Siegen. Um den Folgen des Klimawandels zu begegnen, brauchen deutsche Städte Strategien. Ein Pilotprojekt entwickelt diese für Siegen. Das ist der Stand.

Vor etwa einem Jahr entwickelte sich in Bad Neuenahr-Ahrweiler aus der idyllischen Ahr ein reißender Fluss, der 133 Menschen das Leben kostete. Im Siegerland fiel das Hochwasser im selben Zeitraum vergleichbar harmlos aus. Ist die Siegener Infrastruktur also besser gegen die Folgen des Klimawandels geschützt? „Es war eine reine Glückssache“, so die ernüchternde Diagnose von Dr. Andreas Kaiser von der Koordinierungsstelle Klima, Energie und nachhaltige Regionalentwicklung in Siegen.

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Nur weil das Starkregengebiet knapp nordwestlich vorbeigezogen ist, sei ein „weiter wie gehabt“, auf jeden Fall das falsche Signal. Mit einem geeigneten Hochwasserschutz, der „auf viele kleinere Maßnahmen in der Fläche“ setze, könnten die Folgen von Sturzfluten in Zukunft gemildert werden. Das Pilotprojekt Evolving Regions bringt Fachleute unterschiedlichster Bereiche an einen Tisch, um genau diese kleineren und größeren Strategien zum Schutz vor Starkregen, Hochwasser, Hitze und Dürre zu entwickeln.

Temperaturen deutlich oberhalb der 30-Grad-Marke sind in Siegen nicht mehr so selten.
Temperaturen deutlich oberhalb der 30-Grad-Marke sind in Siegen nicht mehr so selten. © Rene Traut

Siegen: Fichtensterben – Borkenkäferholz wird oft nach China exportiert

Für den Kreis-Siegen Wittgenstein hätten unter anderem Fachleute aus Naturschutz, Forstwirtschaft, Bauamt und Touristik ihre Expertise abgegeben. Gefördert wird das Forschungsprojekt, dass sich aktuell in seiner Endphase befindet, über das LIFE Programm der Europäischen Union sowie vom nordrhein-westfälischen Umweltministerium. Dr. Andreas Kaiser stellt im Gespräch mit der Redaktion die drei Kernthemen von Evolving Regions vor: „Waldnutzung und Forstwirtschaft“, „klimagerechtes Bauen und Planen“ sowie „gesunde Lebensverhältnisse“.

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Obwohl der Kreis Siegen-Wittgenstein die waldreichste Region in Deutschland ist, würde das Holz vor Ort kaum genutzt, bedauert Andreas Kaiser. Stattdessen würden große Mengen an sogenanntem Käferholz nach China exportiert. In dem wirtschaftlich aufstrebenden Land sei die Nachfrage hoch. Der lange Transportweg würde allerdings zu einem hohen CO2-Ausstoß führen. Dabei würden die Borkenkäfer meist nur die Rinde und nicht das Kernholz angreifen. Heimisch genutzt, hätte Holz eine vergleichsweise gute Umweltbilanz.

Dr. Andreas Kaiser von der Koordinierungsstelle Klima, Energie und nachhaltige Regionalentwicklung in Siegen arbeitet im Projekt „Evolving Regions“. Dabei geht es um die Frage, wie sich Regionen in Deutschland auf den Klimawandel vorbereiten müssen.
Dr. Andreas Kaiser von der Koordinierungsstelle Klima, Energie und nachhaltige Regionalentwicklung in Siegen arbeitet im Projekt „Evolving Regions“. Dabei geht es um die Frage, wie sich Regionen in Deutschland auf den Klimawandel vorbereiten müssen. © Coralie Soemer | Coralie Soemer

Siegen: Hochwassergefahr steigt mit Menge der versiegelten Flächen

Um den Wald auf Hitze und Dürre vorzubereiten, sei bei Evolving Regions zudem die Biodiversität in den Blick genommen worden. Buche, Eiche und Lärche, aber auch der fernöstliche Glockenbaum könnten den steigenden Temperaturen standhalten. Allerdings würden nicht heimische Arten die Flora und Fauna insgesamt beeinflussen.

Klimaforschung ist Teamarbeit

Evolving Regions (zu deutsch: „sich entwickelnde Orte“) ist ein Klimaprojekt der Technischen Universität Dortmund (TU) in Zusammenarbeit mit acht strategisch ausgewählten Regionen und sieben Partnerinstitutionen. Sieben der Testgebiete liegen in Deutschland, eines in den Niederlanden.

Der Kreis Siegen-Wittgenstein habe sich wegen seines hügeligen Geländes und als waldreichster Kreis Deutschlands qualifiziert.

Ob aus Starkregen Sintfluten werden, hänge unter anderem von der Anzahl versiegelter Flächen ab. Andreas Kaiser startet ein Gedankenexperiment: Angenommen, auf einen Supermarkt mit einer Fläche von 3.000 Quadratmetern fällt binnen einer Stunde eine Niederschlagsmenge von 20 Litern pro Quadratmeter – dann müssten in eben jener Stunde 60.000 Liter zum Abfluss gebracht werden. Über das Dach oder den asphaltierten Parkplatz könne nämlich kein Wasser aufgenommen werden. Stattdessen ströme das Wasser ungehindert in die Kanäle und würde die Hochwasserlage verstärken. Gepflasterte Parkflächen mit breiten – nicht versiegelten – Zwischenräumen wären eine gute Alternative. Aber auch in sogenannten Retentionsbecken könnte das Wasser vorübergehend gesammelt werden, erklärt der promovierte Geograph. Diese Wasserrückhaltebecken sehen wie kleine Teiche oder Bachläufe aus. Hier wird das Wasser hingeleitet und kann langsam versickern und das Grundwasser auffüllen.

Die Pegelstände der Sieg und ihrer Nebenflüsse schwellen regelmäßig an. Die Siegener Feuerwehr stellt sich bereits seit Längerem auf Szenarien ein, in denen es zu Überflutungen kommt.
Die Pegelstände der Sieg und ihrer Nebenflüsse schwellen regelmäßig an. Die Siegener Feuerwehr stellt sich bereits seit Längerem auf Szenarien ein, in denen es zu Überflutungen kommt. © WP | Hendrik Schulz (Archiv)

Siegen: Hitzewellen sind besonders für Ältere, Kinder und Vorerkrankte gefährlich

Doch nicht nur die Starkregenvorsorge sei ein wichtiger Faktor für eine weiterhin hohe Lebensqualität. In stark besiedelten Gebieten sei ein präventiver Hitzeschutz ebenso entscheidend. In der Stadt könnte es, laut Andreas Kaiser, so bald mehr Efeu oder wilden Wein an den Fassaden zu sehen geben. Das würde nicht nur der Optik sondern auch dem Stadtklima guttun.

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Vulnerable Gruppen in Kindergärten, Altenheimen, Krankenhäusern und Wohnheimen seien meist als erstes und am stärksten von Katastrophen betroffen. Das hätten bereits das Hochwasser im vergangenen Jahr, aber auch die Corona-Pandemie gezeigt. Im Projekt Evolving Regions würden deshalb Klimawirkungsanalysen entwickelt. Mithilfe der gewonnen Daten könnten die betroffenen Institutionen beispielsweise bei Hochwasser- oder Hitzegefahr frühzeitig gewarnt werden, sagt Andreas Kaiser.

Weitere Informationen gibt es unter evolvingregions.com

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