Belastungen haben damit mitunter noch stärker zu kämpfen. Inwieweit die Pandemie aber dafür sorgt, dass es mehr Anfragen beim SPDI gibt, sei schwer zu beurteilen, so Simone van Overloop. Man könne einen Zusammenhang „mehr oder weniger vermuten“.

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Menschen hätten in Corona-Zeiten Depressionen und Ängste entwickelt, aber nicht alle suchten sich auch Hilfe. „Die Dunkelziffer ist deutlich höher.“ Diejenigen, die beim SPDI Hilfe suchen, würden vermehrt von Einsamkeit berichten. „Viele Angebote, die ihnen Tagesstruktur geben, werden nicht angeboten“, erklärt Simone van Overloop. In Corona-Zeiten sei vieles nicht möglich, nicht jede Begegnungsstelle geöffnet.

Siegen-Wittgenstein: Was sind die Krankheitsbilder beim Sozialpsychiatrischen Dienst?

Angst- und Panikstörungen haben Depression als Volkskrankheit Nummer 1 mittlerweile den Rang abgelaufen. Vermehrt stellt der SPDI jetzt auch akute Psychosen fest, berichtet Simone van Overloop. „Das ist zumindest meine Sicht.“ Auch kämen gleichzeitig mehr junge und ältere Menschen auf das SPDI-Team zu, bei ersteren komme es häufiger zu Suchtproblematiken, bei zweiteren zu dementiellen oder anderen altersbedingten psychischen Erkrankungen.

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Viele der SPDI-Hilfesuchenden hätten aber häufig nicht nur eine Diagnose, erläutert Simone van Overloop. Die wenigsten würden ihre Krankheit auch selbst benennen. Bezeichnet sich jemand als „depressiv“, fragt der SPDI nach, woran der oder die Betroffene das festmacht. „Jeder stellt sich darunter etwas Anderes vor“, sagt die 54-Jährige. Daher gelte es, die Verhaltensweisen und Ängste des oder der Einzelnen herauszufinden.

Siegen-Wittgenstein: Wer sucht Hilfe bei psychischen Krisen?

„Das Umfeld der Betroffenen meldet sich häufiger.“ Familienmitglieder, Freunde, Nachbarn, Arbeitgeber bemerken Probleme oder Veränderungen, wollen helfen oder die jeweilige Krankheit besser verstehen.

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Aber auch viele Betroffene melden sich von sich aus. Der SPDI steht jedem Menschen offen – ob als direkt Betroffener, Freund oder Familienangehöriger.

Sozialpsychiatrischen Dienst: Wer hilft beim Sozialpsychiatrischen Dienst?

14 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern sich beim Sozialpsychiatrischen Dienst des Kreises Siegen-Wittgenstein um Beratung, Betreuung und Kriseninterventionen, darunter mehrere Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, eine Psychiaterin und eine Psychiatriekoordinatorin.

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Sie erfragen, welcher Hilfebedarf benötigt wird und vermitteln Hilfe. Der SPDI kann dabei auf ein großes Netzwerk zurückgreifen. Dazu gehören zum Beispiel der Regionale Sozialdienst (RSD), die Kreispolizeibehörde, das Kreisklinikum, die verschiedenen Träger der Eingliederungshilfe, Fachärzte und viele mehr.

Siegen-Wittgenstein: Was passiert im Notfall beim Sozialpsychiatrischen Dienst?

Kommt es zu einem Notfall, sprich einer Krisenintervention, reagiert der SPDI sofort und fährt zu dem oder der Hilfesuchenden. „Vor Ort sprechen wir dann darüber, warum jemand in einer Krise steckt und was dazu geführt hat“, erläutert Simone van Overloop. Bei einer akuten Suizidgefährdung muss genau geprüft werden, dass der jeweilige Betroffene sich selbst oder andere nicht gefährdet.

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Manche müssen in ein Krankenhaus eingewiesen werden, andere sind wiederum „absprachefähig“. Das heißt, der oder die Betroffene verspricht, dass er keinen Suizid begehen wird. Einen Tag nach der Krisenintervention sucht der SPDI ihn oder sie dann erneut auf. Und natürlich wird auch danach die Versorgung sichergestellt.

Sozialpsychiatrischer Dienst Siegen: Wie geht das Team mit der Belastung um?

Es sind enorm aufreibende und belastende Situationen, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des SPDI mitunter erleben. Supervisionen, kollegiale Beratungen und die Möglichkeit, jederzeit mit der Psychiaterin oder der SPDI-Leiterin sprechen zu können, stellen sicher, dass es aufseiten des Teams zu keiner psychischen Überlastung kommt. „Wir sind im ständigen Austausch“, sagt Simone van Overloop.

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Das Team möchte den Hilfesuchenden ein gesundes und selbstbestimmtes Leben ermöglichen, bedingungslos und auf freiwilliger Basis. „Die Dankbarkeit bei den Menschen ist sehr groß“, sagt Simone van Overloop. „Das ist das Schöne an dem Job.“

Die SPDI-Leiterin wünscht sich, dass es ein größeres Verständnis für Menschen mit psychischen Erkrankungen in der Gesellschaft gibt, die Erkrankung wie ein Beinbruch oder ein Herzinfarkt gewertet würde. „Sie sollte nicht mehr so schambelastet sein.“

Wenn Sie selbst depressiv sind und Selbstmord-Gedanken haben, kontaktieren Sie bitte die Telefonseelsorge über die kostenlose Hotline 0800/111 01 11 oder 0800/111 02 22. Hilfe für Menschen, die unter Depressionen leiden, gibt es außerdem auch beim Bündnis gegen Depression unter: 0271/333 2808.

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