Siegen. Festival für seelische Gesundheit in Siegen: „Lass ma’ mehr über Psyche reden“: Raus aus der Tabuzone – jedem geht’s mal scheiße. Das ist geplant
Das erste „Mental Health Festival“ in NRW, ein Festival für die seelische Gesundheit, für Jugendkultur, für Diversität – und es findet in Siegen statt. „Wie geil ist das bitte“, sagt Mitveranstalterin Steffi, „Siegen ist endlich mal Vorreiter.“ Samstag, 3. September, steigt an und in der BlueBox die Benefizveranstaltung, Motto „Lass ma mehr über Psyche reden“ – um genau das zu tun: Psychische Krankheiten in den Mittelpunkt rücken, darüber reden, das Tabu aufbrechen.
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Veranstalter sind das Bündnis gegen Depression Olpe-Siegen-Wittgenstein, die Siegener Mental-Health-Aktivistin Steffi und die Band TIL aus Wenden. Außer für das Konzert der Band in der Blue-Box-Konzerthalle ist der Eintritt frei – und auch der Erlös der Ticketverkäufe wird fürs Festival verwendet.
Die Idee: Wie es zum ersten Mental Health Festival in Siegen gekommen ist
Seit Jahren veranstaltet das Bündnis gegen Depression die Mutmach-Wochen, mit Lesungen, Aktionen, Infoveranstaltungen. Auch auf Social Media wurde man aktiv – „und da bin ich auf Steffi getroffen“, erinnert sich Katharina Stocks-Katz, Psychiatriekoordinatorin beim Kreisgesundheitsamt und Bündnis-Sprecherin. Die Siegenerin Steffi ist mit ihrem Account „@erfolgreich_durchgeknallt“ vor allem auf Instagram aktiv und erfolgreich, setzt sich für die Entstigmatisierung psychischer Krankheiten ein. Schnell war die Idee für ein Festival da, die Planungen schritten voran, Motto „einfach mal machen, könnte gut werden“, die Ideen und Kontakte sprudelten nur so – etwa zur Wendener Band TIL, die sofort begeistert war. Das erste Album von 2021 heißt „Generation Depression“ – passte hervorragend.
BlueBox-Leiter Frank Kimpel sagte auch direkt zu – die Erfahrung des Teams mit Konzerten und Veranstaltungen hilft sehr, sie unterstützen mit Beschäftigten und Technik. Für ein Festival mit Bezügen zur Jugendkultur ist die BlueBox ohnehin sehr geeignet – zentral gelegen, gut erreichbar, eigentlich immer etwas los und direkt neben dem belebten Bertramsplatz, um mehr Menschen spontan zu erreichen.
Das Netzwerk der persönlichen Kontakte aus der Veranstaltergemeinschaft ist groß, immer mehr Akteure, Ehrenamtliche kamen dazu, gerade via Social Media. Katharina Stocks-Katz arbeitet seit 20 Jahren im Beruf, erinnert sich an Zeiten, in denen psychische Krankheiten ein absolutes Tabuthema waren. Das hat sich geändert – aber da gehe auch noch einiges: „Mit diesem Festival können wir wirklich etwas auf den Weg bringen.“
Das Konzept des Siegener Mental Health Festival: Alle, alle sind ehrenamtlich dabei
„Ich kann nur immer wieder den Hut ziehen, wie schnell sich die Akteure begeistern ließen“, freut sich Stocks-Katz – ein Festival organisieren ist enorm aufwendig. Alle, alle Beteiligten, darunter viele Betroffene, sind ehrenamtlich dabei, ohne Geld, Gage, Aufwandsentschädigung, für die gute Sache, die ihnen am Herzen liegt. „Toll, dass sie diesen Mut zeigen und das auch belohnt wird!“, freut sich Katharina Stocks-Katz. Allein aufgrund des Zuspruchs, dass sich so viele mitreißen ließen, aufgrund der unbedarften Herangehensweise, sei das Festival schon jetzt ein Erfolg.
Ohne die Psychiatriekoordinatorin „wären wir ziemlich aufgeschmissen“, lobt Aktivistin Steffi – „wir machen einfach und halten uns an keine Regeln – wenn sie uns nicht immer mal drauf hingewiesen hätte, ständen wir heute ohne Festival da.“ Die Veranstaltung ist offen für alle, egal wer und wie sie sind und welches Gepäck sie mitbringen. Ein Safe Space, ein sicherer Ort, für Betroffene; wo alle sein können, wie sie sind und genauso akzeptiert werden. „Niemand soll sich für seine psychische Erkrankung schämen, nur als Diagnose gesehen werden“, so Steffi, die offen mit ihrer Borderline-Erkrankung umgeht. Es sei völlig ok, sich Hilfe zu holen – das tue man beim Bandscheibenvorfall ja schließlich auch. Und zwar sofort und nicht irgendwann, wenn es zu spät ist.
