Deuz. Die Qulturwerkstatt ist schon ein Leuchtturm für die Region, während sie noch entsteht. „Wie macht ihr das?“, will die SPD bei ihrem Besuch wissen.
Vor dem Haus steht ein Container, der sich langsam mit Bauschutt füllt. Langsam, weil die Leute von der Qulturwerkstatt eigentlich nichts wegwerfen wollen – gerade haben sie die Tore an den Mann gebracht, die nicht mehr gebraucht werden, weil das Gebäude dahinter einer Veranda Platz macht. Hinter dem Haus, in dem großen Garten, neben dem über 100 Jahre alten Apfelbaum, steht ein Pavillon mit Zeltdach, in dem Kaffeegesellschaften Platz nehmen. Jeden Mittwoch ist hier von 15 bis 17 Uhr offen. „Work in Progress“ nennt Stefan Bünnig dieses Leben auf der Baustelle, in der längst schon so viel stattfindet: Cafés für Eltern mit Kindern, für Junge und Alte, Workshops des Theater-Qlubs oder zum Team-Building, Imkerei, vorerst einmal mit nur einem Bienenvolk, aber schon ein paar verkaufbaren Gläsern Honig...
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Schon zwei Sterne bei der Südwestfalen-Regionale
„Wie macht ihr das?“, fragt Manfred Heinz. Der SPD-Fraktionsvorsitzende, der mit weiteren Fraktionsmitgliedern vor dem Haus in der Zaunstraße angekommen ist, will das wirklich wissen. Denn eigentlich, so räumt Manfred Heinz ein, sei Netphen eher ein weißer Flecken auf der Kultur-Landkarte des Siegerlandes, erst recht, was die Aufgeschlossenheit für ein weiter gefasstes Verständnis von Kultur angeht: „Es gibt sehr wenig wirklichen Willen zum Engagement.“ Zumindest im Dunstkreis der Kommunalpolitik, nicht jedoch bei dem Projekt in Deuz: Das ist mittlerweile, auf Augenhöhe mit dem millionenschweren Bunker-Siegerlandmuseum-Dependance-Vorhaben in Siegen, mit bereits zwei Regionale-Sternen einer der Leuchttürme des Strukturförderungsprogramms.
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Am Anfang war ein „Pantoffelkino“ in Salchendorf
Sie haben einfach gemacht. „Wir haben einen Ort gesucht, wo wir arbeiten können", erzählt Stefan Bünnig, „aber nicht nur für uns allein.“ Wir – der Filmemacher Stefan Bünnig und die Theaterpädagogin Giulia Gendolla, die nach Salchendorf gezogen waren und eigentlich erst einmal nur nach einer Garage Ausschau gehalten hatten. „Wir haben dann zu Hause einen Kinoabend gemacht.“ Beim „Pantoffelkino“ wurde die Idee öffentlich – und Gabriele Schlemper, ebenfalls Salchendorferin, reagierte: Wohnung und Garten in der Zaunstraße waren nach dem Tod ihres Vaters ungenutzt. Der Platz für das Q war gefunden. 2019 gründete sich der Verein, bewarb sich erfolgreich für die Förderung als einer der ersten „Dritten Orte“ im Land, im Verwaltungsdeutsch ein Förderprogramm für den ländlichen Raum „zur Verbesserung der kulturellen Infrastruktur“. Auf die Konzeptphase folgte die Umsetzungsphase, die Ende 2023 abgeschlossen sein soll.
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Das „Q“ ist der Anbau an eines der ganz alten Häuser aus dem Deuzer Ortskern: 1969 wurde dort die Schreinerei errichtet, die eigentlich neben der Qulturwerkstatt weitergeführt werden sollte, nun aber nach dem Umzug des Betriebs in einen eigenen Neubau doch frei wird. Stefan Bünnig zeigt, wie hier vorn das Werkstattcafé und hinten Bühne und Veranstaltungsraum eingerichtet werden. Das Mobiliar dafür hat eine Szenenbildnerin konzipiert: Tisch- und Stuhl-Module können bei Bedarf zu einer Werkbank zusammengeführt werden, die Werkbank selbst wird eine neue Funktion als Theke bekommen.
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Netzwerk mit Schulen und Vereinen
Flexible Nutzung der Räume bietet sich an bei all dem, was hier passieren kann: „Bewegungsangebote für Körper und Geist“, fasst Stefan Bünnig das Spektrum von Lesung und Film bis zu Yoga-Stunden zusammen. Im Veranstaltungsraum oben kann ein Film- oder Theaterworkshop stattfinden, der von einer anderen Gruppe in der Küche nebenan mitbekocht wird. Viele verschiedene Menschen sollen zusammenkommen – und vor allem selber machen. Nach und nach entsteht ein Netzwerk zu Schulen, Kitas, Jugendtreffs, Vereinen und anderem Kulturveranstaltern. „Wichtig ist, dass junge Menschen mitgestalten. Da darf es keine Zugangshürden geben.“
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Die Qulturwerkstatt ist nicht nur im Q. Angebote sind überall in der Stadt möglich, und auch darüber hinaus. „Wir denken da schon sehr groß“, sagt Gabriele Schlemper, die selbst im Vorstand des Vereins mitarbeitet. Neulich war das Q in Salchendorf, zusammen mit dem Jugendtreff gab es einen Graffiti-Workshop – am Objekt eines neu gestalteten Stromkastens. Gerade erst ist ein Kunstwerk des Siegener Urban Art Festivals siegaufwärts in den Deuzer Bühlgarten gewandert, begleitet von Fahrradtour und Picknick. Der Beginn eines Kulturpfades durch das Netpherland? „Die Liste an Ideen ist schon sehr lang“, sagt Stefan Bünnig.
Jetzt geht es um die Förderung nach 2023
Das Haus in Deuz hat Vorrang: Rück- und Aufbau sollen bis September 2023 fertig sein. Bis dahin wird der Verein nicht nur Netzwerkpartner für das Programm gewinnen, sondern auch Förderer für das Haus suchen. Unternehmen könnten daran Interesse finden, hofft Stefan Bünnig; „Unternehmen brauchen Leute, und wir bieten ein Stück Lebensqualität für alle Altersschichten.“ Bis Ende 2023 zahlt das Land, danach sollen die Dritten Orte flügge sein. „Wir müssen versuchen, unterschiedlichste Fördertöpfe anzuzapfen.“ Viel Arbeit wird ehrenamtlich geleistet, im Café, beim Vorlesen für Kinder, zum Beispiel. Für die Websiten-Betreuung und die Verwaltung werden Spezialisten gebraucht. „Das ist nicht komplett ehrenamtlich zu stemmen“, sagt Stefan Bünnig. Derzeit kann der Verein zwei halbe bezahlte Stellen besetzen.
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Die Gäste von der SPD verabschieden sich aus dem Qarten. Die Sache mit dem Q: Nein, antwortet Stefan Bünnig auf die Nachfrage von Manfred Heinz, der selbst Lehrer war, da habe sich noch niemand beschwert. Auch Kinder und Jugendliche wüssten, dass „Kultur“ außerhalb der Q nach wie vor mit „K“ geschrieben wird, „Küche“ und „Klo“ auch. Und der „Garten“ mit „G“ und „Café“ mit „C“. Man habe halt einen Unterschied machen wollen. Für den bot sich der 17. Buchstabe des Alphabets an. Der übrigens auch den Vereins-Jahresbeitrag bestimmt: 17 Euro.
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