Siegen. Als Horst Löwenberg beim Paritätischen einstieg, waren Themen wie Aids und Gewalt gegen Frauen eher lästig. Nicht nur das hat sich geändert.
Der Paritätische? Horst Löwenberg verweist auf das Gleichheitszeichen im Logo, um den Wohlfahrtsverband mit dem Fremdwort im Namen zu beschreiben. Und auf den Slogan, in dem die Wörter „offen“, „vielfältig“ und „tolerant“ vorkommen.
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Der Paritätische ist in Siegen-Wittgenstein das Dach von Lebenshilfe und Studierendenwerk, von Aidshilfe und Mädchen in Not, vom Verband alleinerziehender Väter und Mütter und der Alternativen Lebensräume, vom Mobilen Musiktreff mit seinem Rockmobil und von Invema mit seinem Angebot zur Integration von Menschen mit Behinderung. Ein bunt gemischter Verband mit 61 ganz großen und sehr kleinen Organisationen, die 162 soziale Angebote in Siegen-Wittgenstein und Olpe machen.
Von ALF bis Invema: Viele Wurzeln im Ehrenamt
Horst Löwenberg hat in den letzten Tagen öfter Anlass gehabt, seinen Kreisverband zu beschreiben – er hört nämlich auf. 26 Jahre lang war der heute 65-Jährige Geschäftsführer der Kreisgruppe Siegen-Wittgenstein; im Rahmen einer Fachveranstaltung in der Siegerlandhalle ist er jetzt in den Ruhestand verabschiedet worden.
„Viele unserer Organisationen sind rein ehrenamtlich entstanden“, erinnert Horst Löwenberg. Und sie vertraten Themen, die keineswegs schon in der Mitte der Gesellschaft angekommen waren. Nicht die Betreuung der kleinen Kinder unter drei Jahren, um die sich Elterninitiativen kümmerten, als die großen Träger dort mangels Finanzierung noch nicht unterwegs sein konnten. Nicht die Unterstützung von HIV-Infizierten und Aids-Kranken, nicht die Unterstützung von Mädchen, die Opfer von sexueller Gewalkt wurden. „Das wollte man nicht hören.“
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Einige Mitgliedsorganisationen, wie zum Beispiel die Lebenshilfe und ihre Wohnstätten für Menschen mit geistiger Behinderung, waren schon lange groß. Andere wurden es im Laufe der Jahrzehnte. Wie zum Beispiel ALF, ursprünglich ein Selbsthilfeprojekt für von Wohnungslosigkeit betroffene Frauen, heute darüber hinaus auch Träger von Kitas und Second-Hand-Läden („Alibaba“). Oder die Ausländerhilfe, die längst „Verein für soziale Arbeit und Kultur Südwestfalen“ heißt und in Siegen und darüber hinaus auch den offenen Ganztag an Grundschulen betreut.
Auseinandersetzungen um Geflüchtete und Psychiatrie
Horst Löwenberg ist 1979 zum Studium der Sozialpädagogik nach Siegen gekommen – und geblieben. Nach zehn Jahren im Hilchenbacher Haus Keppel, das damals als Bildungsstätte vom evangelischen Kirchenkreis betrieben wurde, wechselte der gebürtige Alzeyer 1996 zum Paritätischen, der sich früher „Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband“ nannte und „DPWV“ abkürzte. Der Verband mit seiner kleinen Zwei-Personen-Geschäftsstelle, die von Siegen aus inzwischen auch die Mitglieder im Märkischen Kreis betreut, unterstützt – mit den Fachbereichen des Landesverbandes im Rücken – die Vorstände der Mitgliedsvereine und leistet Lobbyarbeit.
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Horst Löwenberg hat das nicht nur beruflich getan, sondern auch in seiner Freizeit: Er war für die Grünen Ratsmitglied in Siegen und Kreistagsmitglied. „Ich war immer gern unterwegs und auch relativ laut“, gibt er zu und nennt beispielhaft die Auseinandersetzungen um gemeindenahe Psychiatrie und um Wohngruppen für die Betroffenen – nicht, dass jemand dagegen gewesen wäre: Es ging, wie so oft in der Sozialpolitik, um die Frage, wer die Kosten trägt: „Das waren extreme Kämpfe.“ Nicht anders war das, als die Sozialämter dazu übergingen, Geflüchteten statt Bargeld Gutscheine auszuhändigen, die sie an den Kassen der Lebensmittelmärkte für festgelegte Waren einlösen durften. Der Paritätische unterstützte in Siegen Initiativen, die Gutscheine aufzukaufen und den Asylsuchenden diese entwürdigende Prozedur zu ersparen.
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Gemeinnützigkeit gegen „Verbetriebswirtschaftlichung“
Zu seinem Abschied richtete der Paritätische eine Fachtagung zur Kampagne „Vorfahrt für Gemeinnützigkeit“ aus. Die sieht auch Horst Löwenberg – wie der ganze Verband – in Gefahr: Auf der einen Seite Konzentrations- und Professionalisierungsprozesse, die es heute kleinen Initiativen schwer bis unmöglich machen, mit einem ehrenamtlichen Vorstand zum Beispiel eine Kita zu gründen. Und auf der anderen Seite das Vordringen privatwirtschaftlicher Träger in die einstige Domäne der Gemeinnützigen, als Betreiber von Krankenhäusern, Pflegediensten, Jugendhilfeeinrichtungen. Horst Löwenberg spricht von der „Verbetriebswirtschaftlichung“ sozialer Arbeit. „Das ist nicht das, was ich mir wünsche.“
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Spaltung der Gesellschaft droht
Felix Dornhöfer ist der Neue in der Geschäftsstelle an der Haardter Brücke in Weidenau. Der 29-jährige Netphener ist studierter Sozialarbeiter, hat Lehraufträge an Hochschulen wahrgenommen und ist 2021 zum Paritätischen Landesverband nach Wuppertal gekommen, wo er beim Landesvorstand Referent für Grundsatzfragen war. Horst Löwenberg gibt ihm die Aussicht auf anstrengende Monate mit: „Die drohende Spaltung der Gesellschaft wird uns beschäftigen.“ In Iserlohn, so berichtet er, wird schon über die Einrichtung von Wärmestuben gesprochen. Die Energiekosten, so seine Sorge, werden die Träger von Einrichtungen überfordern: „Man kann im Altenheim nicht die Heizung auf 19 Grad runterdrehen.“
Felix Dornhöfer sieht weitere Themen auf der Agenda: den Umgang mit dem Fachkräftemangel. Und Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Themen für große und kleine Mitglieder, die alle gleich viel zu sagen haben – auch dafür steht der Anspruch auf Parität.
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