Siegen. Zentrale Botschaft des ersten Mental Health Festivals am Samstag in Siegen: Niemand soll sich für eine psychische Erkrankung schämen müssen.
Betroffene leiden nicht nur unter ihrer Erkrankung. Mehr ist es ja eigentlich nicht – und auch nicht weniger – aber wenn die Seele krank ist, kommt die Stigmatisierung fast immer wie von selbst. Arm gebrochen, Rücken verknackst, Kopf gestoßen? „Ach, Du Arme.“ Depression, Borderline, Schizophrenie? „Reiß Dich doch zusammen“ ist da noch eine harmlosere Reaktion; wessen Seele krank ist, den würden nicht wenige schnell in die Psychiatrie schicken.
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Psychische Erkrankungen sind Volkskrankheiten, wie Diabetes oder Übergewicht; eine steigende Anzahl Menschen lebt damit. Und müssen sich sehr oft verstellen, nach außen so tun als seien sie gesund, als gehe es ihnen gut, damit sie weiterhin akzeptiert werden, in der Gesellschaft, bei der Arbeit, sogar in der Familie. Bis sich das ändert, sind noch viele dicke Bretter zu bohren – das NRW-weit erste „Mental Health Festival“, das am Samstag, 3. September, in Siegen stattfindet, rückt genau dieses Problem in den Fokus: Das Betroffene nicht nur eine Krankheit haben, sondern dass ihre Krankheit oft gar nicht als solche akzeptiert wird. Jedenfalls nicht so, wie es zum Beispiel Morbus Crohn, Multiple Sklerose oder Hirnhautentzündung sind.
Siegen ist mit dem Mental Health Festival „endlich mal Vorreiter“
Jedem geht es mal seelisch schlecht, sagen die Veranstalter – Bündnis gegen Depression Olpe-Siegen-Wittgenstein, Siegener Mental-Health-Aktivistin Steffi und Wendener Band TIL – und wer psychisch erkrankt ist, dem geht es sehr viel öfter schlecht. Und das ist okay. Sie wollen psychische Krankheiten aus der Tabuzone holen, darüber reden; erklären wie sich das anfühlt. Betroffene sollen auf andere Betroffene treffen, ihnen soll ein sicherer Raum geboten werden, in dem sie so angenommen werden, wie sie sind. Wo sie sich nicht verstellen müssen. Wo es ihnen einfach scheiße gehen darf.
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Es ist bereits etwas in Bewegung geraten, das zeigen viele Künstler und Aktivisten, wie zum Beispiel Steffi, die die sozialen Medien nutzen, um aufzuklären, das Tabu offen ansprechen, die richtigen Worte finden: Ich bin psychisch krank. So geht es mir damit. Sich auf die Bühne stellen, so wie TIL, die Bandmitglieder haben alle auf die eine oder andere Weise Erfahrungen mit psychischen Krankheiten und thematisieren das auch in ihren Liedern. Oder die, die im Fernsehen sagen: Ja, ich bin ein lustiger Typ. Und ich habe Depressionen. So wie Torsten Sträter, der in nicht nur einer beeindruckenden Sendung mit Kurt Krömer über die Erkrankung sprach und sehr authentisch erklärte, wie sich das anfühlt. Und dass „Lach doch mal“ kein Satz ist, der in irgendeiner Weise weiterhilft.
Der Umgang verändert sich und das Festival am Samstag ist Ausdruck dessen und kann sicher dazu beitragen, dass es Betroffenen künftig wenigstens etwas leichter fällt, auch in ihrem Alltag mit ihrer Krankheit umzugehen. „Siegen ist endlich mal Vorreiter“, sagt Aktivistin Steffi. Alle Beteiligten machen ehrenamtlich mit, damit der Eintritt kostenlos ist; alle, die zum Programm beitragen, verzichten auf Gage – auch die Band TIL, der Erlös der Ticketverkäufe für ihr Konzert (einziger Programmpunkt, der nicht kostenfrei ist) kommt dem Festival zugute. Sie stellen als Headliner ab 20.15 Uhr in der BlueBox auch Auszüge ihres neuen, zweiten Albums „L.A.U.T“ (Liebe, Anarchie und Träume) vor, das am 30. September erscheint. Diese drei Themen prägen die Stücke, die Musik bezeichnet die Band als „frischen Pop-Punk mit HipHop-Beats und harten Synthies“. Erhältlich über www.til-official.de.
Das Programm des Siegener Mental Health Festival rund um die BlueBox
Einlass: 13.30, Start um 14 Uhr mit Auftritt „MAZ’N“ (Piano, Gesang), bei gutem Wetter viel draußen. Vorstellung des Bündnis’ gegen Depression mit Katharina Stocks-Katz und den Moderatorinnen Anna Weimer, die den Podcast „Mit dem Herzen voraus“ betreibt, und Charlin Sophie Lüttger vom Bruchwerk-Theater. „Es war uns wichtig, dass auch die Moderation Menschen übernehmen, denen das eine Herzensangelegenheit ist“, sagt Steffi.
15.20 Uhr: Gefährten mit Bärten – männliche Stereotype und Ideale: Wie wirken sie sich auf die seelische Gesundheit aus? „Bei Männern ist die Hürde oft noch höher, über psychische Erkrankungen zu sprechen, es wird noch mehr als Schwäche ausgelegt, ist noch stigmatisierter“, so Steffi.
15.50 Uhr: Kurzvideos „Frag einen Betroffenen“, ein Format von @erfolgreich_durchgeknallt, die Aktivistin stellt sich, ihre Arbeit und Ziele vor.
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16.25 Uhr: „Ex In“-Genesungsbegleiter Reiner Stephan stellt seine Geschichte und seine Arbeit vor: Der frühere Polizist ist selbst psychiatrieerfahren, arbeitet vor diesem Hintergrund inzwischen als Fachkraft mit anderen Betroffenen. „Aus Lehrbüchern und vom Dabeisein weiß ich nicht, wie sich eine Psychose anfühlt“, umreißt Katharina Stocks-Katz das Konzept – Reiner Stephan schon, „er kann ganz anders arbeiten“.
Das Yoga Kollektiv Siegen bietet im Freien Yoga an, der Verein Stylefiasko eine Graffiti-Aktion – das Festival-Logo wird mit allen die Lust haben gesprüht. Dazu legen die DJs „Rambo No. Seven“ und „Klavus“ auf.
18 Uhr: Es geht drinnen weiter mit dem Theater „Die üblichen Verdächtigen“ sowie insgesamt zehn Poetry-Slammern mit Lyrik und Texten zum Thema Mental Health. Damit endet das Tagesprogramm.
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20.15 Uhr: Konzert von TIL – Schlagzeuger Jona Boubaous kündigt viele befreundete Künstler für den Auftritt an. Ende: 22.15 Uhr.