Kredenbach. In Siegen-Wittgenstein sind viele Bäume dem Borkenkäfer zum Opfer gefallen. Totholz sollte aber nicht entfernt werden, denn dem Wald tut es gut.
Totholz wurde lange Zeit einfach aus den Wäldern weggeschafft. Seit einigen Jahren verfolgen Wald und Holz NRW und das Regionalforstamt Siegen-Wittgenstein einen anderen Weg. Wer sich durch den Wald in der Nähe des Loher Weihers bewegt, sieht eine große Fläche mit eineinhalb bis zwei Meter hohen abgeschnittenen Baumstämmen. Das sorgt bei dem ein oder anderem Wanderer für Verwunderung, berichtet Matthias Vollpracht, Fachgebietsleiter des landeseigenen Forstbetriebs: „Warum haben sie die Bäume nicht ganz abgeschnitten?“, sei manchmal zu hören. Was für Laien womöglich aussieht, als wären die Arbeiten einfach nicht abgeschlossen worden, hat System.
Die bisherige Praxis
Der Klimawandel hat in den Wäldern in Siegen-Wittgenstein immense Schäden hinterlassen: Vielerorts werden vom Borkenkäfer befallene Fichten abtransportiert. Die Fläche wurde leergeräumt, um dem Populationsdruck der Käfer entgegenzuwirken und die noch nicht von ihm befallenen Bestände vor weiterem Befall zu schützen. Doch das verändert das Waldklima: Sonne, Wind und Starkregen können sich unmittelbar auf den Waldboden auswirken. Das sorgt für klimatische Bedingungen, die für die meisten Baumarten ungünstig sind. „Starkregen fließt oberflächlich schnell ab, ohne den Wasserspeicher im Boden zu füllen, und Begleitvegetation aus lichtliebenden Gräsern, Farnen und hochwachsenden Kräutern breitet sich zügig aus“, wird in einem Schreiben von Wald und Holz NRW erläutert.
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Matthias Vollpracht betont, dass die Fichtenabholzung und anschließende Räumung natürlich auch für die Tiere Auswirkungen hat und nennt zum Beispiel den Specht. Totholz bietet holzbrütenden Insekten einen hervorragenden Lebensraum: Ohne Totholz fehlt dem Specht eine wichtige Nahrungsquelle. Auch wenn das Totholz schließlich auf dem Boden liegt, können sich Wald und Tiere dort entfalten. Es würde mürber, je länger es liege, und damit speicherfähiger für Wasser, erläutert Matthias Mennekes, Leiter des Forstbetriebsbezirks Elberndorf. Das sei „waldbrandhemmend“.
Der erweiterte Ansatz
„Dort, wo wir mit der Holzernte mehr Schaden anrichten als Gutes tun, da belassen wir es so“, so Matthias Vollpracht. Das soll im landeseigenen Wald (Staatswald) auf den Kalamitätsflächen für bessere Wuchsbedingungen für die schon vorhandenen oder neu zu pflanzenden jungen Waldbäume sorgen und ist eine Ergänzung zu der bisher überwiegend angewandten Praxis. Natürlich wird immer sorgfältig abgewogen, ob diese Entscheidung in den ausgewählten Bereichen auch ökologisch sinnvoll ist.
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Grenzen findet der Ansatz dort, wo Gefährdungen durch abbrechende Kronenteile oder Umstürzen ganzer Bäume entstehen können. Das heißt, an Straßen, Bahnlinien, Wegen und dort, wo sich Erholungseinrichtungen im Wald befinden. Dort würde ein ausreichender Sicherheitsabstand eingehalten und alle Dürrstände würden gefällt. Abseits dieser Räume würden auch tote Bäume ganz stehen bleiben, die dann irgendwann zusammenbrechen würden, so Matthias Mennekes. Die Stamm- und Kronenteile sorgen dann für ein günstiges Waldinnenklima, unter anderem für Windruhe.
Im Loher Wald
„Wir befinden uns im vierten Jahr der Großkalamität“, sagt Matthias Vollpracht. „Man kriegt die Karten von der Natur gelegt, dass es so nicht weitergeht.“ Dennoch sollten in der Krise keine übereilten Entscheidungen getroffen werden. „Wir müssen uns Ruhe antun, die Qualität hoch halten. Das Ganze strategisch und perspektivisch angehen.“ Dazu gehöre auch, dass man vieles der Natur überlässt („Naturverjüngung“).
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Der Forstbetriebsbezirk Hofginsberg hat im Revierteil Lohe zwischen Müsen und Kredenbach, angrenzend an die Martinshardt, vergangenes Jahr mit Borkenkäfer befallenes Fichtenholz aufgearbeitet. Nicht die gesamte Fläche wurde mit neuen Pflanzen bestückt. „So kann sich die Wurzel der kleinen Bäume natürlich und standortangepasst entwickeln, zusätzlich entstehen keine Pflanzkosten“, heißt es in dem Infomaterial von Wald und Holz NRW weiter. Im Revierteil Lohe sei mit einer Vielzahl an potenzieller Naturverjüngung von mehreren Baumarten zu rechnen, wie etwa der Lärche, der Douglasie, der Fichte und der Eberesche.
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Zusätzlich zu der Naturverjüngung werden in Lohe aber auch Weißtanne, Wildkirsche, Traubeneiche, Esskastanie, Bergahorn und Schwarzerle gepflanzt. Ohne den Eingriff per Menschenhand könnten sich dort nur mit geringer Wahrscheinlichkeit diese Baumarten entwickeln. Dabei müsste auch darauf geachtet werden, dass „Wild nicht unser Ziel gefährdet“, betont Matthias Vollpracht. Sprich: Die neu gesetzten Pflanzen wegfrisst. Auch wenn das Thema Wildjagd immer vieldiskutiert würde, könne sonst keine „klimastabile Mischung“ im Wald entstehen.
Die Mutterstämme
Das Regionalforstamt Siegen-Wittgenstein macht sich das Totholz bei der Wiederbewaldung auch zunutze. Die eineinhalb bis zwei Meter hohen abgeschnittenen Baumstämme werden mitunter zu „Mutterstämmen“: Wenn die neuen Pflanzen direkt neben diesen Stämmen angepflanzt werden, können sie davon profitieren. „Das hier war mal eine Fichte. Sie passt jetzt auf eine Weißtanne und eine Erle auf“, erläutert Matthias Vollpracht. Die sogenannte Stockachselpflanzung zwischen den Wurzelanläufen ermöglicht den kleinen Pflanzen Schatten sowie Schutz gegen Schnee. Die alte Baumwurzel funktioniert überdies als Wasserspeicher für die heranwachsende Pflanze. Auf 10 bis 15 Prozent der Kalamitätsflächen wolle man dieses Verfahren nutzen, erläutert Matthias Vollpracht.
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Dabei werden auf diesen Flächen nicht alle Bäume hoch abgeschnitten. „Da die technische Ausstattung der Holzerntemaschinen, Harvester, lediglich eine Kranlänge von ca. 11 Meter zulässt, entsteht ein Mittelblock, in dem der Harvesterkran die Dürrständer nicht greifen kann“, wird in der Mitteilung von Wald und Holz NRW weiter erläutert. Die Rückegassen verlaufen in einem Abstand von 40 Metern, dadurch werden auch die Beeinträchtigung der natürlichen Bodenfunktionen gebündelt, die Flächen drum herum geschont.
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