Beim Mental Health Festival sind alle so willkommen wie sie sind – ein Safe Space
Das Thema ist uns schon lange wichtig“, sagt TIL-Schlagzeuger Jona Boubaous. Die Band befasst sich auf ihrem Album intensiv damit, „wir sind auch selbst Betroffene“, sagt er. Sie wollen zeigen, dass jeder Probleme und dunkle Momente hat, gerade im Social-Media-Zeitalter, in dem immer nur die besten Seiten und Momente gezeigt werden. „Uns allen geht es mal nicht gut und es ist völlig ok, darüber zu sprechen.“ Die Reaktionen der Fans seien klar: Die Musiker sprechen vielen aus der Seele, „es tut gut, darüber zu reden oder zu hören, dass eine Band, die du magst, darüber singt“, sagt Boubaous. Austausch helfe sehr, auch auf der Bühne. „Das geht überall auf dem Festival, ohne dafür verurteilt zu werden.“
„Alle können noch etwas beitragen und Ideen einbringen, wenn wir etwas übersehen haben“, sagt der Musiker – die Idee eines Rückzugsraums zum Beispiel wurde schon ergänzt. Das Bündnis, ein Zusammenschluss von Akteuren der sozialpsychiatrischen Versorgung, wird mit Profis vor Ort sein, um nach den Gästen zu schauen, kündigt Katharina Stocks-Katz an: „Wir lassen keinen gehen, bei dem wir das Gefühl haben, wir müssten zumindest mal kurz reden.“ Und wenn es nur mal eine Runde um den Block ist oder einen Termin für später vereinbaren. Infostände sollen die Hemmschwellen ebenfalls senken, die Psychiatrie als solche sich präsentieren, um vom Image der Menschen in weißen Kitteln loszukommen, das mit der Realität so gar nicht übereinstimme, betont sie: „Alle begegnen sich hier auf Augenhöhe, wir sind alle gleich.“
Das Programm des Siegener Mental Health Festival
Einlass: 13.30, Start um 14 Uhr mit Auftritt „MAZ’N“ (Piano, Gesang), bei gutem Wetter viel draußen. Vorstellung des Bündnis’ gegen Depression mit Katharina Stocks-Katz und den Moderatorinnen Anna Weimer, die den Podcast „Mit dem Herzen voraus“ betreibt, und Charlin Sophie Lüttger vom Bruchwerk-Theater. „Es war uns wichtig, dass auch die Moderation Menschen übernehmen, denen das eine Herzensangelegenheit ist“, sagt Steffi.
15.20 Uhr: Gefährten mit Bärten – männliche Stereotype und Ideale: Wie wirken sie sich auf die seelische Gesundheit aus? „Bei Männern ist die Hürde oft noch höher, über psychische Erkrankungen zu sprechen, es wird noch mehr als Schwäche ausgelegt, ist noch stigmatisierter“, so Steffi.
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15.50 Uhr: Kurzvideos „Frag einen Betroffenen“, ein Format von @erfolgreich_durchgeknallt, die Aktivistin stellt sich, ihre Arbeit und Ziele vor.
16.25 Uhr: „Ex In“-Genesungsbegleiter Reiner Stephan stellt seine Geschichte und seine Arbeit vor: Der frühere Polizist ist selbst psychiatrieerfahren, arbeitet vor diesem Hintergrund inzwischen als Fachkraft mit anderen Betroffenen. „Aus Lehrbüchern und vom Dabeisein weiß ich nicht, wie sich eine Psychose anfühlt“, umreißt Katharina Stocks-Katz das Konzept – Reiner Stephan schon, „er kann ganz anders arbeiten“.
Das Yoga Kollektiv Siegen bietet im Freien Yoga an, der Verein Stylefiasko eine Graffiti-Aktion – das Festival-Logo wird mit allen die Lust haben gesprüht. Dazu legen die DJs „Rambo No. Seven“ und „Klavus“ auf.
18 Uhr: Es geht drinnen weiter mit dem Theater „Die üblichen Verdächtigen“ sowie insgesamt zehn Poetry-Slammern mit Lyrik und Texten zum Thema Mental Health. Damit endet das Tagesprogramm.
20.15 Uhr: Konzert von TIL – Jona Boubaous kündigt zahlreiche befreundete Künstler für den Auftritt an. Ende: 22.15 Uhr.